Vom Redaktionsbüro zum Intellektuellen-Abort

Das grosse Dummy-Buch Cover
Seite 6/7 des Dummy-Buches (um eine kleine Notiz erweitert)

Dummy stand für alternativen und unkonventionellen Journalismus. Doch nach dem zuletzt erschienen Highlight-Buch entpuppte sich die aktuelle Themenausgabe als ein anrüchiger Griff ins Klo. Die Rezension einer Zeitschrift.

von LuGr

Pünktlich zum Jubiläum erschien am 01. September Das grosse Dummy-Buch mit einem Best-Of aus 30 Ausgaben des – so nennt es sich selbst – „unabhängigen Gesellschaftsmagazins“. Die Titelthemen der Ausgaben bestanden aus griffigen Schlagworten: „Verbrechen“, „Sex“, „Juden“, „Türken“, „Mama“ oder „Behinderte“. Diese atmen in ihrer Direktheit regelrecht das gesellschaftliche Tabu. Diese Unangepasstheit setzt sich fort in einer von Ausgabe zu Ausgabe wechselnden Artdirektion und mutigen Artikeln. Darin wurde schon mal über das Lustempfinden von Pädophilen, das Leben eines Zuhälters oder eine Behindertendisco in Güstrow berichtet, wenn nicht gerade die eigene Praktikantin über ihr Sexleben und männliche Körperbehaarung interviewt wurde. 

All das kann man in dem formidabel gelayouteten, knapp 500 Seiten starken Dummy-Buch nachlesen – und dann: DAS! Natürlich impliziert „unverbrauchter Qualitätsjournalismus“ auch immer das Vorhandensein von „kokettierendem Schmierfinkentum“, nur lässt sich diese Trennung meist eindeutig vornehmen. Bei der 32. Ausgabe von Dummy mit dem Titelthema „Scheiße“ sind die Grenzen indes so locker fließend wie wässriger Stuhl aus dem Enddarm in den ur-deutschen „Flachspüler“.

(Seite 112 der 32. Ausgabe)

Einer beeindruckenden Reportage über Latrinenreinigern in Indien steht dabei ein in Geschmacklosigkeiten ausuferndes Interview mit einem Wissenschaftler über die Kulturgeschichte des Kots gegenüber. Während ein Auszug aus Helmut Bergers Autobiografie Ich mit einer Anekdote um durch Drogenkonsum verursachtes „Einscheißen“ wenigstens noch für süffisante Belustigung sorgt, ist der größte Griff ins Klo ein anderer Artikel. Unter der Überschrift „Die Unerriechbare“ wird das Weltbild des Autors zerstört, indem er herausfindet, dass junge hübsche Mädchen entgegen seines intimsten Wunsches doch defäkieren. Welch ein feuchter Gehirnfurz! Für die inhaltliche Zweifelhaftigkeit bezeichnend ist auch ein Artikel 22 Seiten später, in dem ein Redakteur einen Selbstversuch mit einer Darmspülung wagt. Was die Faszination an eigenen Verdauungsendprodukten in flüssiger (abfließender) Form und deren Bestandteile (ausführlich dargelegt!) angeht, ist ein formaler Unterschied zwischen einem informativen Erfahrungsbericht und dem Gesuch eines Liebhabers von „kaviarhaltigem“ Klinik-Sex kaum zu erkennen.

Die Illustrationen sind dabei ebenso fragwürdig. Da hätten wir auf dem Cover den Ausschnitt des Verdauungstrakts einer Frau – der unter ihrem entblößten Körper unsichtbar bleibt. Natürlich: „Sex sells“, von Exkrementen oder Eingeweiden war in der Werbebranche in diesem Kontext noch nie die Rede. Aber hat ein – ich vergegenwärtige es noch einmal – „unabhängiges Gesellschaftsmagazin“ es nötig, auch auf diesen Vermarktungs-Zug aufzuspringen? Während man über eine Bildergalerie mit den gequälten Gesichtsausdrücken von Menschen beim Entleeren ihres Darms noch streiten kann, ist eine andere mit zusammengeknüllten Wettscheinen mit seinem Bezug auf das Titelthema an den Haaren herbeigezogen. Und auch die Geschichten vom freundlich kotenden „Kackofant“ sind weniger mit inhaltlichen Mehrwert behaftet als viel mehr eine genüsslich – pardon – hingeschissene Themen-Travestie und infantile Verbeugung vor der Bezeichnung des dritten Teils dieser Ausgabe des Magazins. Dieser heißt treffend „Was soll die Kacke“. Das fragt man sich trotz der gesellschaftlichen Relevanz von Exkrementen, die schließlich jeder Mensch gleichermaßen produziert, bei diesem zwischen intellektueller Hoch- (Gedicht!) und peinlicher Proll-Kultur (Fäkalien-Humor!) changierenden Print-Erzeugnis ständig.

Titel: Das grosse Dummy-Buch. Das Beste und Schlimmste aus 30 Mal Magazinmachen
Herausgegeben von Oliver Gehrs und Natascha Roshani
Verlag: Kein & Aber
Erschienen am 01. September 2011
Preis: 24,90 Euro

Die 32. Ausgabe von DUMMY ist noch bis Dezember u.a. in der Fat Lady und dem City Kiosk in Jena erhältlich.

Kommentare

2 Antworten zu „Vom Redaktionsbüro zum Intellektuellen-Abort“

  1. Avatar von LuGr

    die Tiefpunkte sehe ich eher woanders, z.B. bei sämtlichen Bilderstrecken)

    Was die Gesichter der Menschen angeht: Kann man drüber streiten. Wettscheine? Blödsinn! „Mass Consumption“-Müll: Hä?
    Was ich vergas: Die depperte Selbstbezichtigungs-Rubrik „Warum ich ein beschissener…bin.“ Noch vager geht’s vom Bezug her nicht. Aber der Kackofant ist natürlich großartig! 😉

  2. Avatar von Luth
    Luth

    Hallo Namensvetter! Dein Artikel bringt es sehr gut auf den Punkt. Mit der letzten Ausgabe spülen sich die Macher des DUMMY Magazins selbst im Klo runter. Mal schauen, was jetzt noch kommt, es kann nur wieder besser werden. Gruß L. (P.S.: Das Interview mit Florian Werner fand ich allerdings ganz passabel, die Tiefpunkte sehe ich eher woanders, z.B. bei sämtlichen Bilderstrecken)

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