Sonne, Wind & Saft

Das an konventionelle Stromkraftwerke angepasste Stromnetz erschwert den Einsatz von erneuerbaren Energien. Die praktische Umsetzung und die Kosten stellen die deutsche Energiepolitik vor große Herausforderungen.

 

von Ladyna

Während sich die Mehrzahl der Deutschen am 27. Mai 2017 über das sommerliche Wetter freute oder trübe im Büro saß und den Job verfluchte, der sie davon abhielt, ins nächste Freibadbecken zu springen, ereignete sich in Deutschland ein Rekord: Es wurde so viel Sonnenenergie in Strom umgewandelt, dass  42% des Bedarfs gedeckt werden konnte. Gleichzeitig vermeldete die Windenergie Rekorde: erstmals erreichte sie aufs Jahr gemittelt den zweiten Platz als Stromproduzent. Erneuerbare Energien, die inzwischen etwa ein Drittel des Strommix ausmachen, stellen eine zentrale Technologie dar, um der Klimakrise zu begegnen. Allerdings verfügen sie über ganz andere Eigenschaften als die konventionellen Stromkraftwerke, auf die das deutsche Stromnetz eigentlich ausgelegt ist. Während früher lediglich der Verbrauch schwankte, die Produktion aber (in gewissen Grenzen) gut regelbar war, liegt mit den Erneuerbaren Energien auch ein stark fluktuierendes Moment auf Seiten der Erzeuger vor. Der sich im Netz befindende Strom muss zu jedem Zeitpunkt auch dem entsprechen, der von den Verbrauchern abgenommen wird. Verbrauch und Erzeugung von Strom müssen sich demnach die Waage halten. Stromnetze sind sowohl fragil als auch äußerst komplex. Sie neigen zu Kettenreaktionen und ihre Regelung ist anspruchsvoll. Sie sind zudem in mehreren, miteinander verbundenen Ebenen aufgebaut, die unterschiedliche geographische Größenordnungen umfassen und verschiedene Spannungen transportieren. Bei starker Belastung der obersten Netzebene kann sich das Problem in darunterliegende Ebenen fortsetzen. Außerdem belastet der europaweite Stromhandel die Netze. Strom wird über Ländergrenzen hinweg importiert und exportiert. Da momentan Ost- und Westdeutschland nur durch drei große Trassen verbunden sind und diese überlastet sein können, fließt nordostdeutscher Windstrom teilweise über Polen und Tschechien nach Bayern. Für die betroffenen Länder bedeutet das ein erhöhtes Maß an Unplanbarkeit und damit eine Gefährdung der eigenen Netzstabilität. Somit bringt die Energiewende auch innereuropäische Konflikte mit sich, denn viele Nachbarländer Deutschlands verfolgen eine ganz andere Energiepolitik.

Durch die Witterungsabhängigkeit der Erneuerbaren Energien fluktuiert nicht mehr nur der Verbrauch, sondern auch die Produktion von Strom. Dies macht einen Netzausbau notwendig, der einen Ausgleich zwischen dem windreichen Norden und dem wirtschaftsstarken Süden herbeiführen soll und mit einem Zubau von etwa 8000 km Leitung einhergeht, was etwa der Entfernung zwischen Berlin und Florida entspricht. Auch wenn ein politischer Konsens zur Notwendigkeit des Netzausbaus gegeben ist, bleibt die Frage nach der Art und Weise der praktischen Umsetzung. Denn die Übertragung großer Leistung über größere Entfernungen erfordert hohe Spannungen. Ansonsten sind Leitungsdurchmesser notwendig, die ökonomisch und technisch kaum vertretbar sind. Wechselspannung kann bei Erdkabeln nur bei Längen bis 10 km wirtschaftlich betrieben werden, sonst entstehen zu hohe Verluste. Stattdessen muss Gleichstrom verwendet werden, was jedoch hohe Kosten für die Umwandlung mit sich bringt. Im Juli 2015 wurde beschlossen, dass die so genannte Stromautobahn „Suedlink“ als Erdkabel verlegt werden soll. Die Alternative sind die konventionellen Freileitungen. Da hier vor allem der Eingriff ins Landschaftsbild und die Umwelt von verschiedensten Bürgerbewegungen kritisiert wurde, entschied man sich für unterirdische Kabel, um eine bessere Akzeptanz bei der Bevölkerung zu erreichen.   Freiluftleitungen sind zudem extremen Witterungen und der Gefahr von damit einhergehenden Beschädigungen ausgesetzt.  Aber auch Erdkabel bergen Nachteile, der Bau stellt zudem einen erheblichen Eingriff in die Bodenstruktur dar. Einzelne Landkreise haben bereits beantragt, dass auf ihrem Gebiet Freikabel verlegt werden sollen, da Landwirte durch die Erdkabel eine Bodenbeeinflussung fürchten. Im Umfeld der Leitungen kommt es zu Wärmeentwicklung, was die Austrocknung des Bodens fördern und Ökosysteme gefährden kann. Die elektromagnetischen Felder, die oft als Argument gegen Freileitungen aufgeführt werden und die im Verdacht stehen, gesundheitsschädlich zu sein, nehmen zwar in der Erde mit zunehmender Entfernung schneller ab als in der Luft. Erdkabel sind tendenziell aber näher am Menschen. Zudem sind die Kosten für Erdkabel im Vergleich um den Faktor drei bis zehn höher, je nach geologischen Gegebenheiten und in Abhängigkeit davon, ob bei Freileitungen bereits bestehende Infrastruktur mitbenutzt werden könnte. Während Freileitungen eine Lebensdauer von bis zu einem Jahrhundert aufweisen, sind es bei Erdleitungen lediglich 40 Jahre. Insofern sind die Mehrkosten für Erdkabel kaum durch technische Vorteile zu rechtfertigen.  

