Tara, die eigentlich anders heißt, war in ihrer Grundschulzeit eine Freundin unserer Redakteurin. Heute arbeitet sie als Sexworkerin in einem Berliner SM-Club. Ein Wiedersehen.
von Charlott
„Hi, mein Name ist Tara und ich bin von Beruf Sexworkerin.“ Wie würdet ihr nun reagieren, wenn man euch das erzählt, im Café, während eines netten Gesprächs, auf einer Party oder im Wartezimmer beim Arzt? Für mich ist Tara vielmehr eine Bekannte aus der Grundschule: Auf einem alten Foto vom Fasching – ich ging als Bratwurst zwischen zwei Pappbrötchen – strahlt meine Klasse mit geröteten Gesichtern dem Auslöser entgegen. Viele von uns haben sehr krasse Wege eingeschlagen, auch wenn Taras Werdegang für mich persönlich nicht direkt „krass“ ist: Eher die kleine Lücke in unseren gesellschaftlichen Toleranzvorstellungen, auf die man niemals stößt, wenn man nicht nachfragt… vielleicht, da man nicht einmal auf die Idee kommt, dass es Frauen gibt, die Sexarbeit gerne und einfach aus Leidenschaft machen?
Wir treffen uns in der Manolo Bar an der Eberswalderstraße. Es ist warm und die Berliner zieht es aus ihren Altbaulöchern. Tara bestellt einen Chai Latte und es entsteht ein reges Gespräch, in dem sie sich erst einmal als 23-jährige Optikerin vorstellt, die erst seit Januar dieses Jahres in der Sexarbeit einen beruflichen Wendepunkt gefunden hat. Sie spricht nicht leise oder bedeckt, sondern laut heraus – man spürt, unser Gespräch würde sich nicht verändern ohne oder eben mit Öffentlichkeit im Nacken. Sie steht zu ihrer Arbeit. Meine erste Frage stellt sich vermutlich jeder über kurz oder lang:
Wissen es denn deine Eltern?
Tara: Nö, noch nicht. Ich meinte: „Bei der Augenoptik arbeite ich jetzt nur noch als Aushilfe und nebenbei woanders.“ Und dann kam aber gleich meine Mutter: „Ja, aber du willst jetzt nicht sagen, wo du arbeitest.“ Und ich: „Ja nö, dann nicht.“ Hätte sie aber gefragt „Als was denn, wo denn?“, dann hätte ich ihr das, denke ich, auch erzählt. Ich glaube meine Mutter hätte es nach dem ersten Schlucken schon akzeptiert. Mein Vater ist dann eher so, dass er sagen würde: „Oh, meine kleine Tochter.“ Aber ich habe vor, damit offen umzugehen, und wenn mich jemand darauf anspricht, dann sage ich ihm das meist auch.
Was war denn eigentlich der Auslöser? Das ist ja schließlich kein Alltagsjob.
Ich wollte immer mehr Sex und mehr „spielen“ als meine jeweiligen Partner. Der Impuls zu einer Bewerbung kam von meinem Freund, der bereits jemanden in dem Bereich und bei der Agentur kennt. Das klang schon interessant, aber ich war halt tierisch aufgeregt und irgendwann bin ich dann einfach hingegangen und habe gesagt: „Ich würde gerne bei Ihnen arbeiten. Geht das denn so einfach?“ Und dann hat mir die Arbeit total viel Spaß gemacht.
Taras persönliche Berufsbezeichnung ist Sexworkerin – oder auch Nutte. Schnell wird bei der Bezeichnung deutlich, dass es vor allem darauf ankommt, wie man etwas sagt und was damit meint:
Was ich zum Beispiel als unschöne Bezeichnung empfinde, ist Hure. Ich weiß nicht, aber da denke ich eher an den Straßenstrich. Und bei Prostituierte, da muss ich immer an die Damen in der Herbertstraße denken, die nur Sex verkaufen. Zumindest ist das mein Bild.
