… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage – Anfang und Ende des Liebesnarrativs

Über die Liebe auf den ersten Blick, das tragische und schnelle Ende von Liebespaaren und warum in der Literaturgeschichte kaum über Langzeitehen geschrieben wird, schreibt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.

von Thomas Honegger

Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, das Liebesnarrativ von seinem ‚Happy-Ende‘ anzugehen. In der Sprache der Märchen bildet die ‚Hoch-Zeit‘ im eigentlichen Sinne des Wortes den Höhepunkt des Liebesbeziehung-Narrativs und gleichzeitig seinen Abschluss. Wie wir alle wissen, ist dies in der Realität leider nicht immer der Fall. Ephraim Kishon hat in seinem heiteren Trauerspiel Es war die Lerche (1973) das so interessante wie unterhaltsame Gedankenexperiment angestellt, was wohl aus dem tragischen Liebespaar Romeo und Julia geworden wäre, wenn sie überlebt und 29 Jahre lang eine normale Ehe hätten führen können. Das Ergebnis ist, wie zu erwarten, ernüchternd und führt vor Augen, wieso viele der klassischen Liebesgeschichten entweder glücklich mit der Hochzeit oder tragisch mit dem frühen Tod der Liebenden enden.

Was aber markiert oder, besser, konstituiert den Beginn einer Liebesbeziehung? Wiederum können wir auf Romeo und Julia zurückgreifen – diesmal jedoch in der Version von William Shakespeare. Romeo wird gleich von Anfang an als ‚der Liebende‘ eingeführt – allerdings ist das Objekt seiner Begierde Rosalinde, die dann am Ende des ersten Akts durch Julia ersetzt wird. Dies geschieht beim Fest im Hause Capulet, wo Romeo Julia zum ersten Mal erblickt und es zum klassischen ‚Liebe auf den ersten Blick‘ Moment kommt, der dann in einem gemeinsam gedichteten Sonett mündet und durch den ersten Kuss besiegelt wird. Was Shakespeare in poetisch-dramatischer Vollendung darstellt, ist der zentrale Akt der Liebeserklärung – ein Sprechakt, der seine Tücken aufweist, jedoch für die Initiierung und Etablierung einer Liebesbeziehung unerlässlich scheint. So wie die Formel ‚Hiermit erkläre ich sie Kraft meines Amtes zu Mann und Frau‘ die Vollendung des Rituals der Eheschließung offiziell und öffentlich bestätigt, so benötigt die Initiierung einer Liebesbeziehung in den meisten Fällen eine explizite Liebeserklärung von der einen Seite – und eine ebenso explizite Ratifizierung durch die angesprochene Person. Ob diese Liebeserklärung mit der prototypischen Formel von ‚Ich liebe Dich‘ geschieht oder in einer angepassten und modifizierten Form, spielt keine Rolle – wichtig ist, dass sie ‚ausgesprochen‘ und klar adressiert wird. Damit setzt sie einen Reaktionsmechanismus in Gang, der so faszinierend wie verwirrend sein kann. Denn mit der expliziten Deklaration seiner Gefühle begeht der Sprecher (ich verwende der Einfachheit halber die traditionelle Rollenaufteilung, wie sie bei Romeo und Julia zu finden ist) einen doppelten ‚face threatening act‘. Auf der einen Seite setzt er die Adressatin unter Druck, denn sie kann nicht nicht reagieren (außer in Ohnmacht zu fallen, wodurch sie von jeglicher Interaktionspflicht entbunden ist), womit ihr ‚negative face‘ (d.h. ihr Anspruch auf eigenbestimmtes Handeln) stark infrage gestellt wird. Jegliche Aktion wird vom Sprecher primär als Reaktion auf seine Liebeserklärung interpretiert werden, was den Handlungsspielraum der Adressatin massiv einschränkt. Auf der anderen Seite riskiert der Sprecher aber eine Verletzung seines ‚positive face‘ (d.h. seines Anspruchs auf Wertschätzung durch das Gegenüber). Geht die Adressatin nicht auf sein ‚Angebot‘ ein, d.h. erwidert sie seine Gefühle nicht, dann stellt dies eine fundamentale Zurückweisung seiner Person dar und ist in einer ganz anderen Kategorie angesiedelt als z.B. ein kritischer Kommentar über seine Krawatte. Es verwundert deshalb nicht, dass sowohl bei der Liebeserklärung wie auch einer eventuellen Zurückweisung oftmals versucht wird ‚Gesicht zu wahren‘, indem auf Vermeidungsstrategien wie Ambiguität oder Indirektheit gesetzt wird. Es muss ja nicht gleich ein gemeinsam gedichtetes Sonett sein, wie bei Romeo und Julia, die sich Zeile für Zeile und Metapher für Metapher annähern, aber eine poetisch-spielerische gestaltete Liebeserklärung hat nicht nur einen ästhetischen Mehrwert, sondern ist eben auch von einem Interaktionsstandpunkt aus sinnvoll.

