Seit dem Aufkommen der Debatte um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine wird der Begriff des Pazifismus neu diskutiert. In einander gegensätzlichen Essays entwickeln unsere Autoren ihre Ansichten zu Aufrüstung und Friedenspolitik.
von Christopher Harsch
Frieden und Waffen sind keine Worte, die in einem offensichtlich engen Verhältnis stehen. Waffen dienen einem kriegerischen Zweck. Krieg aber ist das Gegenteil von Frieden. Krieg eine unmoralische Handlung, weswegen auch seine Mittel unmoralisch sind. Waffen sind daher nie zu einem guten Zwecke zu gebrauchen und schon gar nicht für den Frieden. Warum beide aber eng zusammenstehen müssen und wir Frieden nur mit Waffen verteidigen können, möchte ich hier darlegen.
Trügerischer Idealzustand?
Zunächst muss ich auf zwei theoretische Grundlagen eingehen. 1) Unser heutiges Verständnis des menschlichen Daseins ist geprägt von einer freien Entfaltung der Persönlichkeit. Dieses freie Entfalten ist Ausdruck eines Selbstbewusstseins. Einhergehend damit folgt die Erkenntnis, dass andere Menschen ebenso mit einem Selbstbewusstsein ausgestattet sind, wodurch ich wiederrum Rechte und Pflichten ableiten lassen. Ausdruck eines vernünftigen Selbstbewusstseins ist die Ermächtigung selbstständig zu handeln und gleichzeitig sein eigenes Handeln zu beschränken. In der Diskussion um die Grundlagen des menschlichen Zusammenseins gilt, dass unser eigenes Handeln dann seine Grenzen findet, wenn es die freie Entfaltung eines Anderen einschränken würde. Diese vernünftige Einsicht ist als Prinzip gar Grundlage für unsere heutige Gesellschaft. Wir leiten aus diesem Prinzip – wenn auch nicht offensichtlich – die Regeln des menschlichen Miteinanders ab. 2) Staaten bilden sich durch den Zusammenschluss von Menschen. Der Zusammenschluss kommt zustande, weil Menschen so ihre freie Entfaltung durch gemeinsame Regeln sichern. Sie sind kein Gebilde, welches von Natur aus bestanden hat. Staatshandlungen sind damit immer abhängig vom Menschen, der mit der Ausübung der Staatsgewalt beauftragt ist oder diese an sich gerissen hat. Auch für zwischenstaatliches Handeln ist diese Abhängigkeit vorhanden. Der Staat und seine gesamten Handlungen sind davon abhängig, wie vernünftig oder nicht seine Gewaltausübenden sind. Es gibt keine (natürliche) vorgeschaltete Entität, die sich über die jeweiligen Akteure hinwegsetzen kann. Der Idealzustand unserer Welt sieht doch so aus: sie ist durchgängig von Moralität und davon abgeleiteten Regeln geprägt. Diese bestimmen das zwischenmenschliche und auch das zwischenstaatliche Handeln. Nur bei schwerwiegenden Fällen sind diplomatische Verhandlungen notwendig. Unsere welteinheitliche Moralvorstellung verbietet kriegerische Auseinandersetzungen. Sie sind aber auch nicht notwendig, da die friedliche Ko-Existenz aller Völker die Maxime jeglichen Handelns ist. Eine wunderbare Vorstellung, von der wir weiter
nicht entfernt sein könnten.
