Das Erfurter Unternehmen J. A. Topf & Söhne steht für die Verstrickung von Wirtschaft, technologischer Innovation und nationalsozialistischen Verbrechen. Bis zur Errichtung der heutigen Gedenkstätte war es ein langer Prozess.
von Silvana
Das Zitat „Stets gern für Sie beschäftigt…“, welches das unauffällig alleinstehende Gebäude in einer Erfurter Seitengasse ziert, stammt aus einem Geschäftsbrief des einst dort ansässigen Unternehmens J. A. Topf & Söhne an die Zentral-Bauleitung der Waffen-SS und Polizei. Es ist eines der Dokumente, welche die tragende Rolle der Firma Topf & Söhne beim Aufbau der Todesfabriken in Auschwitz-Birkenau belegt. Gleichzeitig wird darin deutlich, dass die Erfurter Ingenieure der SS als selbstbewusste Geschäftspartner und nicht als Befehlsempfänger gegenübertraten. Auf dem lange als „Unort“ betitelten Firmengelände ist nach langen Debatten ein lebendiger Lern- und Geschichtsort entstanden, wo sich intensiv mit der Mittäterschaft des Erfurter Unternehmens am Holocaust und der Verantwortung von Industrie und Wirtschaft auseinandergesetzt wird. Die Frage nach den Handlungen der Firma im Zweiten Weltkrieg fasst der Berliner Kulturwissenschaftler Eckhard Schwarzenberger passend zusammen: „Die Firma Topf & Söhne hat ihren Beitrag zur Massenvernichtung geleistet, indem sie das Know-how und die Technik zur Beseitigung der Ermordeten und der zu Tausenden durch die Zustände in den Lagern Verendete lieferte.“
Dabei machten die Einäscherungsöfen für Krematorien in der gesamten Firmengeschichte allerdings nicht mehr als 2% des Gesamtumsatzes aus. Das feuertechnische Baugeschäft, welches von Johann Andreas Topf 1878 in Erfurt gegründet wurde, produzierte anfänglich nur Mälzerei-Einrichtungen und Heizungsanlagen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spezialisierte sich das Unternehmen immer mehr auf industrielle Feueranlagen in Form von Lüftungsanlagen und Krematorienöfen und wurde zum internationalen Branchenführer in dem neuen Markt. Obwohl die ersten deutschen Krematorien schon im November 1878 in Gotha entwickelt wurden, war die Feuerbestattung bis in die Mitte der 30er Jahre verrufen – sie wurde als christlos und pietätlos betrachtet. Erst 1934 erfolgte eine reichseinheitliche Gesetzgebung, welche die Feuerbestattung der Erdbestattung gleichstellte. In diesem Zusammenhang empfahl sich die Firma Topf & Söhne als Hersteller von Krematoriumstechnik, die eine besonders würdige Einäscherung ermöglichte. Als zuständiger Oberingenieur betonte Kurt Prüfer „die Feuerbestattung dürfe nicht auf die Stufe der Kadaververnichtung sinken, sondern müsse vor allem Gründe der Hygiene und Pietät berücksichtigen“.
Unter der Leitung von Viktor Karl Ludwig Topf und Ernst Wolfgang Topf, der dritten Topf-Generation, begann das, inzwischen mittelständische Großunternehmen, ab 1939 mit der SS zusammenzuarbeiten. Sie wurden zum Hauptlieferanten für Leichenverbrennungsöfen für die nationalistischen Konzentrations- und Vernichtungslager: Buchenwald, Dachau, Mauthausen und Auschwitz-Birkenau. Speziell für letzteres lieferten sie die Ventilationstechnik für die Gaskammern…
Die Großkrematorien im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurden mit Öfen und Gaskammer-Lüftungstechnik aus Erfurt zu „Todesfabriken“ ausgerüstet. Dabei empfanden sie ihre Arbeit an den Krematorienöfen nicht Verbrechen an der Menschheit, sondern sahen in diesem Auftrag lediglich die hohe technologische Herausforderung. Kurt Prüfer gelang es für Auschwitz-Birkenau eine Anlage mit einer Einäscherungskapazität von täglich 4416 Körpern zu entwerfen – dadurch wurde Auschwitz 1943 zum Zentrum der Vernichtung der europäischen Juden. Im Wissen um den Massenmord durch Vergasung in Auschwitz reichte die Firma auf Initiative des Ingenieurs Fritz Sander einen Patentantrag für einen „kontinuierlich arbeitenden Leichen-Verbrennungsofen für Massenbetrieb“ ein. Um die Öfen zu testen, zu reparieren und die Baumaßnahmen zu leiten, hielten sich einzelne Monteure teilweise bis zu einem Jahr in Auschwitz auf. Dabei standen sie zuweilen mit Stoppuhren vor den Öfen, um die Verbrennungszeit zu messen und zu verkürzen. Von der Sekretärin über den Ingenieur bis zur Firmenleitung – die Angestellten von Topf & Söhne wurden mit einer Selbstverständlichkeit zu Mitwissern und Mittätern, die bis heute schockiert.