2.500 Kilometer Sandwall durchziehen die Westsahara. Warum Horst Köhlers neuer Job nicht einfach wird, erklärt unter anderem ein ehemaliger Leiter der UN-Friedensmission.
von Annett Hellwig & Stefan
Die Marokkanische Sahara, eine weite Landschaft, ist eine vielseitige Region voller Kontraste. Faszinierend, unwirtlich, reich, mysteriös.“ Die einleitenden Sätze des Reiseführers, der in Zusammenarbeit mit Marokkos staatlicher Entwicklungsagentur für die sogenannten „südlichen Provinzen“ herausgegeben wurde, klingen verlockend. Romantische Dünenlandschaften, folkloristisch gekleidete Einheimische und Kamele lächeln den potentiellen Reisenden von den Hochglanzseiten an. Das maghrebinische Königreich, so die offizielle Botschaft, ist stolz auf die Kultur und Geschichte „seiner“ Sahara und die „Wiederherstellung der natürlichen territorialen Integrität“. „Für die marokkanische Bevölkerung gehören die ‚südlichen Provinzen’ völlig selbstverständlich zu Marokko und die Autonomiepläne der Regierung gelten als weitreichendes Entgegenkommen. Wer anders denkt, gilt als Landesverräter“, fasst es die stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses für Menschenrechte im Europäischen Parlament, Barbara Lochbihler, zusammen.
Im Zuge der Entkolonialisierung Afrikas erhoben Marokko und Mauretanien Anspruch auf die spanische Kolonie, der Internationale Gerichtshof sprach jedoch 1974 der indigenen Bevölkerung, den Sahrauis, das Selbstbestimmungsrecht zu, das durch ein Referendum bestätigt werden sollte. Spanien zog sich daraufhin unvermittelt zurück, was zu Konflikten und zur Teilung der Westsahara zwischen Marokko und Mauretanien führte. Heute werden Marokkos Gebietsansprüche nach außen hin von einem über 2.500 Kilometer langen, verminten Sandwall geschützt und im Inneren von einem repressiven Sicherheitsapparat verteidigt. Die Sahrauis verließen im Zuge der Kämpfe nach der marokkanischen Annexion zahlreich den Landstrich. Viele von ihnen leben heute in algerischen Flüchtlingslagern um Tindouf und nur wenige in dem von der Frente Polisario, der auch militärisch agierenden sahrauischen „Befreiungsfront“, beherrschten Gebiet jenseits des Grenzwalls. Die Polisario wird auch von Algerien, dem Kontrahenten Marokkos in der Region, unterstützt. Innerhalb des marokkanisch kontrollierten Gebietes fühlen sich viele Sahrauis als Bürger zweiter Klasse, von einigen ausgewählten kooperationswilligen Vorzeigepersönlichkeiten abgesehen.
Eine Mauer aus Sand
Der Waffenstillstand zwischen beiden Seiten wird seit 1991 von der UN-Mission MINURSO (dt.: Mission der Vereinten Nationen für die Durchführung des Referendums in der Westsahara) mit Sitz im westsaharischen Laayoune überwacht. Das seit 1974 angedachte Referendum wurde bis heute nicht abgehalten, da sich die Konfliktparteien nicht einigen konnten, wer abstimmungsberechtigt ist.
