von Katja Barthold
Es ist der 16. April 2009, sechs Uhr am Morgen. Räumpanzer rollen heran, aus Hubschraubern seilen sich – meist von spektakulären Geiselbefreiungen bekannte – Spezialeinheiten ab. Tränengasgranaten sausen durch die Luft. Wenig später machen Polizeieinheiten aus vier Bundesländern ein Haus platt und seine Bewohner damit obdachlos. Was klingt wie eine Filmszene fand mitten in Thüringen statt. Der Unterschied zum Kino: Es fehlte das Happy End!
Der Plot beginnt im Jahre 2001, als das ehemalige Fabrikgelände der Ofenfirma „Topf & Söhne“ von Menschen mit Visionen in ein Wohn- und Kulturzentrum umfunktioniert wurde. Visionen abseits von vorgegebenen Lebensläufen, die über ein Leben vor dem Fernseher hinausgehen. In Erfurt entstand vor acht Jahren nicht nur einfach eine Wohnstätte, sondern ein Ort für Konzerte, Infoveranstaltungen und ein Lesecafé, ein Raum für freies Denken und politisches Engagement.
Es war eine Besetzung nicht nur für eine alternative Lebensform, sondern auch gegen das Vergessen. Die Firma „Topf & Söhne“ belieferte im Dritten Reich die Konzentrations- und Vernichtungslager mit Verbrennungsöfen. Das „Besetzte Haus“ stand aber auch für die Kritik an der derzeitigen Gesellschaft und ihren Umgang mit immer noch vorhandenen, menschenverachtenden Einstellungen – Kritik, mit welcher der Erfurter Stadtrat scheinbar nicht umzugehen wusste.
Aus vielen Betroffenenberichten wird deutlich, dass Grundrechte für Hausbesetzer nicht zu gelten scheinen. „Nachdem wir in Gewahrsam genommen worden waren, mussten wir uns komplett ausziehen und in die Hocke gehen. So überzeugten sich die Polizisten davon, dass wir unbewaffnet waren. Stundenlang waren wir in Gefängnistransportern eingesperrt, unsere Bedürfnisse nach Frischluft, Nahrung und Toilettengängen wurden arrogant ignoriert, einigen Verhafteten sogar notwendige Medikamente verwehrt“, berichtete ein Mittzwanziger. „Im anschließenden Verhör wurde ich persönlich beleidigt. Nachdem meine Daten inklusive Foto und Fingerabdrücken aufgenommen worden waren, entließen mich die Beamten erst gegen 22 Uhr. Meine Eltern wurden aufgefordert mich abzuholen und dafür zu sorgen, dass ich Erfurt für mehrere Tage nicht mehr betrete. und ich mich von weitere Protestveranstaltungen fern halte.“
Während die Hausbesetzer unter Einsatz massiver Gewalt aus friedlichen Sitzblockaden gezerrt wurden, beteten die Massenmedien eilfertig und fleißig die Klischees zerstörungswütiger, linker Chaoten herunter – Chaoten, die ruhiggestellt werden müssten. „Schließlich sei die Besetzung illegal“, erwähnt wird nicht, dass eben legale Möglichkeiten fehlen. Die Ablehnung ungeeigneter Ausweichobjekte nahm die Stadt Erfurt zum Anlass, den „Radikalen“ Dialogunwillen vorwerfen zu können. Der Empörung mit den Hausbesetzern sympathisierender Demonstranten aus der Bevölkerung wurde mit militaristischen Polizeiauftritten aggresiv begegnet. Selbst Bundeswehreinheiten sollten den Ruf nach mehr Freiraum zum Verstummen bringen. Dabei lehren Krisenherde weltweit, dass sich Konflikte selten mit offenen Konfrontationen entschärfen lassen. Was schon im Ausland nicht funktioniert, soll nun im Inland für Frieden sorgen.
Was bleibt, ist nicht nur die Frage, wie dieser Einsatz zu rechtfertigen war, sondern auch, welche Visionen abseits marktwirtschaftlicher Regeln überhaupt noch gelebt werden dürfen. Derartige Geschichten spielen sich nicht nur in Erfurt ab. Auch in zahlreichen anderen Städten verschwanden Offene Projekte bereits oder sie stehen zumindest vor dem Aus – so beispielsweise das „Caleidospheres“ in Jena oder die Gerber in Weimar.
Das Ergebnis werden äußerlich glatt gebügelte Städte sein, deren Bewohner sich wundern, dass ihre Kinder in Lethargie verfallen oder sich zusehends radikalisieren. Eine alternative Jugendkultur und die damit verbundene Lebensvielfalt einer Stadt entstehen eben nicht per Stadtratsbeschluss.
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