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges beging Ludwig Topf aus Angst vor seiner Verhaftung am 30. Mai Selbstmord. Sein Bruder Wolfgang Topf floh in die westlichen Besatzungszonen. In Folge dessen wurde die Firma als „herrenlos“ eingestuft und nach kurzer Stilllegung wurden dort ab Juni 1945 Anlagen für die Lebensmittelindustrie produziert. In der Zwischenzeit verhafteten sowjetischen Offizieren vier leitende Angestellten, darunter die Ingenieure Kurt Prüfer und Fritz Sander. Im Verhör bestritt Kurt Prüfer weder seine Taten, noch ließ er ein Schuldbewusstsein erkennen. Das Unternehmen, welches nach den 1990er Jahren in der privatisierten Wirtschaft keinen Fuß mehr fassen konnte, lief bis zum endgültigen Konkurs im Juni 1996 unter dem Namen VEB Erfurter Mälzerei- und Speicherbau weiter. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keinen nennenswerten Versuch der Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Firmengeschichte. Im Gegenteil: Dem 1942 von Fritz Sander eingereichten Patentantrag für den Verbrennungsofen wurde im Jahre 1950 in der neu gegründeten Bundesrepublik stattgegeben.
Erstmals der französische Revisionist und Holocaust-Leugner Jean-Claude Pressac konnte öffentlichkeitswirksam eine Verbindung zwischen Topf & Söhne und dem Holocaust herstellen. Er deckte die Beziehung zwischen Topf & Söhne und der Zentralbauleitung in Ausschwitz auf und beschäftigte sich intensiv mit den technischen Details der Krematorien. Dabei war das Ziel des Apothekers ursprünglich die Nichtexistenz der Gaskammern bautechnisch und chemisch zu beweisen. Er begann in den 1970er Jahren mit der Analyse der SS-Bauleiterakten in Ausschwitz und forschte in dessen Archiven. Im Hauptarchiv in Weimar stieß er schließlich auf die Firmenakten von Topf & Söhne. Da zu dieser Zeit noch kein Interesse an den Dokumenten bestand, wurden sie ihm – seiner Auskunft nach – von der Geschäftsleitung des damaligen Betriebs überlassen. Darunter waren auch Beweise in Form von Zeichnungen des ersten mobilen Leichenverbrennungsofens Kurt Prüfers und die Patentanmeldung Fritz Sanders. Auf dieser Grundlage erschien schließlich 1993 das Buch „Les Crématories d’Auschwitz“, in dem er die Geschäftsbeziehungen von Topf & Söhne mit der SS bis ins Detail darlegte. Dieses erregte großes internationales Aufsehen, da seine Arbeit eine bis zu diesem Tage dagewesene Lücke der Holocaust-Forschung schloss. Diese Funde bewegten Pressac dazu, sich öffentlich von der Leugnung der Gasmorde zu distanzieren. Das öffentliche Interesse wurde weiter durch die rund 200 Seiten Verhörprotokolle der vier verhafteten Topf-Mitarbeiter verstärkt, die im selben Jahr im Staatsarchiv in Moskau gefunden wurden.
Der Weg der Aufarbeitung der Geschichte des Familienunternehmens war damit geebnet. Sowohl der Urenkel des Familiengründers, Hartmut Topf, der sich öffentlich gegen den abgelehnten Antrag seiner Familie auf Rückübertragung des alten Firmengeländes aussprach, als auch Historiker wie Annegret Schüle, oder der Kulturwissenschaftler Eckhard Schwarzenberger trieben die Aufarbeitung gemeinsam voran: mit kooperierenden Stiftungen, organisierten Veranstaltungen und Projekten für weitere Forschungsperspektiven rund um das ehemalige Firmengelände. Die von Hartmut Topf unterstützte Initiative aus freiwilligen und engagierten Erfurter Bürgern, die sich ab 1999 als „Förderkreis Geschichtsort Topf & Söhne“ konstituierte, bestärkte die Aufarbeitung durch Vorträge renommierter Referenten, durch Tagungen und Publikationen. Der Förderkreis wurde zur treibenden Kraft in der Debatte. Er erhob auch die Forderung nach einem Forschungsprojekt zur Betriebsgeschichte von J. A. Topf & Söhne.
