Falsche Erwartungen und fehlende Bekenntnisse

Das Wohnheim am Jakobsplan (Weimar)
Das Wohnheim am Jakobsplan (Weimar)

„Herzlich Willkommen“ steht gleich in mehreren Sprachen auf einem großen Banner auf dem Jenaer Campus, das die neuen Studenten aus dem Ausland begrüßt. Die Wohnplatzvergabepolitik des Studentenwerks spricht zuweilen eine andere Sprache und stellt die „internationale Uni“ auf eine harte Probe.

von julibee, gouze & Caro

Vor mehr als zwei Jahren berichtete die unique zum ersten Mal über die katastrophale Situation im Wohnheim Naumburger Straße (Ausgabe 52). Hier lebten überwiegend Studenten aus dem nicht-europäischen Ausland, die sich aufgrund der extrem niedrigen Mietpreise nur diese Unterkunft leisten konnten. Bei einem zweiten Besuch im Sommer 2011 zeigte sich nur eine Veränderung: Inzwischen war ein Internetzugang eingerichtet worden. Nach diesen Eindrücken stellte sich die Frage, ob die Naumburger Straße ein trauriger Einzelfall oder ein Symptom einer in Thüringen systematisch praktizierten Wohnheim-Politik des Thüringer Studentenwerks sei. Mittlerweile sollte das Wohnheim in der Naumburger Straße eigentlich unbewohnt sein, da die Immobilie dem Land Thüringen gehört und der Pachtvertrag mit dem Studentenwerk Ende 2012 ausläuft. Anfang dieses Jahres bekamen die Bewohner eine Auszugsaufforderung. „Bis Ende September müssen wir alle raus“, sagt Hans* (23), der schon seit drei Jahren hier wohnt. „Dieses Wohnheim ist das billigste, und daher das einzige, das ich mir leisten kann.“
Der Abteilungsleiter für studentisches Wohnen des Studentenwerks, Siegfried Kinzel, wartet seit vielen Jahren auf die Schließung der Naumburger Straße: „Schon vor Beginn meiner Tätigkeit vor 14 Jahren war davon die Rede, diese Wohnanlage zu schließen.“ Daher wurde nur das Allernötigste getan, um das Gebäude sicherer zu machen. Die Bewohner bekamen laut Angabe des Studentenwerks Vorzug bei der Vergabe eines neuen Wohnplatzes. Das Haus ist schon seit Jahren nicht mehr online über die Seite des Studentenwerks buchbar – kein Wunder, denn der Zustand ist desolat: Die Fenster sind unsaniert und damit undicht, der Linoleumboden ist teilweise löchrig und wellt sich. Es kommt schon mal vor, dass eine oder mehrere Küchen vom Hausmeister zugesperrt werden. Kinzel meint: „Durch die anonyme Nutzung der Küchen können Massivverschmutzer oft nicht zur Verantwortung gezogen werden. Wenn also niemand freiwillig putzt, gilt das Absperren als Erziehungsmaßnahme für alle.“ In den vergangenen Jahren mussten stark verdreckte Herde mehrmals komplett ausgetauscht werden.

Innenansichten aus dem Wohnheim in der Merketalstraße (Weimar)
Innenansichten aus dem Wohnheim in der Merketalstraße (Weimar)