Internationale Friedenssicherung
Die verheerenden Erlebnisse des Ersten Weltkriegs sorgten unter anderem dafür, dass Staaten als Ergebnis der Pariser Friedenskonferenz den Völkerbund ins Leben riefen, um den Frieden in der Welt zu bewahren. Die Nachfolgeorganisation, die Vereinten Nationen, soll ebenso diese Aufgabe erfüllen. Sie ist der Versuch zwischen den Staaten gemeinsame Regeln zu etablieren. Eine gemeinsame Wertebasis, die zu einer – im Idealfall – friedlichen Koexistenz aller Staaten führt. Als abschreckende Mittel wurden dafür Strafen eingeführt: Die Vereinten Nationen agieren mit Sanktionen und Embargos. Sie nutzen aber auch militärische Mittel, die sogenannten Blauhelmtruppen, um in Konflikten (z.B. Bürgerkriegen) den Frieden zu sichern. Aus 1) und 2) ergibt sich die erste Aufgabe eines Staates. Sie lautet, das Leben eines jeden Individuums zu schützen. Dieser Schutz gilt sowohl gegen Angriffe anderer Individuen, aber auch anderer Staaten. Doch diesen Schutz muss er effektiv gestalten. Effektiv bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Staat Maßnahmen ergreifen muss, die angemessen und nützlich sind. Darunter fällt zum Beispiel die Aufstellung einer Armee, geeignete Ausrüstungs- und Verteidigungsmaßnahmen sowie eine Bündnispolitik mit anderen Staaten. Warum ist das aber notwendig? Betrachtet man die Geschichte des Menschen, so betrachten wir eine Geschichte andauernder Konflikte. Gegenseitige Abhängigkeit und Machtpolitik Seit 1945 erleben die Staaten innerhalb der Europäischen Union (EU) eine Phase des Friedens. Dies war lange Zeit nicht so. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie weiterer europäischer Gemeinschaften sorgte in der Nachkriegsordnung zu einer bis heute anhaltenden Friedensordnung. Diese ist auch durch eine gegenseitige Abhängigkeit geprägt. Diese Abhängigkeiten bestehen unter anderem bei Rohstoffzugängen, Zollfreiheit oder im Rahmen der Fiskalunion. Je größer die gegenseitigen Abhängigkeiten sind, umso unwahrscheinlicher ist, dass ein einzelner Staat mittels Machtpolitik seine Interessen durchsetzt. Das Risiko eines Nachteils wäre zu hoch. Die Blockbildung zwischen Ost und West führte außerdem zu einer starken Bindung innerhalb der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG). Diese Politik der gegenseitigen Abhängigkeit und der starke „Block-Kontrast“ hat maßgeblich dazu beigetragen, den Frieden in Europa zu bewahren. Nach Ende des Kalten Kriegs sorgten die Osterweiterungen der EG bzw. EU sowie der NATO zu einer fast gesamteuropäischen Bündnispolitik, aber auch Abhängigkeitspolitik. Dies bewirkt bis heute Frieden unter den angeschlossenen Staaten. ‚Wandel durch Handel‘ und gegenseitige Bündnispolitik ist hier von Erfolg gekrönt. Wandel durch Annäherung scheint aber nur zu funktionieren, wenn es eine zumindest in Grundzügen gemeinsame Normen- oder zumindest Wertebasis gibt. Nur dann ist diese Herangehensweise vernünftigerweise durchzuführen. Diese findet aber ihre Grenzen, wenn sie auf Machtpolitik trifft.
Moral und Schwäche
Machtpolitik wird im Zweifel diesen Ansatz so lange wie möglich (aus-)nutzen, um den möglichst größten Vorteil zu erlangen. Sie fragt nicht, was moralisch oder ethisch ist, sondern folgt rein eigenen Interessen und diese werden mittels der Macht des Stärkeren durchgesetzt. Machtpolitiker:innen streben danach mit der eigenen nationalen Stärke, sei sie wirtschaftlich oder militärisch, weiter an Einfluss zu gewinnen. Ein Land, welches man wirtschaftlich nicht abhängig machen kann, lässt sich also nur in seinem Machtstreben begrenzen, indem man militärisch handelt. Die Folgen eines möglichen Angriffskriegs müssen also einen hohen Nachteil für den Aggressor mit sich bringen. Um eine Friedensordnung zu erhalten, braucht es also Waffen. Waffen, mit denen das Risiko einen Angriffskrieg in die Länge zu ziehen oder gar zu verlieren hoch wird. Nur davon lassen sich Machtpolitiker:innen abschrecken. Ein Säbelrasseln, das heißt die Demonstration militärischer Stärke, um zu zeigen, dass man sich verteidigen kann, ist daher gegenüber solchen Staatslenkern notwendig. Jeden Moment der Schwäche werden sie versuchen zu nutzen. Wer Frieden will braucht Waffen. Andernfalls riskiert man den Verlust von Freiheit und Selbstbestimmung.
Christopher Harsch hat Philosophie und Staatswissenschaften studiert und arbeitet haupt- wie ehrenamtlich im politischen Bereich.
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