„Akustische Tortur“, „Stadion-Tinnitus“, genervte Sportreporter: Plötzlich spaltet ein kulturelles Plastik-Kuriosum die Fußballwelt. Die Debatte könnte man, als kurzlebigen Sau-Trieb durchs globale Fußball-Dorf, schmunzelnd links liegen lassen – wenn sie nicht deutliche Züge von post-kolonialer Überheblichkeit in sich hätte.
Wochenlang fieberte die gesamte Sportwelt dem Start der ersten Fußball-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden entgegen. Doch kaum kommt die südafrikanische Party richtig in Schwung, melden sich schon Heerscharen der Miesmacher zu Wort. Nein, ich meine nicht die „vaterlandslosen Gesellen“, sondern die treulich deutsch-gründlichen Medienvertreter, die bereits in den Tagen vor dem Eröffnungsspiel mit Schallpegelmessgerät im Anschlag durch deutsche Straßen und Geschäfte gestapft waren, auf der Mission, die Öffentlichkeit über die gesundheitsschädlichen Lärmpegel der bunten Plastik-Tröten (Vuvuzelas) aufzuklären.
Nun folgt bei uns nach jedem Spiel der nächsten Tage und Wochen, so scheint es, ein immer gleicher Chor, ein großes Lamento, das fast so gut einstudiert wirken muss wie der bierselige Fan-Gesang europäischer Stadien: Allen voran die bedauernswerten Fußball-Reporter jammern über die „Dauerdröhnung“ der Vuvuzelas, die meist als „Hummelschwarm“ charakterisiert wird. Der WM-Korrespondent von SPIEGEL-Online beschreibt unter dem Titel „Nervtrötende Dröhnung“ bereits am zweiten Tag: „Die Vuvuzelas nerven Spieler, Trainer und TV-Anstalten. Kommandos auf dem Spielfeld, Fangesänge und Jubel werden einfach übertönt. […] Allein die Südafrikaner freuen sich über die für die Gäste ungewohnte Dröhnung.“ Ganz Weltbürger eben. Im Ernst: Eigentlich fehlt nur noch der kopfschüttelnd gebrummelte Zusatz „…diese Wilden“, um die selbstbewusste Überlegenheit westlicher (Fußball-)Kultur zu quittieren. Natürlich fordert auch die BILD-Zeitung – berüchtigt für ihre Beiträge zu Toleranz und Völkerverständigung – ein Verbot des „Tröt-Terrors“ und ruft ihre Leser zu entsprehcenden Unterschriftensammlungen auf. Auch die deutschen TV-Anstalten stoßen – dieses Wortspiel sei erlaubt – ins selbe Horn, u.a. als Reaktion auf hunderte Anrufe und Mails von genervten Zuschauern. Die Folge: als wichtige Finanziers machen z.B. ARD und ZDF Druck auf die südafrikanischen Turnierorganisatoren; es wird bereits über ein Stadionverbot für die bunten Tröten nachgedacht.
Seltsamer Weise sind die Vuvuzelas gerade hierzulande ein Verkaufsschlager. Auch die Verkaufsrechte für den europäischen Markt liegen bei einer deutschen Firma. Den Südafrikanern scheint man unterdes ihre lärmende Freude weniger zu gönnen und sinnt, wie angedeutet, von verschiedenen Seiten auf Abhilfe. Unterdessen formieren sich in den Social Networks die ersten Anti-Vuvuzela-Gruppen.
Das ist, offen gesagt, nicht nur ignorant gegenüber der (Fußball-)Kultur des Gastgeberlandes, das in seiner Geschichte wahrlich nicht viel Grund zu Freude und Ausgelassenheit hatte. Es ist auch – und das ist viel schlimmer – sinnbildlich für die eurozentrische Überheblichkeit postkolonialer Prägung: Selbst im globalen, gleichberechtigten Wettbewerb des Fußballfeldes beharrt man auf dem Eigenen, das man anderen „Völkern“ am liebsten aufdrücken würde, in diesem Fall das (melodisch und lyrisch so ungemein wertvolle) „Oooooooohhh oh-oh-oh-oh oohhh oohhh“ europäischer Fankurven. Dann fehlt eigentlich nur noch ein bisschen bierselige Randale, um sich gleich wie zu Hause zu fühlen!
Erfreulicher Weise melden sich mittlerweile aber auch Verteidiger des ungewöhnlichen Stadion-Soundtracks zu Wort, unter ihnen auch DFB-Präsident Theo Zwanziger, der im Gespräch mit team.dfb.de zu Protokoll gab: „Das Turnier findet nun einmal in Südafrika statt und da muss man die hiesigen Gepflogenheiten im Stadion akzeptieren und sich anpassen. Hier gehören die Vuvuzuelas zu einem Fußballspiel wie in Deutschland die Schlachtgesänge der Fans.“ Diese Aussage Zwanzigers passt zu der Botschaft, die FIFA-Chef Joseph Blatter und Südafrikas Präsident Zuma den afrikanischen Fans bei der Eröffnungsfeier in Johannesburg auf den Weg gegeben hatten: Dies ist eure Weltmeisterschaft, Afrikas Weltmeisterschaft.
Und so passt sogar die Beobachtung von SPIEGEL-Online etwas besser: „Allein die Südafrikaner freuen sich über die für die Gäste ungewohnte Dröhnung.“
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