Das Verhältnis zwischen Marokko und der UN ist dabei nicht immer reibungslos gewesen. Als quasi reine Beobachtungsmission, die bis heute trotz mehrerer Anläufe auch nicht mit dem Mandat ausgestattet ist, die Menschenrechtslage vor Ort explizit zu beurteilen, ist MINURSO mehr oder weniger auf das Wohlwollen der marokkanischen Behörden angewiesen. Kleinere Stützpunkte der UN außerhalb Laayounes sind von einer Art Mini-Sandwall der Royal Moroccan Army umgeben; offiziell zum Schutz der unbewaffneten UN-Truppen, doch die marokkanischen Stützpunkte stellen auch die Kontrolle des UN-Personals sicher. Es kam in der Vergangenheit zu teils absurden Szenen, wie etwa 2007: Eine einzelne marokkanische Flagge, die bis dahin auf dem MINURSO-Gelände in der Provinzhauptstadt Laayoune wehte, wurde eingeholt, um auch nach außen sichtbar dem Neutralitätsanspruch der UN gerecht zu werden. Darauf folgend erhob sich ein ganzer Flaggenwald, der den UN-Stützpunkt quasi mit marokkanischen Hoheitssymbolen umzingelte und somit den Kontrollanspruch und die Deutungsmacht in dem Gebiet klarstellen sollte. Während diese kuriose Episode (die Flaggen wurden still-schweigend nach und nach wieder reduziert) vergleichsweise harmlos vorüberging, fühlte sich Marokko An-fang 2016 jedoch zu deutlicheren Maßnahmen genötigt, um zu zeigen, wer in der Westsahara das Heft in der Hand hält: Der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hatte es gewagt, während eines Besuchs der Flüchtlingslager im Süden Algeriens den Begriff der occupation auf Marokkos Verhältnis zu seiner „Südprovinz“ anzuwenden. Als Ausdruck der Empörung darüber verwies die marokkanische Führung mehrere Dutzend ziviler UN-Mitarbeiter des Landes. Dies ist ein typisches Beispiel für das Verhalten beider Konfliktparteien: „Die Arbeit von reinen Beobachtermissionen, wie es MINURSO de-facto ist, ist immer kompliziert“, meint der ehemalige MINURSO-Leiter Dr. Wolfgang Weisbrod-Weber: „Solche Einsätze haben praktisch keine eigenen Hebel, um das Verhalten der Streitparteien zu beeinflussen, denn die Hebel halten der Sicherheitsrat und einzelne ‚Staaten mit Einfluss’. Deshalb ist es für die Streitparteien relativ einfach – und folgenlos –, ihre Unzufriedenheit über ‚die UN’ mit Sanktionen gegen die jeweilige Mission auszudrücken.“
Fisch, Phosphat und Menschenrechte
Marokko indes profitiert wirtschaftlich von dem Landstrich in der Wüste: Neben weißem Saharasand zur Verschönerung kanarischer Strände und Arganöl zur Veredelung aller möglichen Kosmetikprodukte rentieren sich für das Königreich unter Mohammed VI. vor allem die – vielleicht weltweit größten – Phosphatvorkommen und die (noch) reichen Fischereigründe vor der langgestreckten Atlantikküste. Des Weiteren ist das Gebiet als Verbindung zu den anderen Staaten Nordwest-Afrikas von großer Bedeutung und unterstreicht gleichzeitig den Anspruch als Regionalmacht, denn die Westsahara bzw. die „Südlichen Provinzen“ bilden immerhin 37 Prozent des Staatsterritoriums Marokkos. Somit profitiert das Königreich einerseits vom Status quo, andererseits zieht der Kampf um die Westsahara viele Ressourcen aus dem marokkanischen Staatsapparat. „Was die Zeit angeht, so glaube ich nicht, dass sie unbedingt für Marokko arbeitet. Marokko kann soviel Straßen bauen, wie es will; soviel Fischereiabkommen mit der EU abschließen, wie es will; soviel Truppen zu UN-Einsätzen senden, wie es will – die ‚dunkle Wolke’ über dem Land wird nicht weggehen, so lange das Westsahara-Problem nicht gelöst ist“, kommentiert ein Beobachter.
Diese Ansicht wird auch von dem Ende 2016 gefällten EuGH-Urteil zum Freihandelsabkommen mit Marokko bestätigt. Das Gericht kritisierte, dass Produkte aus dem westsaharischen Teil Marokkos nicht zu den gleichen Konditionen importiert werden dürften wie aus dem völkerrechtlich anerkannten Teil des Königreiches. Man mache sich zu „Komplizen der marokkanischen Besatzung, wenn man zu diesen Bedingungen Waren und Produkte aus der Westsahara importiert, – möglicherweise noch von deutschen oder europäischen Unternehmen, die dort Geschäfte machen“, erklärt Barbara Lochbihler. Doch widerstandslos wurde das Urteil nicht hingenommen, wie Werner Ruf, Professor für Politikwissenschaft, verdeutlicht: „Die EU-Kommission hat – mit Unterstützung Deutschlands – Einspruch gegen das Urteil eingelegt. Derzeit sieht es so aus, als ob die EU-Kommission alle möglichen Ausflüchte sucht, um dem Urteil nicht entsprechen zu müssen.“ Dabei sind nicht nur Handelsinteressen entscheidend: „Marokko wird gebraucht: Für die Stabilität in der Region, für die Abwehr von Flüchtlingen, im Kampf gegen den Terrorismus, bei der Nutzung von Bodenschätzen und Fischbeständen. Die Bundesregierung kann keinen Druck auf Marokko ausüben, wenn es abgelehnte Asylbewerber dorthin zurückschicken will“, so Ruf. „Auch Spanien hat mit seinen Enklaven Ceuta und Melilla ein Interesse an Grenzsicherung. Frankreich möchte seine erheblichen Rüstungsverkäufe an Marokko sichern“. Rein theoretisch hätte die EU als wichtigster Handelspartner Marokkos durchaus ein Druckpotential, das sie zur Beilegung des Westsahara-Konfliktes nutzen könnte. „Die Mitgliedsstaaten müssten sich nur einig sein.“
Einig scheint man sich aber nur in einem Punkt zu sein: Wirtschaftsinteressen und die Angst vor einer Destabilisierung des Landes lassen den Status quo als geringstes Übel erscheinen.