Der nicht beachtete Täter-Ort im Herzen Erfurts wurde durch die Komplexität der Geschehnisse zu einem großen Streitthema. Es ist nicht nur die Bedeutung des Ortes, welcher sich gerade durch die beispielhafte Normalität und repräsentative Durchschnittlichkeit in der Nähe der alltäglichen Lebenswelt auszeichnet. Vielmehr stellt sich die Frage: Soll Topf & Söhne als Geschichtsepisode behandelt werden oder sollte die Aufmerksamkeit auf die grundsätzlichen Fragen der Verantwortung, Beeinflussung und Moral des Unternehmens gelegt werden? Einerseits ist es selbsterklärend Topf & Söhne besonders vor dem Hintergrund der nationalistischen Verbrechen im historischen Kontext zu betrachten, andererseits sollte eben aus der Vergangenheit Erkenntnisse für die Gegenwart oder sogar Zukunft gewonnen werden. Grundkonsens der Debatte: Die Aufarbeitung soll über die benannte Geschäftsbeziehung zur SS und die daraus entstandene Schuld und Verantwortung des einzelnen Unternehmens hinausgehen und übergreifend die Gefahren der Instrumentalisierung der Industrie und deren Verantwortung in Bezug auf die Mittäterschaft im Holocaust betrachten.
Während der Förderkreis im Jahr 2001 erste konzeptionelle Grundsätze zur Umsetzung dieser Ideale entwickelte, stand das Gelände der ehemaligen Topf & Söhne Fabrik leer und wurde von dem autonomen Bildungswerk in Erfurt besetzt. Die Besetzer des Geländes waren zwar anfänglich geteilter Auffassung darüber, ob man an einem (Tat)Ort millionenfachen Mordes ein Kulturzentrum gründen sollte, entschieden sich aber unter der Voraussetzung niemals zu vergessen, wofür der Ort steht, dafür. Durch die Ablehnung der Forderung der Förderinitiative, das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma für Ausstellungs- und Dokumentationszwecke sowie pädagogische Angebote zu nutzen, blieb das autonome Zentrum noch bis zum Jahr 2010 auf dem Firmengelände ansässig.
Auf der Grundlage der Zusammenarbeit der Historikerin Dr. Annegret Schüle und dem Stiftungsdirektor der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora wurde im Jahr 2005 im Rahmen eines Forschungsprojektes eine Wanderausstellung fertiggestellt. Diese wurde mit dem Titel „Technik und Erlösung. Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“ im Juni desselben Jahres im Jüdischen Museum in Berlin feierlich und unter nationalem wie internationalem Medieninteresse eröffnet. Diese Ausstellung war ausschlaggebend dafür, dass die Hemmungen der Stadt Erfurt der Gedenkstätte gegenüber verringert wurde – möglicherweise insbesondere, weil somit die Angst, durch die Erinnerung an die Verstrickung in den Holocaust einen touristischen Imageschaden zu erleiden, verschwand.
Zwei Jahre später fiel dann der Entschluss: Das ehemalige Verwaltungsgebäude des Familienunternehmens sollte zu einem Lern- und Gedenkort werden. Die Polizei räumte nach einigen Verhandlungen das autonome Zentrum 2010. Das Verwaltungsgebäude wurde saniert, um die Ausstellung dauerhaft auf einer Etage zu zeigen; alle anderen Gebäude, auch die denkmalgeschützten Produktionsbauten, wurden abgerissen und durch Wohnungen und gewerblich zur Verfügung stehende Neubauten ersetzt. Möglich war all das schlussendlich durch die finanziellen Mittel der Stadt und des Landes, und durch Fördermittel und Spenden seitens der Förderinitiative den Prozess der Entstehung der Gedenkstätte zu begleiten, zu vernetzen und dauerhaft abzusichern. Der Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz wurde am 27. Januar 2011, dem „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“, eröffnet. „Dieser Ort muss ein Stachel sein im Fleisch der Gesellschaft. Er thematisiert die Verantwortung des Einzelnen, auch wenn er von einem größeren Räderwerk bestimmt ist“, sagte Anselm Hartinger, verantwortlicher Leiter der Erfurter Geschichtsmuseen, zum fünfjährigen Jubiläum der Gedenkstätte der Thüringer Allgemeinen Zeitung. „Dieser Erinnerungsort ist europaweit einmalig.“
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