Der ursprüngliche Zeitplan, der einen Baubeginn der Stromautobahn „Suedlink“ im Jahr 2016 und eine Fertigstellung bis 2022 vorsah, ist wohl nicht mehr einzuhalten. Allerdings gibt es auch Möglichkeiten, die Kapazität der bestehenden Leitungen zu erhöhen. Da sich die bestehenden Freileitungen beim Stromtransport erwärmen, ausdehnen und deswegen durchhängen, wurde die maximale Übertragungskapazität so gewählt, dass die Kabel dem Erdboden oder Gebäuden nicht zu nahekommen. Würde man berücksichtigen, dass Außentemperatur und Windverhältnisse einen enormen Einfluss auf die Erwärmung der Kabel haben und mit Hilfe eines sensorengestützten Monitorings die maximale Übertragungskapazität wetterabhängig variieren, ließe sich die Stromtragfähigkeit temporär nahezu verdoppeln. Bundesweit wird dies aber erst bei einem Viertel des Übertragungsnetzes angewandt.

Es sind jedoch nicht nur die technischen Gegebenheiten, die nicht ausreichend an die veränderte Situation angepasst wurden. Auch die Funktionsweise des Strommarkts und damit die Festlegung der Strompreise wurde unzureichend modifiziert. Um den Verbrauch zu einem bestimmten Zeitpunkt zu decken, muss eine entsprechende Anzahl an Kraftwerken Strom produzieren. Die Einsatzreihenfolge (Merit-Order) der Kraftwerke wird davon bestimmt, zu welchem Preis diese Strom produzieren. Der Preis an der Strombörse wird immer vom teuersten Kraftwerk bestimmt, welches noch zur Deckung des Bedarfs benötigt wird. Dieser Preis gilt dann für alle, die zum gegebenen Zeitpunkt einspeisen. Wind- und Solarstrom kann vergleichsweise günstig produziert werden, sodass andere Kraftwerkstypen immer häufiger vom Markt verdrängt werden, wodurch der durchschnittliche Strompreis sinkt. Man bezeichnet dieses Phänomen als Merit-Order-Effekt. Gerade Gas- oder Pumpspeicherkraftwerke, die für die Energiewende eine zentrale Rolle spielen, weil sie flexibel zuschaltbar sind bzw. Energie speichern können, werden damit unrentabel. Das aktuelle Strompreismodell ist im Kontext der Energiewende also problematisch, da es lediglich die tatsächliche Einspeisung vergütet und keine Anreize schafft, Reservekapazitäten vorzuhalten.  Aus diesem Grund wurde die Erneuerbare-Energien-Umlage (EEG-Umlage) geschaffen. Kosten, die durch die Vorhaltung solcher Kraftwerke entstehen, die aufgrund der Marktdynamiken unrentabel für die Versorgungssicherheit aber unerlässlich sind, können so auf den Endverbraucher umgelegt werden. Allerdings müssen energieintensive Wirtschaftszweige aus Wettbewerbsgründen nur verringerte Umlagen bezahlen. Damit tragen vor allem Kleinverbraucher die Kosten der Energiewende, wodurch die soziale Gerechtigkeit in Frage gestellt wird.