Marokko gab indes zwischenzeitlich auch Grund zur Hoffnung, zum Beispiel mit der Gründung des Nationalen Menschenrechtsrates, der auch international Anerkennung erfährt. „Im Internationalen Verband der Menschenrechtsinstitute bringt der marokkanische Rat sich engagiert ein. Im Hinblick auf den völkerrechtlichen Status der Westsahara folgt er aber ganz klar der politischen Vorgabe des Königshauses“, ordnet Lochbihler die Arbeit des Menschenrechtsrates ein. Gleichzeitig gibt es wenig Transparenz hinsichtlich der Situation in der Westsahara, schildert Politologe Ruf: „Marokko behindert nach wie vor Journalisten und Parlamentarier bei der Einreise in das Gebiet, sodass nur wenig über die tatsächliche Lage nachprüfbar bekannt wird. Derzeit findet in zweiter Instanz ein Prozess gegen über zwanzig Sahrauis statt, die beschuldigt werden, 2010 ein Protestlager organisiert zu haben. Obwohl es sich dabei um Zivilisten handelt, wird der Prozess vor einem Militärgericht geführt, Geständnisse wurden unter Folter erpresst, ausländische Berichterstatter werden nicht zugelassen.“
Quo vadis, Westsahara?
Der bisherige Persönliche Gesandte des UN-Generalsekretärs für die Westsahara, Christopher Ross, hatte im März 2017 seinen Rücktritt bekanntgegeben – ein Schritt, den schon viele seiner Vorgänger getan haben: „Es gehört aber auch zum guten Ton, einem neuen Generalsekretär die Möglichkeit zu geben, sich neues Führungspersonal zu suchen“, kommentiert der langjährige UN-Mitarbeiter Weisbrod-Weber. So braucht der neue UN-Sondergesandte, Bundespräsident a. D. Horst Köhler, internationale Verhandlungsunterstützung, vor allem durch den neuen UN-Generalsekretär. „Dazu gehört auch, dass die Vereinten Nationen endlich das Mandat der MINURSO auch mit dem Auftrag zur Überwachung der Menschenrechtssituation ausstatten. Dies hat Marokko bisher mit französischer Unterstützung im Sicherheitsrat zu verhindern gewusst“, verdeutlicht die EU-Parlamentarierin Lochbihler.
Marokkos kürzlicher Wiedereintritt in die Afrikanische Union, aus der das Land 1984 wegen der Aufnahme der „Demokratischen Arabischen Republik Westsahara“ ausgetreten war, wird auch keine schnelle Veränderung im Verhalten der Konfliktparteien bewirken, da sind sich alle befragten Experten einig. Denn Marokko pflegt seine Freundschaften auf dem afrikanischen Kontinent vor allem durch geliehenes Geld aus den Emiraten. Viel wichtiger ist die bereits erwähnte Abhängigkeit zu einigen europäischen Staaten, die Angst vor einer Destabilisierung des Königreichs haben und deshalb keinen Druck ausüben. „Vor kurzem hat Marokko einen kleinen Streifen des Territoriums im Süden nahe der mauretanischen Grenze besetzt. Das war ein klarer Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen“, erklärt Werner Ruf. Er vertritt die Meinung, dass es trotz des kurzzeitigen Stand-offs der beiden verfeindeten Parteien nicht zu einer Eskalation kommen wird. Eine schnelle Lösung des Konfliktes ist aber ebenso unwahrscheinlich, da die internationale Gemeinschaft nicht mit einer Stimme spricht und andere Konflikte das Thema überlagern. Dieses Dilemma fasste bereits ein anderer ehemaliger MINURSO-Leiter in treffende Worte: „The Western Sahara is on the top of no one’s agenda.“
Annett Hellwig hat Peace and Conflict Studies in Marburg studiert und hat gemeinsam mit unserem Redakteur Stefan die UN-Mission MINURSO in der Westsahara besucht.
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