Sehr geehrte Frau Berninger, sehr geehrte Frau Hennig,
nicht völlig überrascht, aber doch mit einiger Verwunderung nehmen wir zur Kenntnis, welche Aktivitäten die Linke im Thüringer Landtag im Bezug auf das Nazi-Interview (abgedruckt in Ausgabe 45 der UNIQUE) entwickelt. Um es gleich zu Beginn zu sagen: Was die Qualität des Intervies angeht, mag ihre Kritik berechtigt sein und wir nehmen diese auch an. Ihre jetztigen Aktivitäten hingegen sind unserer Meinung nach völlig unangemessen, übertrieben und offensichtlich von blindem Hau-drauf-Aktionismus geleitet. Man könnte noch schärfer formulieren: Was Sie derzeit vorantreiben, trägt die Züge einer Rufmordkampagne, einer öffentlichen Demontage der UNIQUE. Die Linke-Fraktion gibt Pressemitteilungen heraus, fordert „personelle Konsequenzen“ und Mittelstreichungen, stellt Anfragen an die Thüringer Landesregierung – ohne die Betroffenen (also uns) auch nur EIN EINZIGES Mal kontaktiert zu haben. Im selben Atemzug wird UNS Unprofessionalität vorgeworfen …
Die UNIQUE ist eine unabhängige, studentische Hochschulzeitung, die sich seit Jahren in überaus engagierter Art und Weise inter- und subkulturellen Themen und Fragestellungen widmet. Wir treten dabei für gegenseitiges Verständnis, Meinungsvielfalt und Offenheit gegenüber anderen Kulturen ein. Ohne alle Redakteure über einen Kamm scheren zu wollen, versteht sich die Redaktion doch eindeutig als links-alternativ bis unpolitisch. Mit Sicherheit können Sie davon ausgehen, dass bei uns weder Nazis noch Nazi-Sympathisanten mitwirken. Das würden schon die Ausländer in unserer Redaktion kaum zulassen. Auch den schwerwiegenden Vorwurf, wir hätten uns den Fragenkatalog von den Nazis diktieren lassen, hätten Sie besser durch einen Anruf in der UNIQUE-Redaktion, nicht mittels der Webseite des „Nationalen Widerstands Jena“ verifizieren sollen. Fakt ist nämlich, dass die Interviewfragen zu 100% aus unserer Feder stammten und von niemandem als uns selbst abgeändert wurden (und auch das nur aus dem Grund, dass kurzfristig der Interviewpartner gewechselt hatte). Als politische Verantwortliche sollten Sie bei der Überprüfung von Informationen wenigstens ansatzweise so professionell vorgehen wie Journalisten, schließlich hat Ihr Handeln viel weitreichendere Konsequenzen – die für eine kleine Zeitschrift wie die unsere u.U. sehr schwerwiegend sein können!
Wir hoffen, dass es nicht das Ziel Ihrer Fraktion ist, uns in eine politische Ecke zu drängen, in der wir gar nicht stehen. Es ist schlicht falsch, das Nazi-Interview als politische Positionierung der UNIQUE zu verstehen. Als unabhängige Zeitschrift fühlen wir uns für die politische Meinungsbildung Jenaer Studenten nicht zuständig – dazu sollte jeder mündige Student intellektuell und individuell in der Lage sein. Deswegen finden wir es auch reichlich überheblich und arrogant, dass sich die Landtagsfraktion der Linken neben anderen Berufsempörern nun aufgefordert fühlt, die Meinungsführerschaft bzw. die Interpretationshoheit über alle Jenaer Studenten und die UNIQUE zu beanspruchen.
Das Interview entsprang allein unserem journalistischen Interesse ungefiltert und ohne die üblichen Vorverurteilungen zu erfahren, was Nazis wirklich denken, was ihr Weltbild ausmacht, wofür und warum sie „kämpfen“ – schließlich drehte sich das Titelthema u.a. um aktivistisches Verhalten extremer politischer Gruppierungen. Das funktioniert nur, wenn wir unseren Lesern einen O-Ton aus dem Zentrum des braunen Sumpfs liefern und nicht schon in unseren Fragestellungen polemisieren. Natürlich ist ein entschärfter Fragenkatalog eine Gratwanderung, das war uns sehr bewußt. Andernfalls hätte das Interview aber auch nicht stattgefunden. Wir wollten nicht zum 100. Mal Informationen aus zweiter Hand und nur den Diskurs ÜBER Nazis abdrucken. Das hat seit Jahrzehnten zu kaum mehr geführt als zu sich wechselseitig hochschaukelnder Polemik, zu Verharmlosung, Verdrehung bzw. Verdrängung des rechten Problems und zur weiteren Vertiefung ideologischer Gräben.
