Spaghetti, Seefahrt und Steuerbetrug – Die Religion und die Seefahrt

Arche Noah, Poseidon… – alles schon zur Genüge gehört? Hier werfen wir einmal einen Blick auf weniger bekannte Religionsgruppen und ihre einzigartigen (und manchmal bizarren) Bezüge zur Seefahrt.

von Ella

Mormonen – Wer entdeckte Amerika zuerst?

Schon gehört, dass Jesus in Amerika war? Laut den Mormonen ist er dort nach seiner Auferstehung erschienen. Dabei berufen sie sich auf das Book of Mormon, das der 24-jährige Joseph Smith 1830 veröffentlichte. Ein Engel hätte ihn drei Jahre zuvor zu in der Nähe seines Hauses vergrabenen, in reformierter ägyptischer Sprache verfassten Goldtafeln geführt und ihm erklärt, dass alle Kirchen Falsches lehren. Darauf übersetzte er mit magischen Seher-Steinen die Tafeln, schrieb so das Book of Mormon und gründete eine eigene Kirche. Die Mormonen oder Anhänger der „Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints“, wie sich die Glaubensgemeinschaft heute nennt, glauben neben der Bibel an die absolute Wahrheit dieses Buches. Demnach sei 600 v.Chr. eine Gruppe von Juden auf Gottes Befehl aus Jerusalem geflohen, um dem Zorn ihrer Mitmenschen, den ihre Lehren erregten, zu entgehen. Sie hätten dann ein Boot gebaut und seien nach Amerika gesegelt. Dort teilten sie sich in zwei Fraktionen: die guten, gottesfürchtigen, weißen Nephiten und die Lamaniten, die rebellisch und von Gott abgewandt waren und dafür mit dunkler Haut gestraft wurden. Nach Jahrhunderten des Krieges, Wiedervereinigung durch Jesus‘ Lehren und erneutem Zerfall in Fraktionen löschten die Lamaniten das Volk der Nephiten ca. 400 n.Chr. endgültig aus. Jene Lamaniten wären die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner.

Nun gibt es weder reformiertes Ägyptisch oder Beweise für die Existenz jener goldenen Platten, noch zeigen Analysen der DNA von tausenden Native Americans den Mittleren Osten als deren Herkunft. Doch die Kirche hält daran fest, ja nutzt es sogar als Mittel zur Missionierung, besonders in Mittel- und Südamerika. Trotzdem ist der Gedanke faszinierend, dass über 2000 Jahre bevor Christoph Kolumbus 1492 von Spanien aus die karibischen Inseln erreichte und 1600 Jahre bevor Skandinavier über Island und Grönland kommend erstmals Amerika erreichten, eine Familie in einem selbst gebauten Boot das gleiche geschafft haben soll. Dabei ist die Reise vom Mittleren Osten aus um ein Vielfaches länger. Und dass von angeblichen Jahrhunderten der Zivilisation dort kein einziger archäologischer Fund erhalten ist – auch kein Stahl und keine Knochen von Pferden, die im Book of Mormon geschildert werden, während die wenigen Jahre der isländisch-grönländischen Siedlung sichtbare Spuren hinterließen, ist ebenso unglaublich – wortwörtlich!

 

Scientology – Leben wie Gott auf internationalen Gewässern

Im Jahr 1950 schrieb Science-Fiction-Autor und Ex-Marine-Lieutenant L. Ron Hubbard Dianetics: The Modern Science of Mental Health. Das Buch, welches das große Interesse an Psychologie und Selbsthilfe ansprach, wurde schnell zum Bestseller. Hubbard behauptete darin, dass alle körperlichen Leiden psychosomatisch seien und durch das Beseitigen von Traumata und negativen emotionalen Reaktionen geheilt werden könnten. Traumata werden mit E-Metern, vereinfachten Lügendetektoren, in therapieähnlichen Sitzungen (genannt „Auditing“) aufgespürt und so lange angesprochen, bis sich keine emotionale Reaktion mehr zeigt. Durch Nutzen dieser Technik könne ein Zustand optimaler Gesundheit und mentaler Leistungsfähigkeit erreicht werden – Heilung aller Krankheiten wird versprochen.