Warum werden zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit überhaupt derart hohe Investitionskosten in Kauf genommen? Weil die Folgen von großräumigen Stromausfällen dramatisch wären. Ergebnisse einer Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag zeigen, dass ein langer und großflächiger Stromausfall drastische Folgen hat und zum Zusammenbruch der gesamten Gesellschaftsordnung führen kann. Das Worst-Case-Szenario für Erneuerbare Energien ist die so genannte kalte Dunkelflaute: Wenn in einer Region aufgrund der meteorologischen Gegebenheiten über mehrere Tage weder mit Photovoltaik- noch Windenergieanlagen Energie produziert werden kann und gleichzeitig durch die kühle Witterung ein erhöhter Verbrauch gegeben ist, muss die Versorgung trotzdem gewährleistet werden. Die Problematik ist vor allem in Deutschland gegeben, da hier Wasserkraft und Biomasse nur einen kleinen Teil der erneuerbaren Energien ausmachen und kaum Ausbaumöglichkeiten bestehen. Photovoltaik kann speziell in den Wintermonaten zur Milderung der Verbrauchsspitzen nahezu keinen Beitrag leisten. Doch wie wahrscheinlich ist dieses Dunkelflautenszenario? Nach Daten des Deutschen Wetterdiensts gab es in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren jährlich zwei Dunkelflauten von mindestens 48h unter Einbezug von Off-Shore-Windkraftanlagen. Dank der Vernetzung des europäischen Stromverbundes ist es möglich, die Anzahl der problematischen Ereignisse auf eines alle fünf Jahre zu reduzieren. Bei stabilen und homogenen Großwetterlagen über ganz Europa hilft allerdings auch der länderübergreifende Stromtransport kaum.

Um solchen Problemen entgegen zu treten, muss eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen eingesetzt werden. Hierbei ist die Energiespeicherung eine zentrale Strategie. Ein Fallbeispiel dafür ist die Großstörung vom November 2006, bei der das europäische Netz in Teilnetzte zerfiel, die in großem Maße von Pumpspeicherkraftwerken gestützt wurden, wodurch ein Zusammenbruch verhindert werden konnte. Bezogen auf den aktuellen Anteil Erneuerbarer Energien beträgt die Kapazität der Pumpspeicherkraftwerke aber nur 15% dessen, was an Speichern nötig wäre. Ein weiterer Zubau von Pumpspeicherkraftwerken ist aber unrealistisch, da es an geeigneten Standorten fehlt. Zudem sind viele Bestandsanlagen aufgrund des Strompreismodells bereits heute nicht rentabel. Überzeugende, marktreife und preisgünstige Möglichkeiten einer großskaligen Langzeitspeicherung gibt es bis jetzt noch nicht. Lithium-Ionen-Batterien, Superkondensatoren und Redox-Flow-Batterien können einen Beitrag leisten, sind jedoch kostspielig. Die Umwandlung von Strom in Wasserstoff oder Methan zur Energiespeicherung, die sogenannte Power-to-Gas Technologie, wird ebenfalls diskutiert. Dies geht zwar mit hohen Umwandlungsverlusten einher, dafür kann aber die Speicherkapazität des Erdgasnetzes mit genutzt werden. Das so erzeugte Gas kann  dann bei Bedarf in Kraftwerken wieder verstromt werden. Eine Studie von Greenpeace geht davon aus, dass die Kosten einer Absicherung gegen Dunkelflauten bei 100% Erneuerbaren Energien durch eine Kombination von Power to Gas Technologie und Gaskraftwerken insgesamt 6 Ct/kWh betragen würden, also eine Preissteigerung um etwa 25%.

Eine weitere Lösungsmöglichkeit ist, den Verbrauch teilweise an die Stromerzeugung anzupassen. Lasten, bei denen dies möglich ist, werden in einer Größenordnung von Stunden bis hin zu wenigen Tagen zeitlich verschoben. Man spricht hierbei von intelligenten Energiesystemen, die vor allem helfen können, Nachfragespitzen zu glätten. So kann eine Anpassung der Nachfrage an die Produktion vorgenommen werden. Zahlreiche Studien zeigen jedoch, dass trotzdem ein Stromnetz mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energien ohne Langzeitspeicherung nicht möglich ist. Die Energieversorgung eher als Zusammenschluss autonomer Zellen aufzubauen, kann ebenfalls zur Netzstabilität beitragen. Die Dezentralisierung sollte auf allen Netzebenen angestrebt werden, nicht wie bisher lediglich auf der höchsten. Gleichzeitig müssen auch einige gesetzliche Veränderungen vorgenommen werden. Das aktuelle Erneuerbare-Energien-Gesetz setzt die falschen Anreize und zeichnet sich durch eine nicht-sozialverträgliche Finanzierung aus. So ein radikaler Wandel des Strommarktes ist notwendig, um eine Zukunft mit grünem Strom zu ermöglichen. Bei allen Ungewissheiten, Kosten und Problematiken: Auch wenn ein höherer Anteil Erneuerbarer Energien das Netz belastet, ist dies doch einer der effizientesten Wege, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren.


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