Wir wollten Fragen stellen, die sich aus überzogener Panik gegenüber scheinbar „übermächtigen“ Nazis sonst keiner zu fragen getraut – eben ohne die ganze gesellschaftliche Realitäten verstellende, in weiten Teilen pauschalisierte und heuchlerische Nazi-Hysterie. Wir wollten mit der anderen politischen Seite reden und sie nicht nur unreflektiert verteufeln. Von dieser Strategie war unser Interviewpartner übrigens sichtlich irritiert. Vielleicht ist es uns ja sogar gelungen, sein Weltbild wenigstens etwas ins Wanken zu bringen – ganz ohne plumpe Schreierei auf dem „Nazis raus!“-Niveau! Nazis lassen sich nämlich nicht einfach wegschreien, das ist einer der großen Irrglauben der Linken. Im Gegenteil, die Berührungsängste der Medien und linke Phrasendrescherei bestärken sie nur im Glauben eine verfolgte Randgruppe zu sein – mit den bekannten Folgen: weitere Abkapselung von der Gesellschaft und weitere Radikalisierung.
Die Selbstentlarvung und Interpretation des im Interview Gesagten sollten daher allein unsere Leser übernehmen, denn wie gesagt: dazu sind sie in der Lage! Nicht zuletzt wollen weder die Jenaer Studenten noch wir von irgendeiner politischen Partei bevormundet, mundtot gemacht oder gar zensiert werden. Die grundgesetzlich verankerte Pressefreiheit ist für die UNIQUE-Redaktion nicht nur eine hohle Phrase, wir vertreten sie auch nach außen offensiv. Außerdem entspricht es unserem linkspolitischen journalistischen Selbstverständnis, dass Informationen überall frei verfügbar sein sollten. Dabei machen wir keine qualitativen Unterschiede zwischen Nazis, linken Hausbesetzern, frisierten Pudeln und einarmigen Banditen – jeder Interviewpartner wird von uns gleich, d. h. fair, unvoreingenommen, menschlich, distanziert, mit Respekt und ergebnisoffen behandelt. Das mag der Landtagsfraktion der Linken vielleicht nicht gefallen, alles andere halten wir aber für intolerant und verbohrt. Außerdem fällt auf, wie vorhersehbar und schematisiert viele der empörten Reaktionen ablaufen, die übrigens keinesweg repräsentativ für die Mehrheitsmeinung unserer Leser sind. Diese haben uns auch mit reichlich Lob bedacht.
Was uns insbesondere stört, ist, dass ein Großteil der Empörung nur noch mit den Wort Hysterie zu umschreiben ist. Nicht wir, sondern die üblichen Verdächtigen haben den eigentlichen Skandal ausgelöst – den WIR in dieser Dimension gar nicht wollten. Dieser Skandal verschafft den Nazis noch weit mehr Aufmerksamkeit als wir mit unserem bescheidenen Blättchen je zustande gebracht hätten. Dass wir uns mit dpd-Pressemeldungen, Rücktrittsforderungen, Podiumsdiskussionen, einem dauerklingelnden Telefon, der TA, OTZ, und Linksfraktion auseinandersetzen und wir uns der absurdesten Beschuldigungen erwehren müssen, liegt zum Großteil auch an der fehlenden Gelassenheit vieler an der Debatte beteiligter Akteure. Hier wird das Treiben weitaus mehr als nötig verrückt gemacht und wieder besseren Wissens blind auf uns draufgehauen – und das ist nicht in Ordnung. Wir stehen auf Seite der Demokratie und der Pressefreiheit, nicht auf Seite der Nazis – das muss man nach den letzten Tagen ja fast schon dazusagen!
Aus all den genannten Gründen distanzieren wir uns ausdrücklich von den von Ihnen geforderten „Konsequenzen“. Sowohl wir als Interviewer als auch die Redaktion stehen weiter voll und ganz hinter unserer letzten Ausgabe.
An einer offenen, fairen, möglichst ideologiefreien und konstruktiven Diskussion auch mit der Landtagsfraktion sind wir interessiert – insofern es unsere Zeit zuläßt. Bis dahin können Sie mit Ihrem Einfluss dafür sorgen, dass sich alle Beteiligten auf Landesebene den Kopf mit kaltem Wasser waschen und das Problem nicht größer machen, als es tatsächlich ist. Wir verbleiben …
… mit freundlichen Grüßen, Fabian Köhler und Lutz Thormann
Schreibe einen Kommentar