Als Kind mit zwei Muttersprachen aufzuwachsen scheint ein Privileg zu sein. In der Realität ist es aber nicht immer ganz so einfach.
von Babs
„Wenn ich in meinem Umfeld erzähle, dass ich Deutsch-Französin bin und auch diese Sprachen immer gleichberechtigt nebeneinander gesprochen habe, schlägt mir meist Neid entgegen. Es scheint den Leuten nicht bewusst zu sein, dass zwei Muttersprachen auch bedeutet, in keiner Sprache ganz zuhause zu sein.“ Fabienne ist als Kind einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters bilingual aufgewachsen. Zwar galt die Regel, dass die Sprache des Landes gesprochen wurde, in dem sich die Familie gerade aufhielt, allerdings wechselte sie, sobald die Grenze überschritten wurde. Und das war oft.
Die ersten Jahre lebte Fabienne in Frankreich, mit der französischen Familie, der französischen Mutter und dem Vater, der die Sprache gut beherrschte. Von den regelmäßigen Besuchen bei ihren Großeltern in Hamburg mal abgesehen, war Deutschland kein Teil ihres Lebens. Das änderte sich, als sich die Eltern entschieden, nach Deutschland zurück zu ziehen und dort ihre Zukunft aufzubauen. Fabienne ließ ihr Leben, ihre Freunde und ihre Familie in Frankreich zurück und zog mit ihren Eltern in den Heimatort ihres Vaters, nach Hamburg. Von nun an war Französisch die Sprache, die nur noch gesprochen wurde, wenn es zurück nach Frankreich ging. Fabienne selbst kann sich kaum mehr an diese erste Zeit erinnern: „Meine Eltern haben mir im Rückblick oft gesagt, dass ich Sätze mit französischen Wörtern gespickt habe, oder auf Französisch reagiert habe, wenn sie auf Deutsch mit mir gesprochen haben.“
Mit dem Beginn der Schule gewann die Verwirrung vollends die Oberhand. „Ich kam auf eine französische Schule. Mit einem französischen Schulsystem.“ Das hieß, dass Fabienne häufig bis zum späten Nachmittag in der Schule war, während ihre Freunde auf deutschen Schulen sich schon längst zum Spielen trafen und ihre Freizeit genossen. Zudem fiel schon zu Beginn ihrer Schulzeit auf: Fabienne hat eine Lese-Rechtschreibschwäche. Zwar ist ihr Französisch durch die Jahre in Deutschland nicht verlorengegangen, doch es fiel ihr schwer, die Sprachen klar voneinander zu trennen. Auch hatte sie das Gefühl, die Wörter weniger präzise benutzen zu können, als ihre „einsprachigen“ Freunde: „Mir war oft nicht bewusst, was genau ein Wort wie ‚Akzent‘ jetzt bedeutet, ich habe es benutzt wie ‚Dialekt‘ und kann bis heute nicht hören, ob das Wort im Satz richtig oder falsch ist.“
„Mir fehlen die Worte“
Im Unterricht kam sie nur schwer mit und ihre Eltern entschieden sich, sie auf eine deutsche Schule zu schicken. Fabienne machte ein deutsches Abitur – mit dem Leistungskurs Französisch. Doch bis heute hat sie nicht das Gefühl, eine der beiden Sprachen perfekt zu beherrschen, was aber wohl auch einsprachig aufgewachsene Menschen selten von sich behaupten würden. Allerdings – und das ist für sie viel schlimmer – fühlt sie sich auch in keiner der Sprachen wirklich zuhause. „Mir fehlen sowohl auf Französisch, als auch auf Deutsch häufig die richtigen Wörter und ich habe das Gefühl, nicht das ausdrücken zu können, was ich sagen möchte. Ich weiß, was der Inhalt meines Satzes sein soll – aber mir fehlen die Worte.“ Noch dazu kam, dass sie gerade als Teenager von dem Gefühl begleitet wurde, dass ihr nicht nur die Beherrschung einer Muttersprache fehlt, sondern vielmehr auch eine Kultur, in der sie sich ganz zuhause fühlt.
