SO LONG, JENA

Man kann nur schwer ohne einen schiefen Blick an ihnen in der Stadt vorbeigehen: die Plakate des Theaterhauses Jena. Irgendwie alltäglich und irgendwie abnorm pflastern sie die Straßen. Das Stück „SO LONG, JENA“ wird von einem Jungen beworben, welcher fröhlich blickend auf einem Acker vermutlich um Jena steht. Dabei trägt er ein Bratwurstkostüm.

von Julia Florschütz


Ähnlich identifikatorisch und irrwitzig berührend fühlt sich das Ansehen des Stücks an, welches weniger einer stringenten Storyline folgt, als vielmehr zahlreiche Szenen um das Hauptthema versammelt: Abschied. Nach dem Ankommen und Verweilen in Jena rundet ein Rückblick vor dem Gehen die Deutschkurs-Trilogie Lizzy Timmers ab. Es ist eine Verabschiedungsparty, ein Tschüss-Sagen zu Jena mit seiner Natur und seinen bekannten Charakteren, aber auch zu ausgestorbenen Tierarten, geliebten Omas, Herkünften. Wohl jede:r musste bereits und wird noch in Zukunft Abschied nehmen. Diese Erfahrungen intensivieren die Inszenierung. Die tote Oma ist, ganz abgesehen von kulinarischen Assoziationen, so gut wie universell und gleichzeitig individuell. So wirkt es ganz intim und persönlich, wie Lizzy Timmer und Paul Wellenhof nur zu zweit auf der Bühne stehen, über oder unter ihnen höchstens ein Vogelnest aus Holz. Durch dieses betreten die beiden auch die Bühne. Zu Beginn noch fast beiläufig, mit dem Abschied vom Terminator, wird das Publikum im Verlauf immer tiefer in familiäre Schicksale hineingezogen, nimmt Anteil an nachgeholten Abschieden von Omas mit Demenz oder schicksalhaften Kolonialherkünften. Aber auch alltägliche Situationen, die das Weiterziehen erschweren, werden nachgezeichnet. Dezidiert werden die ernsten Themen durch Tanzen, Singen und Rollschuhfahren aufgelockert. Lizzy Timmers kann man mit ihrem niederländischen Akzent eigentlich nur sympathisch finden, ihrer klaren Singstimme lauscht man gern und bemitleidet Paul Wellenhof, der sich in allerlei abwegige Kostüme zwängen und die Hälfte des Stücks wohl einen kalten rechten Fuß haben muss. Abschied kann nämlich auch Befreiung heißen, beispielsweise vom Kleidungszwang.

Als klassische Elemente finden Goethe, Schiller und Caroline Schlegel-Schelling Erwähnung. Auch der wohl dramatischste Abschied zweier Liebenden – Shakespeares Romeo und Julia – wird angeschnitten. Nicht nur die Palette der abgehandelten Trennungen, sondern auch der Themenkomplexe scheint vor allem mit Blick auf das kahle Szenenbild ausgesprochen mannigfaltig. Mehr als ein hölzernes Nest, ein paar Rollschuhe und ein Federkostüm scheint es nicht zu brauchen, um das Publikum mitfühlen zu lassen. Trotz teils bedrückender thematischer Kost war der Raum während der Aufführung nicht nur durch theatralische Schwere gefüllt. Das Publikum konnte auch mehrfach herzlich lachen und staunen, sowie Neues lernen. Wer hat schon mitbekommen, dass der De Wintons Goldmull eigentlich gar nicht ausgestorben ist, sondern sich einfach in der Wüste versteckt hat? Oder wer denkt schon darüber nach, was Austin in Texas und Jena gemeinsam haben? (Dass sie von Rednecks eingekesselt sind.) Auch auf einige politisch ausgerichtete Spitzen konnte nicht verzichtet werden.

Eine Stadt hat auch ohne die eigene Anwesenheit eine Zukunft, was nicht bedeutet, dass Tipps und Empfehlungen trotz scheidender Wege ausgeschlossen sind. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Idee, der Grillteufel könne auch fleischlose Optionen anbieten, auf große Zustimmung traf. Die Umbenennung in „Grillteufelin“ (oder „Grillteufel:in“) bleibt in nächster Instanz wohl ein diskutablerer Punkt. Trotzdem fügt sich auch dieser Aspekt in das Hauptsujet, denn die Wurst hat ja bekanntlich sogar mehr als ein Ende.

Ob sich der Zusehende eher darauf festlegen möchte, dass Abschied ein bisschen wie Sterben ist oder sich als ein:e Fürsprecher:in sieht, dass in jedem Ende ein neuer Anfang liegt – „So long, Jena“ beleuchtete das Thema Abschied in seiner Allumfänglichkeit auf bemerkenswerte Weise. Es bleibt das Gefühl, Jena, die Schauspielenden und auch die niederländische Kultur besser kennengelernt zu haben – diese lehrt uns: Am Ende kommt alles gut.


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