International Wohnen jenseits der Saale: Weimar und Erfurt
Knapp 55 Prozent aller internationalen Studenten der Hochschule für Musik (HfM) und der Bauhaus Universität Weimar (BU) kommen in Studentenwohnheimen unter. Die Universitäten helfen über Portale wie das Weimar International Network (WIN) der Bauhaus Universität und facebook bei der Wohnungssuche. Beide Hochschulen – die HfM mit etwa 30 Prozent und die BU mit 16 Prozent – haben im Vergleich zu Jena und Erfurt einen überdurchschnittlich hohen Anteil ausländischer Studenten. Deren Konzentration, vor allem auf die Wohnanlagen in der Merketalstraße und am Jakobsplan, erscheint auch dem stellvertretenden Vorsitzenden des Studentenrates der HfM, Frithjof Vollmer, „besonders krass“. In dem zehngeschossigen Plattenbau am Jakobsplan 1 teilen sich je vier Wohneinheiten eine Gemeinschaftsdusche, die nur ein Vorhang vom Zwischengang trennt. Die Küchen werden von jeweils 16 Personen genutzt und sind dementsprechend dreckig. Allerdings sind die Aufzüge neu und das Haus in Zentrumsnähe macht insgesamt einen so freundlichen Eindruck, wie das einem alten teilsanierten DDR-Plattenbau eben möglich ist. Neben Fachwerkhäusern versprühen der massive Bau und seine Bewohner ein wenig Großstadtgefühl im kleinen Weimar. Die Anlage der Merketalstraße 48 am südlichen Stadtrand Weimars sieht zunächst ähnlich einladend aus. „Es hat seinen eigenen Charme, ein bisschen kommunistisch“, schmunzelt Pedro, der uns die Räume des Hauses zeigt. Er wohnt seit längerer Zeit hier, hat ein großes Einzelzimmer, für das er günstige 150 Euro zahlt und nutzt eine Gemeinschaftsküche im Gang, die immer sauber ist. Jeden Tag wird hier geputzt – eine unangenehme Zettelwirtschaft à la „Räumt euren Mist weg!“ erübrigt sich damit. Es gibt Übungsräume für Musikstudenten, Familienzimmer und, wie auch am Jakobsplan, einen Tutor, der eigens für die Internetversorgung der Wohnanlage zuständig ist.

Das Wohnheim in der Donaustraße (Erfurt)
Das Wohnheim in der Donaustraße (Erfurt)

In Erfurt kristallisieren sich derweil die Donaustraße 28 bis 42 und der Plauener Weg 8 als die Wohnheime heraus, die überwiegend von internationalen Studenten bewohnt werden. Beide Immobilien liegen einen kurzen Fußweg vom Campus der Universität entfernt. Der Plauener Weg versprüht nur von außen viel DDR-Charme, innen wird man von hellen, sauberen Räumlichkeiten begrüßt. Ein Bewohner erzählt uns, dass die Qualität der Zimmer wirklich gut sei und die Anlage vor allem aufgrund ihrer günstigen Mietpreise von ausländischen Studenten ausgewählt werde. „Die deutschen Studenten ziehen lieber ins Stadtzentrum, die haben auch genug Geld, um dort zu wohnen“, sagt er lächelnd.

