Irgendwann, nach vielen Kommunikationscrashs, hat man sich in der neuen Umgebung eingelebt. Nach dem Rückflug denkt man, zurück zuhause könne man sich ins Gewohnte fallen lassen – und fällt tief.
von jutzi
Im Schatten 34 Grad – und ich mit kalten Füßen: Das Jahr war fast herum und sehr bald musste ich zurück nach Deutschland. Düster malte ich mir aus, wie ich dort am lieblosen Alltag verzweifeln und dauerhaft die Skype-Leitung in mein neues Zuhause halten würde: Mein Zuhause, das war nunmehr unser Viertel in São Paulo, wo ich als weltwärts-Freiwillige in einem Kinderheim gearbeitet hatte. Nach intensivem Abschied, 15 Stunden Flug und vielen Begrüßungsumarmungen sah die Realität anders aus: Es war ganz entspannt, wieder nach Hause zu kommen. Die ersten Tage und Wochen waren angefüllt von Wiedersehensfreude und Euphorie, und hastig wischte ich meine Bedenken beiseite.
Eines Abends aber, beim Theaterbesuch, wandte sich das Blatt. Durch die Glasfront vom Theatercafé sah man schon ein Dutzend Leute sitzen, Pärchen, Freunde… Über irgendetwas witzelnd, betraten wir den Laden. Die anderen Leute aber schwiegen sich allesamt an, es war totenstill! Umso lauter hörte ich meine eigene Stimme und spürte, wie wir Neuankömmlinge angestarrt wurden. Mir huschte durch den Kopf: „Das muss zum Theater gehören, wahrscheinlich so eine moderne Performance!“ Ich brach meinen Redefluss ab und fragte leise den Mann an der Theke, warum sich denn hier keiner unterhielte. Das ganze Theaterstück lang grübelte ich noch über diese Frage nach – ein flaues Gefühl von Unverständnis ließ mich nicht mehr los.
Die folgenden Wochen, mit Wohnungssuche und Studienbeginn beschäftigt, wurde mir die deutsche Gesellschaft langsam vollkommen zum Mysterium und mein Sozialverhalten erwies sich als zunehmend inkompatibel damit. Nicht nur musste ich mir beim Einkaufen die Frage verkneifen, wie es der Verkäuferin heute ginge. Ich versicherte mich auch bei Verabredungen wie gewohnt noch einmal, ob wir uns denn auch wirklich treffen. „Na klar, das haben wir doch ausgemacht!“ war die verwunderte Antwort. Ich war fasziniert von deutscher Verbindlichkeit. Noch ganz andere Dinge des täglichen Umgangs waren mir unerklärlich. Eines Tages vertraute ich mich meiner Mutter an: „Mama, ich glaube, die Männer in Deutschland interessieren sich gar nicht für Frauen!“ Tatsächlich: Ich hatte das Gefühl, frau würde hierzulande einfach keine Aufmerksamkeit geschenkt. Ich hätte aufgehübscht oder im Leinensack herumlaufen können, ganz egal: um mich herum eine Schar Asexueller. Keine Pfiffe, keine Komplimente, keine Flirts.
Ich stehe an der Supermarktkasse, ein Netz Limetten tummelt sich auf dem Fließband. Wumms! kracht die Dame vor mir ein längliches Plastikelement der Individualisierung zwischen ihren Einkauf und den meinen.
(Foto: Florian Maul)
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