und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage – Anfangs- und Endpunkte des Liebesnarrativs

Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, das Liebesnarrativ von seinem ‚Happy-Ende‘ anzugehen. In der Sprache der Märchen bildet die ‚Hoch-Zeit‘ im eigentlichen Sinne des Wortes den Höhepunkt des Liebesbeziehung-Narrativs und gleichzeitig seinen Abschluss. Wie wir alle wissen, ist dies in der Realität leider nicht immer der Fall. Ephraim Kishon hat in seinem heiteren Trauerspiel Es war die Lerche (1973) das so interessante wie unterhaltsame Gedankenexperiment angestellt, was wohl aus dem tragischen Liebespaar Romeo und Julia geworden wäre, wenn sie überlebt und 29 Jahre lang eine normale Ehe hätten führen können. Das Ergebnis ist, wie zu erwarten, ernüchternd und führt vor Augen, wieso viele der klassischen Liebesgeschichten entweder glücklich mit der Hochzeit oder tragisch mit dem frühen Tod der Liebenden enden.

Was aber markiert oder, besser, konstituiert den Beginn einer Liebesbeziehung? Wiederum können wir auf Romeo und Julia zurückgreifen – diesmal jedoch in der Version von William Shakespeare. Romeo wird gleich von Anfang an als ‚der Liebende‘ eingeführt – allerdings ist das Objekt seiner Begierde Rosalinde, die dann am Ende des ersten Akts durch Julia ersetzt wird. Dies geschieht beim Fest im Hause Capulet, wo Romeo Julia zum ersten Mal erblickt und es zum klassischen ‚Liebe auf den ersten Blick‘ Moment kommt, der dann in einem gemeinsam gedichteten Sonett mündet und durch den ersten Kuss besiegelt wird. Was Shakespeare in poetisch-dramatischer Vollendung darstellt, ist der zentrale Akt der Liebeserklärung – ein Sprechakt, der seine Tücken aufweist, jedoch für die Initiierung und Etablierung einer Liebesbeziehung unerlässlich scheint. So wie die Formel ‚Hiermit erkläre ich sie Kraft meines Amtes zu Mann und Frau‘ die Vollendung des Rituals der Eheschließung offiziell und öffentlich bestätigt, so benötigt die Initiierung einer Liebesbeziehung in den meisten Fällen eine explizite Liebeserklärung von der einen Seite – und eine ebenso explizite Ratifizierung durch die angesprochene Person. Ob diese Liebeserklärung mit der prototypischen Formel von ‚Ich liebe Dich‘ geschieht oder in einer angepassten und modifizierten Form, spielt keine Rolle – wichtig ist, dass sie ‚ausgesprochen‘ und klar adressiert wird. Damit setzt sie einen Reaktionsmechanismus in Gang, der so faszinierend wie verwirrend sein kann. Denn mit der expliziten Deklaration seiner Gefühle begeht der Sprecher (ich verwende der Einfachheit halber die traditionelle Rollenaufteilung, wie sie bei Romeo und Julia zu finden ist) einen doppelten ‚face threatening act‘. Auf der einen Seite setzt er die Adressatin unter Druck, denn sie kann nicht nicht reagieren (außer in Ohnmacht zu fallen, wodurch sie von jeglicher Interaktionspflicht entbunden ist), womit ihr ‚negative face‘ (d.h. ihr Anspruch auf eigenbestimmtes Handeln) stark infrage gestellt wird. Jegliche Aktion wird vom Sprecher primär als Reaktion auf seine Liebeserklärung interpretiert werden, was den Handlungsspielraum der Adressatin massiv einschränkt. Auf der anderen Seite riskiert der Sprecher aber eine Verletzung seines ‚positive face‘ (d.h. seines Anspruchs auf Wertschätzung durch das Gegenüber). Geht die Adressatin nicht auf sein ‚Angebot‘ ein, d.h. erwidert sie seine Gefühle nicht, dann stellt dies eine fundamentale Zurückweisung seiner Person dar und ist in einer ganz anderen Kategorie angesiedelt als z.B. ein kritischer Kommentar über seine Krawatte. Es verwundert deshalb nicht, dass sowohl bei der Liebeserklärung wie auch einer eventuellen Zurückweisung oftmals versucht wird ‚Gesicht zu wahren‘, indem auf Vermeidungsstrategien wie Ambiguität oder Indirektheit gesetzt wird. Es muss ja nicht gleich ein gemeinsam gedichtetes Sonett sein, wie bei Romeo und Julia, die sich Zeile für Zeile und Metapher für Metapher annähern, aber eine poetisch-spielerische gestaltete Liebeserklärung hat nicht nur einen ästhetischen Mehrwert, sondern ist eben auch von einem Interaktionsstandpunkt aus sinnvoll.


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