Der Dokumentarfilm ThuleTuvalu beleuchtet zwei entlegene Orte des Planeten, deren Bewohner durch den Klimawandel zu einer Schicksalsgemeinschaft werden. Eine sehenswerte und emotionale Perspektive auf die Folgen des Klimawandels.
von Martin
Welches Schicksal kann zwei Orte an den entlegensten Enden der Welt miteinander verbinden? Zum einen Thule, den nördlichsten besiedelten Ort der Erde und eisige Bastion menschlicher Zivilisation im arktischen Grönland und zum anderen Tuvalu, den kleinen pazifischen Inselstaat, der beinahe verloren wirkt in den Weiten des Stillen Ozeans. Beide Orte sind nur dünn besiedelt und erscheinen in ihrer Abgelegenheit als letzte Grenzposten menschlicher Zivilisation – symbolisieren damit aber auch den Überlebenswillen des Menschen. Gerade dieser Überlebenswille ist es, der die traditionellen Bewohner und Gemeinschaften dieser Orte seit jeher charakterisiert und der durch den globalen Klimawandel aufs Neue herausgefordert wird. Und so fällt auch die Antwort auf die aufgeworfene Frage leicht, da diese entlegenen Orte, welche auf den ersten Blick pure Gegensätze bilden, gerade durch den Klimawandel dasselbe Schicksal teilen: So ist in Thule der gigantische grönländische Eisrücken bedroht, dessen Abschmelzen zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt und damit buchstäblich den Untergang der kleinen Pazifikinsel Tuvalu verursacht. Jedoch verändert der Klimawandel nicht nur die Geografie dieser Orte, sondern trägt auch zum Heimat- und Kulturverlust der traditionellen Bewohner bei. Denn gerade an diesen abgelegenen Orten erzwingt ein Umweltwandel auch einen Kulturwandel, da nur so eine Fortexistenz der Besiedlungen möglich ist.
Von diesem Kultur- und Heimatverlust erzählt der Dokumentarfilm ThuleTuvalu des Schweizer Regisseurs Matthias von Gunten. Dieser besuchte Thule und Tuvalu und begleitete das Leben der Einwohner und dessen langsame, aber stetige Veränderung mit der Kamera. Entstanden ist ein stiller, empathischer, aber auch melancholischer Film über Menschen, die gezwungen sind, ihre traditionelle und überlieferte Lebensweise aufzugeben. So werden in Thule Bewohner gezeigt, die ausschließlich von der Jagd leben und deren Lebensrhythmus von der jahreszeitlichen Größe des Eisschildes und dem Zug von Robben und Narwalen bestimmt wird. Der Jäger sichert hier traditionell die Ernährung der Familie und der Gemeinschaft. Daher ist auch die Weitergabe der von Generation zu Generation erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten ein wichtiges Ereignis, bestimmt es doch auch die Abfolge der Generationen. Mit der stetigen Verkleinerung des Eispanzers kommen diese Traditionen nun jedoch zum Erliegen, da die Jäger immer mehr von ihren traditionellen Jagdgründen durch eine unüberbrückbare Wasserfläche getrennt werden.
Ähnliches gilt auch für den Inselstaat Tuvalu. Die inzwischen zu großer Bekanntheit gelangte Insel ist schon fast ein Synonym für die drohende Sintflut, die nicht nur Tuvalu ereilt, sondern auch die globalen Küsten bedroht, wenn der internationalen Klimapolitik kein wirksames Gegensteuern gelingt. Hier leben die Menschen traditionell von der Fischerei; in der einfachen, aber vielschichtigen Lebensweise spielt der Besitz und Erwerb von Geld keine relevante Rolle, da es die Natur ist, die die Menschen vor Ort ernährt und den Rhythmus ihres Lebens vorgibt. Dies ändert sich jedoch auch hier, da sich Jahr für Jahr der Ozean ein Stückchen der Küste einverleibt. Folgen der damit einhergehenden Versalzung ist ein Pflanzensterben und zunehmende Bodenerosion, die den Landverlust weiter beschleunigt. Angesichts des Schrumpfens dieses Inselstaates sind die Bewohner gezwungen, eine Umsiedlung in das „benachbarte“ Neuseeland in Betracht zu ziehen – mit jedem Millimeter Anstieg des Meeresspiegels geht so auch ganz real ein Teil Heimat unwiederbringlich verloren. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die neuseeländischen Übersiedler aus ökonomischen Gründen gezwungen sind, den westlichen Lebensstil anzunehmen.
Regisseur von Gunten begleitet die mit dem Klimawandel untrennbar verbundenen Schicksale und lässt dabei die einzelnen Bewohner zu Wort kommen. Es wird dabei bewusst auf eine politisch-gesellschaftliche Stellungnahme und Einordnung verzichtet, da die erzählten Geschichten deutlich für sich sprechen. Damit gelingt ein unverstellter und emotionaler Blick auf diese manchmal als fremd erscheinenden Teile des Planeten, wodurch zugleich auch das medial dominierende Geflecht von Statistiken, Zahlen und politischer Einzelmaßnahmen überwunden wird und den Blick auf die ganz real vorhandenen „Klimaschicksale“ freigibt. Dieser interessante Ansatz wirkt aber zuweilen auch etwas verkürzend, wenn die traditionelle Lebensweise der Einwohner als unverfälscht dargestellt wird, wo doch unlängst auch in diese Entlegenheit „moderne“ Nahrungsmittel und Gerätschaften Einzug gehalten haben. Vor allem durch die nur spärlich verwendeten Hintergrundinformationen erhärtet sich dieser Eindruck.
Dennoch handelt es sich bei ThuleTuvalu um einen absolut sehenswerten, interessanten Dokumentarfilm, der den inzwischen unaufhaltsam gewordenen Klimawandel aus einer neuen und empathischen Perspektive beleuchtet. So sind geografische Umweltveränderungen nicht nur an sich problematisch, sondern auch Auslöser für einen tief greifenden und weit reichenden Wandel traditioneller Lebensweisen, der letztlich immer auch einen Kultur- und Heimatverlust bedeutet. Der Neologismus ThuleTuvalu beschreibt damit in einem Wort das Schicksal zweier völlig unterschiedlicher, aber untrennbar miteinander verbundener Orte, die zu einem Sinnbild des Klimawandels geworden sind.
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deutscher Kinostart: 13.08.
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