Nur scheinbar angekommen
Ihre Sommerurlaube verbringt sie bis heute bei ihrer französischen Familie, im Süden Frankreichs, direkt am Mittelmeer. „Ich fühle mich immer sehr französisch, wenn ich nach Banuyls zurückkomme. Ich merke, dass ich beginne, die Körpersprache zu übernehmen, die Art zu reden – und auch die Art zu leben.“ In Frankreich hat sie französische Freunde, isst französisches Essen und scheint für Außenstehende vollkommen angekommen zu sein. Doch für sie selbst ist es lediglich eine perfektionierte Form der Anpassung. „Ich fühle mich häufig so, als würde ich mich von außen betrachten, in meiner Rolle als Französin. Ich kann mir nur dazu gratulieren, wie hervorragend ich diese Rolle spielen kann.“ Doch zurück in Deutschland geht es ihr genauso. Hier hat sie noch dazu das Gefühl, dass viele Klischees auf sie projiziert werden. Wenn Fabienne zu spät zur Schule kam, und das kam häufig vor, dann war es nicht etwa der Mensch Fabienne – es war immer die „Französin Fabienne“, die es nicht schaffte, rechtzeitig aufzustehen. Zudem hatte sie oft das Gefühl, auch ihre deutschen Freunde nicht ganz zu verstehen. Eine Sprachbarriere? „Ich kann weder im Französischen noch im Deutschen richtig mit den Worten spielen. Wortwitze fallen mir schwer, sie fallen mir meistens gar nicht ein. Und auch die der anderen verstehe ich nicht immer.“
Diese dauernde Zerrissenheit macht sie ruhelos. Wann immer sie die Möglichkeit hatte, ist Fabienne nach Frankreich gefahren; dort hat sie gleich mehrere Monate mit der Suche nach ihren Wurzeln und ihrem wirklichen Ich verbracht. „Ich habe versucht, herauszufinden, wo ich hingehöre. Wo ich mich mehr zuhause fühle. Aber ich fühle mich immer dort mehr zuhause, wo ich gerade nicht bin.“ Ein Studium in Holland schien die Möglichkeit zu sein, mit dem Konflikt abzuschließen, in dem sie sich ein drittes, sozusagen unvorbelastetes Land suchte. Aber die Studiengänge in Holland haben viele deutsche Studenten, sodass sich für Fabienne ihr Umfeld nicht änderte – zumindest nicht die Sprache ihrer Freunde.
Ein Gefühl von Heimat am Mittelmeer
Ein halbjähriger Pflichtaufenthalt für das Studium führt Fabienne nach Frankreich, in die Nähe der Gegend, wo sie aufgewachsen war – nach Montpellier. Im Gegensatz zu ihren sonstigen Aufenthalten in Frankreich würde sie sich nun dort aber alleine ein Leben aufbauen, ohne ihre Familie. Nach anfänglichen Schwierigkeiten merkt sie, wie sie beginnt, sich in der Stadt am Mittelmeer richtig zuhause zu fühlen. „Es ist für mich natürlicher, in Frankreich zu leben und die Sehnsucht nach Deutschland zu haben, als umgekehrt – keine Ahnung warum.“ Sie spürt, dass sie sich immer noch verstellt und vielleicht nicht ganz so französisch ist, wie sie anderen glauben macht. Ihr fehlen die tiefen Freundschaften, die sie in Deutschland erlebt. Für sie gibt es in Frankreich eine wirklich tiefe Vertrautheit nur in Beziehungen. Aber diese Batterien tankt sie auf, wenn sie zu Besuch bei ihren Eltern in Hamburg oder bei Freunden ist.
Trotzdem freut sie sich jedes Mal, nach Frankreich zurück zu kommen. „Es ist jetzt ein Gefühl von Heimat, wenn ich nach Montpellier zurückkomme. Ich werde dort bleiben, dort meine Bachelorarbeit beenden und mir einen Ferienjob suchen. Ich habe das Gefühl, angekommen zu sein, und mich zuhause zu fühlen – ohne dass ich das Gefühl habe, meine deutsche Seite aufgeben zu müssen.“
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