Zärtlich und tanzend in die Endzeit

© Christoph Matiss / cellu l’art

In der Kurzfilmnacht der Kulturarena liefen ausgewählte cineastische Leckerbissen thüringischer und mitteldeutscher Filmfestivals. Wie ein roter Faden zogen sich Endzeit-Szenarien durch das Programm.

Eine steppenähnliche Landschaft mit vertrocknetem Gebüsch, ein marodes Fabrikgebäude voller zerbrochener Fenster, eine hässliche Müllhalde, ein paar ausgehungerte, dreckige und schweigsame Menschen in zerrissenen Lumpen, die von Schlägern in martialischer schwarzer Kleidung terrorisiert werden – viel mehr braucht es nicht, um ein wenig postapokalyptische Stimmung aufkommen zu lassen, und viel mehr erklärt Orphée auch nicht, sondern vertraut ganz auf seine starken Bilder. Als Hauptfigur: eine der jungen Frauen, die für die ominöse Gruppe in Schwarz verwertbare Geräte auf der Schrotthalde sammelt, und ab und zu Zeichen eines früheren, besseren Lebens findet – wie einen Edelstahlsalzstreuer, den sie wie eine wertvolle Antiquität mit zu ihrer Baracke nimmt, um sie aufzuhübschen. Dort taucht eines Abends aus dem Nichts ein verwildertes, leicht verstörtes Mädchen auf, das sich erst beruhigt, als unsere Heldin ihr mit einer Holzflöte etwas vorspielt. Die beiden werden ungleiche Freundinnen, und mit einer geteilten Bettdecke und einigen Tänzen im Inneren der Fabrikruine finden sie auch in der trostlosen Endzeitstimmung flüchtige Momente der Zärtlichkeit.

Die postapokalyptische Adaption des Orpheus-Mythos war ein Beitrag der Filmschule „SATIS“ an der Universität Aix-Marseille und wurde  vom Weimarer Backup_Festival kuratiert. Der zweite Film des gemeinsamen SATIS-Backup-Blocks erwies sich als gar als Höhepunkt des Abends, wenngleich mangelnde Untertitel bei vielen Zuschauern für kleinere Verständnislücken sorgten: in Dédestinés will ein Immobilienmakler ein altes, leeres Schloss verkaufen. Doch ein Mann in einem roten Anzug und mit extrem blassen Gesichtszügen stört ihn bei der Vorbereitung des Verkaufstermins: in einer ausgedehnten, überaus fetzig inszenierten Musicalnummer stellt er ihm die Geheimgänge des Schlosses sowie weitere geheime Bewohner vor – der unerwartete Schlossbewohner ist nicht der Teufel, sondern „nur“ ein normaler Geist, der mit seiner Familie im Gebäude spukt. Doch bald merkt der Makler, dass er in eine Zeitschleife geraten ist, in der das Jenseits sich unmerklich über das Diesseits gelegt hat – und so verwandelt sich eine rasante, musikalische Geisterkomödie in einen nachdenklichen, melancholischen Endzeitfilm, der tatsächlich am Ende aller Zeit angesiedelt ist. Ein echtes 18-minütiges Schmuckstück.

Ebenfalls einen französischen Film zeigte das cellu l’art: für die postapokalyptische Atmosphäre begibt sich Garden Party in eine pompös-prunkvolle Villa, die von Fröschen erobert worden ist. Einschusslöcher in Terrassenfenster, herumliegende Pistolen und Essensreste im fortgeschrittenen Verwesungsstadium verkünden, das mit den menschlichen „Vormietern“ Schreckliches passiert ist, aber die Frösche lassen sich nicht stören: sie machen Liebe in großen Doppelbetten, schlagen sich den Bauch voll mit Kaviar oder schalten aus Versehen die Musik- und Springbrunnenanlage an, bis die Schwarte kracht. Garden Party lief im Wettbewerb des diesjährigen cellu l’art und entpuppte sich dort als wahre Stimmungskanone. Auch in der Kulturarena konnte der Film seinen vollen amphibischen Charme ausspielen.

 

© Christoph Matiss / cellu l’art

Gleichermaßen beim diesjährigen cellu l’art wie beim diesjährigen Filmfest Dresden (aber von letzterem kuratiert) lief der deutsche Animationsfilm Sog. Dessen karges Gebirgssetting wirkt zwar leicht endzeitmäßig, aber vor allem handelt der Film von Verrohung und vom nahenden Ende aller Empathie. Höhlenwesen, vielleicht in der Evolution zurückgebildete Humanoide, entdecken auf einem Baum in Nähe ihrer Höhle „verlorene“ Fische, die ohne Wasser qualvoll ersticken. Statt ihnen zu helfen und sie in einen nahen Teich zu tragen, lassen die haarigen Höhlenwesen sie lieber sterben. Nur eines der Höhlenwesen, sichtlich fatalistisch, hilft den Fischen und wird selbst zur Zielscheibe seiner Kameraden.

Wem Sog zu brutal und abgründig war, konnte den endzeitlichen Kurzfilmabend wieder in Zärtlichkeit (und Skurrilität) enden lassen. Der schwedische Animationsfilm Min börda („The Burden“) siedelt das Ende der Welt in einer nächtlichen Vorstadtsiedlung an, die nicht mehr von Menschen, sondern von Tieren bevölkert wird: Fische mit Liebeskummer finden in einem „Heartbreak Hotel“ eine heimelige Zuflucht, Callcenter-Affen können virtuelle Kunden mit Traumangeboten beglücken, Reinigungsratten legen in einem leergefegten Fastfood-Restaurant einen kleinen Stepptanz hin und Filialleiterhunde im Supermarkt träumen vom Supermarkt. Wir können uns die letzten Tiere im Universum als glückliche Tiere vorstellen…

© Christoph Matiss / cellu l’art

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