Paradies ohne Wohnung
Somit bleibt die Naumburger Straße ein Einzelfall, der sich in seiner extremen Form in Jena nicht wiederholt und auch in Weimar und Erfurt kein Pendant hat. Selbst das Gebäude am Weimarer Jakobsplan stellt ein Mindestmaß an Wohnatmosphäre her; anders als in der Naumburger Straße gibt es dort auch keine Gemeinschaftsduschen im Keller und keine maroden Leitungen, die das Wohnen sogar zum Risiko machen.
Internationale Studenten bevorzugen meist die günstigsten Möglichkeiten, da sie oft über geringere finanzielle Mittel verfügen. So finden sie sich häufig in den gleichen Wohnheimen wieder und wohnen dort mit wenigen Deutschen zusammen. Unter diesen Bedingungen stellen viele ausländische Studenten sicher nicht die höchsten Ansprüche an ihre Unterkunft – auch wenn dies Zustände wie in der Naumburger Straße nicht rechtfertigt. Völlig unerwartet dürfte sie dagegen die Tatsache treffen, komplett ohne Bleibe da zustehen. Aber auch mit dieser Situation sahen sich zu Beginn dieses Wintersemester einige ausländische Studenten konfrontiert. Sich ohne Rückhalt durch Verwandte oder Freunde und ohne umfangreiche Deutschkenntnisse allein auf Wohnungssuche zu begeben, ist, gerade in Jena, ein abenteuerliches Unterfangen.
Agdam aus Turkmenistan kam vorerst in einem Jenaer Hotel unter. Wir trafen ihn bei der Restplatzvergabe der Wohnheimplätze am 9. Oktober. Zu dieser konnten sich nur Studenten einfinden, die sich fristgerecht auf einen Platz beworben hatten. Verunsicherung und Ärger waren hier vorherrschend; angeblich warteten Einige schon seit 1 Uhr morgens. Auch Agdam befürchtet, infolge des Ansturms keinen Wohnplatz mehr zu bekommen – etwa 70 andere Bewerber stehen mit ihm an, die meisten von ihnen aus dem Ausland. Pradeek, Sonika und Sushweta aus Indien erzählen, dass sie seit einer Woche in Jena seien. Das Studentenwerk habe ihnen mitgeteilt, die Wohnheimplätze bis Ende September zuteilen zu wollen. Da dies nicht passiert war, mussten die drei erst einmal bei Freunden unterkommen. Für Frau Dr. Britta Salheiser vom Internationalen Büro (IB) der FSU liegen die Ursachen dieses Problems bei den Zulassungen, die wegen längerer Postwege später ankommen. Zudem fehle eine ausreichende Kommunikation zwischen Student und Universität: Oft bricht nach der Zulassung der Kontakt ab, sodass weder die Uni noch das Studentenwerk wissen, ob der Student wirklich in Jena ankommen wird. Eigentlich müssten die künftigen Studenten die Annahme des Studienplatzes bestätigen. Das passiert leider nicht in allen Fällen, sondern manchmal erst, wenn die Leute in Jena zum Studium ankommen. Das gleiche Problem, meint Salheiser, bestehe aber auch bei deutschen Studenten. Die Uni weiß also nie, mit wie vielen Immatrikulierten sie letztendlich rechnen kann.

Internationalisierung weiterdenken
Hinzu kommen die Erwartungen der internationalen Studenten, die zum Teil an andere Campus-Strukturen gewöhnt sind. „Viele ausländische Studierende wissen nicht, dass sie sich um einen Wohnplatz separat zur Zulassung bemühen müssen“, so Salheiser. „Es kommt vor, dass Studierende denken, dass sie den Wohnheimplatz quasi zum Studienplatz dazu bekommen.“ Für ERASMUS-Studenten und Teilnehmer anderer Partnerschaftsprogramme ist dies auch weitgehend der Fall: Für sie gibt es ein Kontingent an reservierten Wohnheimplätzen. Bei der Vergabe genießen sie oberste Priorität. Das Nachsehen haben Studenten, die selbstorganisiert ein vollständiges Studium in Jena absolvieren wollen. Das IB würde sich auch ein Kontingent an Wohnheimplätzen für solche ausländische Studenten ohne Kooperationsverträge wünschen, die beim derzeitigen Vergabesystem die Verlierer sind. Dies trifft auch auf Bhavya zu. Der Master-Student aus Neu Delhi kann wenig Verständnis für das Vorgehen der Universität aufbringen: „Warum nimmt die Uni mehr internationale Studierende auf als sie unterbringen kann? Und warum haben diese Studenten nicht absolute Priorität?“ fragt er sich. In seiner Heimat sei dies so üblich.

