Im dritten Teil seiner Trilogie „Liebe, Tod, Teufel“ schickt Regisseur Fatih Akın seinen Protagonisten auf eine Suche, die nur bei sich selbst enden kann.
von Babs
Keine Worte für etwas zu haben ist der Ausdruck höchsten Entsetzens – einer Erfahrung, die mit den begrenzten Möglichkeiten menschlicher Sprache nicht wiederzugeben ist. Deswegen ist es auf tragische Weise konsequent, dass Nazaret Manoogian zunächst seine Stimme und dann seinen Glauben verliert.
Im Jahre 1915 wird der armenische Schmied nachts aus dem Schlaf gerissen und von seiner Frau und seinen Zwillingstöchtern getrennt, um für das osmanische Militär Zwangsarbeit abzuleisten. „Wer einen Kranich sieht, hat eine lange Reise vor sich“, hatte er noch am Tag zuvor zu seinen Kindern gesagt, nicht ahnend, dass seine Reise eine einsame würde, die in einmal quer über den Globus führt.
‚Aghet’ – ‚Katastrophe’: so lautet das armenische Narrativ für den Völkermord der Türken an den Armeniern, der nach unterschiedlichen Schätzungen mehr als 300.000 Menschen das Leben kostete. 2015 jährt sich sein Beginn zum einhundertsten Mal. Auch Nazarets Geschichte beginnt 1915, sie ist jedoch nicht mit dem Krieg 1918 zu Ende, sondern erst Jahre später, auf der anderen Seite des Erdballs.
Dem Teufel begegnet Nazaret im ersten Teil des Filmes, der sich mit den Geschehnissen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges beschäftigt, nicht. Der Teufel ist das Böse, das über jedem Toten, über jedem Lager von Dahindarbenden, über jedem verwehrten Begräbnis schwebt. Doch nie bekommt dieses Böse einen Namen, nie wird es mehr als nur eine schemenhafte Idee. Dem Guten hingegen, dem stetigen Antagonisten des Teufels, begegnet der Christ mehr als einmal. Sei es in Gestalt des menschlichen Diebes Mehmet, der moralischen Bande von Räubern oder aber in Gestalt des Seifenhändlers Omar, der für Nazaret und nach dem Krieg auch viele andere armenische Flüchtlinge ein Refugium in seiner Fabrik in Aleppo schafft. Wohl aufgrund all dieser Erfahrungen verlässt Nazaret zwar der Glauben, nicht aber eine tiefe Menschlichkeit, die Rache unmöglich macht.
Im Flüchtlingslager erfährt der Armenier, dass seine Töchter noch leben. Nun begleitet ihn der Zuschauer auf seiner verzweifelten Suche nach den Zwillingen, die ihn vom Libanon über Kuba und Florida bis nach South Dakota führt. An den Orten armenischer Diaspora nun macht Nazaret Bekanntschaft mit dem personifizierten Bösen. Seien es Farmbesitzer mit der Flinte im Anschlag in Florida oder gewissenlose Bahnmitarbeiter in North Dakota. Doch der Protagonist fügt sich nicht ein, er passt sich nicht an. Als stiller Beobachter bleibt er außen vor – ihn treibt nur der Wunsch an, seine Töchter wieder zu finden.
Während der erste Teil des Films durch dichte Bilder eine Intensität aufbaut, die den Zuschauer fassungslos zurücklässt, verliert sich diese leider bei Nazareths Suche nach seinen Töchtern. Zeitweise wird die Erzählung langatmig und verliert dadurch den Zauber des Anfangs.
Wer erwartet, durch den Film über die Hintergründe des Genozids aufgeklärt zu werden, wird enttäuscht: Fatih Akın versucht nicht, zu erklären. Er nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise und mutet ihm zu, sich ein eigenes Bild zu machen. Als Nazaret am Schluss am Grab seiner Tochter steht, dem ersten richtigen Grab seit Beginn des Films – ein Grab mit einem Stein, auf einem Friedhof, kein notdürftig ausgehobenes in der Wüste mit einem provisorischen Holzkreuz und auch nicht nur eine Decke, die über den Leichnam ausgebreitet wird – da spürt auch der Zuschauer, was Nazaret so lange verwehrt geblieben ist: Frieden.
The Cut startet am 16.10. in den deutschen Kinos.
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