Passend zur US-Wahl gibt’s von uns zwei Lektüretipps mit nicht ganz alltäglichem Zugang zu amerikanischer Mentalität und Politik: in Bild, Text – und Baustil.
von Frank
Regelmäßig alle vier Jahre steigt die Zahl von Buchveröffentlichungen zu US‑Themen signifikant an. Viele davon sind populärwissenschaftliche Sachbücher, die für Verlage einen schnellen Gewinn durch die gesteigerte mediale Präsenz des Großthemas „USA“ versprechen. Wir werfen dagegen einen Blick auf zwei Buchveröffentlichungen, die sich abseits der üblichen Biographie-, Memoiren- und Amerika-Erklär-Literatur bewegen.
Passend zum Rennen ums Weiße Haus lohnt sich eine Beschäftigung mit der US-Hauptstadt Washington, D.C. und ihrer nationalen Symbolik. Anna Minta, tätig am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich, widmet diesem Themenkomplex den fast 500-seitigen Band Staatsbauten und Sakralarchitektur in Washington/DC – Stilkonzepte patriotischer Baukunst. Dabei wird unter anderem deutlich: Bereits mit der Entscheidung für eine neu zu gründende Bundeshauptstadt (anstelle der Wahl existierender Städte, etwa Philadelphia oder New York) war die Symbolik eines gemeinsamen „Repräsentationsortes“ der Gesamtnation verbunden – eines Ortes, der zudem keinem der Einzelstaaten angehören, sondern als Federal District direkt dem US-Kongress unterstellt sein sollte.
Die Hauptstadt als „monumentale Identitäts- und Erinnerungslandschaft“
Der Militäringenieur Pierre Charles L’Enfant konnte bereits zuvor „seine Vorstellung einer national kodierten Staatsarchitektur erproben“, so Minta, als er den Auftrag erhielt, das Stadthaus von New York für die konstituierende Sitzung des US-Kongresses zur Federal Hall auszubauen. Knapp drei Jahre darauf sollte er die Planung der neuen Hauptstadt übernehmen. Die Herausforderung dabei lag nicht zuletzt in einer geeigneten Abgrenzung von europäisch-kolonialer, insbesondere britischer Architektur. „Kunst- und Architekturinstitutionen, in denen eine solche Entwicklung hätte initiiert und vorangetrieben werden können, fehlten in den USA“, schreibt Anna Minta; insofern betrat man notgedrungen Neuland, als sich die junge Nation auf die Suche nach ihrem eigenem Stil machte.
Die Erwartungen an die Hauptstadt waren dabei nicht nur hoch, sondern auch sehr verschieden: Minta beschreibt die unterschiedlichen Vorstellungen, insbesondere im Kontrast zwischen dem gegenüber einer monumentalen Hauptstadt sehr skeptischen Jefferson – der seinen Widerspruch aber nicht explizit äußerte, sondern stattdessen einen eigenen Vorschlag vorlegte – und Stadtplaner L’Entfant (mit Rückendeckung George Washingtons). Es ergab sich eine „stark politisch aufgeladene Debatten zur Formung des neu gegründeten Staates und seiner institutionellen Repräsentation“, korrespondierte diese doch unter anderem mit der Entscheidung für eine starke Zentralgewalt oder einer hervorgehobenen Rolle der Einzelstaaten, wie Jefferson sie im Sinn hatte.
Bereits in L’Entfants erstem Gesamtentwurf vom August 1791 erkennt man die charakteristischen Park- und Grünflächen der heutigen National Mall als Verbindungselement zwischen dem Kapitol als Sitz des Kongresses und der Residenz des US-Präsidenten. Bei letzterem konnte sich L’Entfant allerdings, wie Minta nachzeichnet, mit seiner Vorstellung eines „Präsidentenpalastes“ – angelehnt an die Architektur monarchistischer Herrschaftsbauten – nicht durchsetzen; stattdessen entschied sich die Auswahlkommission für einen Entwurf des irischstämmigen Architekten James Hoban, bei dem bereits ein bestimmtes charakteristisches Oval im Grundriss auffällt. Im Oktober 1792 erfolgte die Grundsteinlegung für die Präsidentenresidenz; George Washington selbst würde während seiner Präsidentschaft das (freilich erst später als White House bekannte) Gebäude nicht mehr bewohnen.