Die Behauptung, eine Wissenschaft zu betreiben, ließ man Hubbard nicht durchgehen. Fachjournals lehnten seine Beiträge ab, die Food and Drug Administration stellte seine Verwendung der E-Meter als unwissenschaftlich heraus, ging rechtlich gegen ihn vor und konfiszierte Bücher und Geräte. Außerdem wurde die Steuerbefreiung aufgehoben, die man Scientology nur gab, weil Hubbard sie 1954 als Religion gründete (heute ist sie kontroverserweise wieder steuerbefreit). Um der staatlichen Überwachung und legalen Konsequenzen von Betrug und Steuerhinterziehung zu entgehen, kaufte sich Hubbard 1967 mehrere Schiffe und fuhr in internationale Gewässer. Die Schiffe befuhren das Mittelmeer und die Atlantik-Küsten Europas und Afrikas. Auf diesen konnten Scientologen E-Meter nutzen und die Trainings durchlaufen, die ihnen Superkräfte wie ein perfektes Gedächtnis oder Fern-Kommunikation geben sollten. Auf seinem Flaggschiff Apollo wurde er von ergebenen Anhängern bedient und erweiterte die Struktur und Doktrin von Scientology. Gleichzeitig gründete er die Sea Organization, eine militärisch gedrillte Elite-Truppe, gekleidet in Marineuniformen. Dabei waren sie strengsten Regeln und den Launen des zunehmend paranoiden Hubbard ausgesetzt: Bei Missfallen oder Befehlsverweigerung wurden seine Anhänger einfach über Bord geworfen, bei Wiederholungstat sogar gefesselt und mit verbundenen Augen. Sie wurden zwar anschließend gerettet, aber das tat der intendierten Einschüchterung wenig ab.

1975 wurden die Schiffe verkauft und die Organisation aus Gründen der Profitabilität in eine Landbasis in Clearwater, Florida verlegt. Es konnten schlicht mehr Interessierte zum Auditing und Training zur Flag-Land-Basis gebracht werden als auf die Schiffe. Außerdem suchte man wohlhabende Personen, die sich die teuren Programme leisten konnten. Doch die Uniformen und der militärischer Habitus wurden beibehalten. Hubbard zog auch erst nach Florida, dann nach Kalifornien, wo er bis 1986 versteckt lebte. Zum Zeitpunkt seines Todes besaß er ein geschätztes Gesamtvermögen von 100 Millionen USD. Mit der Erfindung seiner Religion machte er sich von einem armen Science-Fiction-Autoren zu einem der reichsten Menschen seiner Zeit.

 

Pastafari – Piraten-Hochzeit auf hoher See

Eine deutlich harmlosere religiöse Gemeinschaft sind die Pastafaris: Sie glauben an das Fliegende Spaghettimonster (kurz: FSM) und daran, dass man viel Pasta essen sollte, um ihm zu huldigen. Entstanden ist die Idee für die Parodiereligion durch einen Brief des US-Amerikaners Bobby Henderson an die Schulbehörde von Kansas, in welchem er die Forderungen fundamentaler Christen parodiert. Jene forderten nämlich das Lehren von „Intelligent Design“ parallel zur Evolutionstheorie in Schulen, also die Ansicht, dass das Universum und alles Leben auf der Erde von einer höheren Intelligenz geschaffen wurden. So schrieb Henderson 2005, dass es viele derartige Theorien gebe, und er sowie Millionen anderer an die Erschaffung der Welt durch das Fliegende Spaghettimonster glauben würden. Wissenschaftliche Funde sprächen zwar für die Evolution, aber dies sei nur dem verwirrenden Einfluss des FSM auf die Datenerhebung geschuldet. Wenn die Theorie nicht ebenfalls in den Lehrplan aufgenommen werde – und das Lehren des Glaubens erfordere das Tragen eines Piraten-Kostüms, um das FSM nicht zu verärgern –, sehe er sich gezwungen, rechtliche Schritte einzuleiten. Beigefügt war eine krakelige Zeichnung des FSM und ein unsinnig skaliertes Diagramm, welches den Zusammenhang zwischen der sinkenden Anzahl an Piraten seit 1800 und der Klimaerwärmung darstellt. Laut Henderson seien Piraten die ersten Anhänger des FSM gewesen; je weniger es von ihnen gibt, desto erzürnter sei es. Dies sollte ursprünglich das häufige Verwechseln von Korrelation und Kausalität christlicher Gruppen karikieren, wenn sie z.B. die sinkende Gottesfürchtigkeit für zunehmende Naturkatastrophen verantwortlich machen. Mittlerweile ist das Verkleiden als gutmütiger Seeräuber zu einer spaßigen Tradition geworden. In den 15 Jahren, seitdem der Brief im Internet geteilt wurde, hat die ‚Kirche‘ großen Zulauf erhalten und einen Berg an Kunst, ein paar religiöse Texte, sowie einige neue Zeremonien hervorgebracht.

Am 16. April 2016 fand in Neuseeland die weltweit erste legal anerkannte Pastafari-Hochzeit statt – natürlich auf hoher See. Das Brautpaar, die trauende Geistliche (die sog. „Ministeroni“) und Gäste waren allesamt in voller Piraten-Montur verkleidet, es wurden Nudelringe getauscht, ein Susi-und-Strolch-Kuss vollführt und natürlich Unmengen Spaghetti mit Fleischklößchen gegessen. Neben anerkannten Ehen dürfen Pastafari in einigen Ländern auch auf Pass- und Führerscheinfotos die traditionelle Kopfbedeckung, ein Nudelsieb (wie in Österreich) oder (wie in Deutschland) zumindest ein Piratenkopftuch, tragen. Kirchen gibt es nicht nur in den USA und Australien, sondern u.a. auch in der Niederlande, Dänemark, Deutschland und Russland.


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