Sommerwahn – Ein Essay

Im Sommer sind die Dinge umgekehrt. Man schlafet bei Tage und wachet in der Nacht. Von der Starre des Tages und den abgedrehten Nächten erzählen uns die beiden Texte. Sie stellen die zwei Welten gegenüber, in denen wir uns im Sommer bewegen: Des Tages Stille und seine entbrannte Nacht.

von Tim

Es ist zu heiß, um abzuwägen, das Gewicht zerfließt in meinen Händen. Mit einem surrenden Geräusch rast das Beil wie von Geisterhand gesteuert durch den Holzscheit vor mir und spaltet meinen Blick. War da nicht eben noch ein Schwarm Mücken an meiner nackten schweißüberflossenen Schulter? Rechts huscht ein schwarzer Schatten ins Gebüsch, er hat hundsähnliche Züge, es ist schaumesweiß um seine geifernden Kieferknochen. Das glühende Eisen hebt sich wie von selbst wieder auf, die unbändige Kraft der gestauten Hitze treibt mich Schlag um Schlag rastlos bis in die Abendschwüle. Erst als nasskalte Tropfen auf das Metall fallen, spiegelt die Klinge mein verrissenes Gesicht und ich halte an. Spaltet die Hitze meinen Verstand?

Erst gestern in den noch nachtwarmen Straßen der Stadt, da dacht ich’s mir; überall waren sie, die, die sie so lange im Mondschein hinter den Ginterstäben hingen, jetzt sind sie ausgebrochen. Ich fühlte mich, wie Georg Heym schon 1910 in Die Irren schrieb:

„Der Ball der Irren ist es. Plötzlich schreit/

der Wahnsin auf. Das Brüllen pflanzt sich weit“

und sie ziehen durch die Stadt und zerlegen Schädel, bis dann später:

„Der Haufe Irrer schaut vergnügt. Doch bald/

Enthuschen sie, da fern die Peitsche knallt“

Dieses Gefühl, es ist nicht im letzten Jahrhundert geblieben, die industrielle Peitsche der sich berauschenden Großstadt, die bis zum Ich-Zerfall spalten kann, denke ich dabei – auch heute spüre ich, wie mich der Sommerwahn vom immerwährenden, kühlen Kopfgefängnis zu erlösen vermag.

Mein Auge tränt, der Kiefer mahlt, was zuckt da sanft an meiner Iris? Vom dunstverhangenen Waldesrand fliegen mit weiten, weißen, zerschnittenen Gewändern umhangene Wesen heran, sie bewegen sich wie aus der Ferne verjagte Seelen und tragen den wütenden Klang ihres Tanzes mit rundgeöffneten Mündern in den Nachthimmel. Sie tanzen und stampfen und walzen und halten sich und das alles unendlich.

Doch da – wessen perückenumrahmtes Gesicht steigt aus ihrer Mitte hervor? Auf einer in sauberen Quadraten geformten Treppe, steht Friedrich, der Große, Kämpfer zwischen den Welten, hält die Zeit an und den tobenden Wesen voll Ablehnung für ihren widerwärtigen Rausch entgegen:

„Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken/

Verderblich ist des Tigers Zahn/

Jedoch der schrecklichste der Schrecken/

Das ist der Mensch in seinem Wahn“[1].



[1] Friedrich Schiller: Das Lied von der Glocke (1799)


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