Eindrücke aus dem Wohnheim Naumburger Straße (Jena)
Eindrücke aus dem Wohnheim Naumburger Straße (Jena)

Eine Möglichkeit, die Kapazitäten der Wohnheime effizient auszuloten, bestünde darin, die Mietzeiten zu begrenzen. Nach spätestens vier Semestern ist der Student in Jena angekommen, hat vor Ort ein Netzwerk an Kontakten aufgebaut und kennt die Stadt. Nach den momentanen Vorschriften hat man jedoch mindestens für die Dauer der Regelstudienzeit ein Anrecht auf den einmal bezogenen Wohnheimplatz. Eine Begrenzung auf zwei Jahre würde auch das IB befürworten. Sowohl beim Studentenwerk als auch beim Studierendenrat der Universität Jena stießen derlei Verbesserungsansätze aber auf wenig Gegenliebe. „Ich kann das nicht nachvollziehen“, meint Salheiser. „Das ist kurzsichtig geplant und unfair gegenüber den neuen Studierenden, egal sie ob aus Deutschland oder dem Ausland kommen.“ Zugleich versteht sie, dass das Studentenwerk lieber auf Nummer Sicher gehen will. Es sei eben eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts und eine Non-Profit-Organisation, die kostendeckend wirtschaften müsse. Als solche ist es nicht weisungsgebunden und muss Empfehlungen der Universität nicht annehmen. Nichtsdestotrotz besteht sein Auftrag darin, den Studenten Serviceleistungen anzubieten. Dabei sollten ausländische Studenten nicht bevorzugt, aber doch zumindest chancengleich behandelt werden.
„Die Friedrich-Schiller-Universität will eine internationale Universität sein“, sagt Salheiser. Um Jenaer Studenten ins Ausland entsenden zu können, zum Beispiel durch Austauschprogramme wie ERASMUS, müssen auch Leute aus dem Ausland hierher geholt werden. Zudem haben sich die Jenaer Hochschulen zum Ziel gesetzt, ausländische Studenten bis zum Abschluss auszubilden und nicht nur für die Dauer einiger Semester. Realistisch muss man auch erkennen, dass die Zahlen deutscher Studienanfänger zurückgehen, vor allem jener aus der Region. Der Geburtenknick wird von Studenten aus anderen Bundesländern nicht mehr aufgefüllt. Dabei ist ein klarer Kostenfaktor zu bedenken: Die Universität arbeitet mit dem Geld, das sie vom Land für die Studenten bekommt. So braucht die Universität ausländische Studenten, um die Zahl der Immatrikulierten aufrecht erhalten zu können. Gerade bei der Wohnplatzvergabe für diesen wichtigen Teil der Studentenschaft sieht das IB klaren Verbesserungsbedarf. „Es fehlt von Seiten der Uni und der Fachhochschule ein noch klareres Bekenntnis zu diesen Studierenden. Man darf nicht nur an die hehren Ziele der Wissenschaft denken, sondern auch an die grundlegenden Bedürfnisse der zukünftigen Forscher, die nachts ja auch irgendwo schlafen wollen.“

Übergang – und dann?
Die Naumburger Straße ist ab Dezember endgültig vom Markt. Dafür hat das Studentenwerk zum Wintersemester zwei neue Wohnanlagen in Jena eröffnet. Um den Wohnungsmangel zu Beginn des Wintersemesters abzufedern, wurde in der Naumburger Straße allerdings eine „Notunterkunft“ eingerichtet. Auch Bhavya wohnt dort vorübergehend. Seine Bewerbung für einen Wohnplatz hat er schon im Juni abgeschickt, trotzdem konnte man ihm nur diesen Übergangsplatz vermitteln. Seinen Aussagen zufolge sei die Naumburger Straße derzeit voll; viele der Bewohner seien aus Indien. Wirklich kompliziert wird es für ihn erst ab November: Dann muss das Gebäude leer sein. Bhavya jedoch kann sich in diesem Semester nicht um einen neuen Wohnplatz beim Studentenwerk bewerben – für das laufende Semester ist er ja bereits „versorgt worden“. Nachdem er sich auf etwa 30 WG-Angebote erfolglos gemeldet hatte, überlegte er kurzzeitig sogar, nach Delhi zurückzugehen. Tatsächlich ist das aber keine Option: „Welcher Student geht schon zurück in sein Heimatland, weil er im Ausland keine Wohnung findet? Das ist doch absurd.“

* Name von der Redaktion geändert

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