Architektur als „visuelles Kommunikationsmittel“
Bei seiner stadtplanerischen Vorarbeit hatte L’Enfant (dessen Einsprüche gegen die Gestaltung der Präsidentenresidenz Minta ebenfalls herausarbeitet) bewusst Räume für eine Erweiterung der „Erinnerungslandschaft“ gelassen. Die Autorin macht an weiteren Beispielen die Stildiskussionen über diese neue Monumente und Denkmäler nachvollziehbar, etwa anhand der Debatten im US-Kongress über das Washington Monument im Zentrum der National Mall, der Diskussion verschiedener Vorschläge für das Lincoln Memorial oder religiöser Referenzen beim Bau des United States Supreme Court Gebäudes in Capitol Hill. Immer wieder arbeitet Minta die unterschiedlichen Vorstellungen – und deren symbolische Implikationen – sowie Anleihen aus Kunst- und Baustilen heraus. Bisweilen sind diese Analysen für Nichtkenner von Architektur- bzw. Kunstgeschichte etwas schwierig nachzuvollziehen, insbesondere was die Beschreibung der Gebäudedetails betrifft, doch im Laufe der Kapitel gewöhnt man sich auch als fachfremder Leser an die Termini. Letztlich liefert Anna Mintas Buch auch weniger eine chronologisch durchbuchstabierte Bau-Geschichte als vielmehr eine Art Debatten-Geschichte mit einer Vielzahl involvierter Akteure aus Politik, Architektur und Verwaltung.
Nun ist es im amerikanischen Politikbetrieb freilich kein Geheimnis, dass man, will man die „Seele“ der US-Wählerschaft verstehen, eben hinaus muss aus der Hauptstadt und ihrem beltway. Nicht ohne Grund wird seit Jahrzehnten ein ums andere Mal von Präsidentschaftskandidaten betont, wie sehr man außerhalb des Establishments von D.C. stehe.
Eine fotografische Reise in die Peripherie
Abseits der Hauptstadt, mehr noch: abseits der urbanen Metropolen, mitten in die Peripherie und ins so genannte Flyoverland, dorthin holt uns der Bildband Country Limit des französischstämmigen Fotografen Ronan Guillou. Seine Fotografien entstanden zwischen 2011 und 2013 auf einer langen Reise quer durch USA und porträtieren die Gebiete an den Stadtgrenzen verschiedener Bundesstaaten, die „country limits“. Sei es in Wyoming, in Maryland oder Alabama, in Texas, Utah oder New Mexiko: Guillous Aufnahmen zeigen ländliche Gebiete und ihre zerbrechliche Natur (ein Bild mit dem Titel „Unlucky“ etwa zeigt einen toten Vogel am Rande eines Highways), aber häufig auch die Zerbrechlichkeit menschlicher Existenzen (etwa verheerende Sturmschäden in Mississippi).
Guillou, der die USA – inspiriert von Wim Wenders’ Film Paris, Texas – zum Thema seines fotografischen Schaffens gemacht hat, liefert dabei Kunstfotografie, nicht dokumentarische im journalistischen Sinne; insofern erscheinen die Aufnahmen in Country Limit auf den ersten Blick oft sehr abstrakt, bisweilen banal. Aber man kann ihnen auch eine gewisse Poesie nicht absprechen; so zeigt beispielsweise das Bild mit dem Titel „Power of Man“ ein gerodetes Waldstück in Wyoming:
Die Interaktion zwischen Mensch und Natur (und auch zwischen Mensch und Tier) durchzieht den Bildband als eine Art Leitfaden – das Foto mit dem Titel „Country Limit“ zeigt denn auch eine Asphaltstraße in New Mexico, in und durch die sich langsam Grasbüschel wuchern. Noch mehr als mit Zivilisation und menschlichem Eingriff befassen sich die in dem Band versammelten Fotografien nämlich mit dem Alte(r)n und dem Verfall: Immer wieder bildet Guillou in seinen Aufnahmen darum auch Antiquarisches ab, Second-Hand-Flohmärkte, Kitsch und Altes; der Pariser Kunsthistoriker Michel Poivert spricht in seinem Nachwort vom visuellen Narrativ einer „topographic manifestation of obsolescence“. Fast als brächte der Zahn der Zeit das Land ebenso an seine limits wie der nagende Selbstzweifel. Eine Unsicherheit über die eigene greatness, die wohl unabhängig vom Ausgang der Wahlen nicht so schnell verschwinden wird.
Anna Minta:
Staatsbauten und Sakralarchitektur in Washington/DC
Stilkonzepte patriotischer Baukunst
Reimer Verlag 2015
481 Seiten
69,00 €
Ronan Guillou:
Country Limit
Kehrer-Verlag 2015
128 Seiten mit 77 Farbabb.
39,90 €
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