Darin liegt auch der Unterschied gegenüber der allgemeinen Oberkategorie Nutte oder Sexworkerin. Denn Taras berufliche Aufgaben und Angebote liegen im sadomasochistischen Bereich, wo sie zwischen Dominas und Switchern als Sklavin arbeitet. Das SM-Lokal, in dem sie tätig ist, bietet viele Räume, die ganz unterschiedlich arrangiert (oder ausgestattet) sind. Taras Lieblingszimmer ist das „Herrinnenzimmer“, das mit roten Tapeten, einem großen alten Holzschreibtisch und einem Kamin ausstaffiert ist. Aber es gibt auch – den klassischen Vorstellungen von SM entsprechend – große und kleine Studios, in denen Käfige stehen und sich diverse Möglichkeiten zum Peitschen und Fesseln, etwa Flaschenzüge, bieten. Der Empfang der Kunden findet in einem Extraraum statt. Hier wird das Angebot aufgezeigt; Preis und Leistung werden also bereits am Anfang genau festgelegt. Anschließend darf sich der Kunde für eines der Zimmer entscheiden.
„Die meisten sind ein bisschen älter, also ab 40. Viele haben Angst, ihren Fetisch ihrem Partner zu erzählen und kommen dann eben ins Studio, um ihn auszuleben.“
Um überhaupt zu verstehen, für wen diese Art von Arbeit einen Reiz haben könnte, muss man – so sieht es Tara – auch bedenken, dass das Ganze eine Fetischgeschichte ist:
Man muss auch privat auf das Bock haben, was man verkauft. Die Gäste merken sofort, wenn man nur so tut, als ob es einem gefällt. Deswegen hat mich die Studioleitung bei meinem Bewerbungsgespräch auch recht schnell gefragt: „Stehst du auch wirklich darauf, oder brauchst du nur Geld?“ Ja, und wenn man das nur des Geldes wegen macht, geht man glaube ich auch ziemlich schnell zugrunde. Mir hilft auch tatsächlich meine Verkaufserfahrung in der Augenoptik. Denn ich habe gelernt, zu beraten und zu überzeugen. So kann ich mich selber auch gut darstellen und verkaufen.
Du hast doch bestimmt eine Einführung in deine Arbeit bekommen, oder?
Mh, das war eher schwierig. Als Sklavin lebt man nach dem Motto „learning by doing“. Es war nicht leicht, sich in den Studioalltag rein zu finden, weil ich nicht wusste, ob ich jetzt irgendwie etwas Besonderes machen muss. Aber als Sklavin hat man es schon um einiges einfacher: Wenn man etwas falsch macht, wird man dafür bestraft und das ist dann auch gut für die Session. Woran ich mich gewöhnen musste, ist, dass in einer Session mit mir und einer dominanteren Frau auch oft unterwürfige Männer sind. Ich bin ja dann auch unterwürfig und das ist dann ziemlich spannend. Oft ist es so, dass ich ihn tröste, wenn er von der Domina geschlagen wird. „Ja, ist doch nicht so schlimm, soll ich dir ein paar Schläge abnehmen?“, in diese Richtung geht das dann. Wenn man als Domina anfängt, bekommt man aber auch eine richtige Ausbildung. Da ist man diejenige, die das ganze Spiel inszeniert, die sich was ausdenken muss und so weiter. Da ist es auch wichtig eine Ausbildung zu haben. Und wir bieten ja zum Beispiel auch den Klinikbereich an, wo tatsächlich so etwas gemacht wird wie Katheter setzten – das kannst du nicht einfach irgendjemand machen lassen!
Wer kommt denn überhaupt alles zu dir – auch Frauen oder Pärchen? Oder hast du ausschließlich einzelne Männer als Kunden?
Also, ich hätte auch Spaß daran, wenn mal mehrere vorbeischauen oder auch mal eine Frau mit dabei ist. Aber es sind ganz unterschiedliche Männer, die meisten sind ein bisschen älter, also ab 40, wobei das jetzt auch nicht so wahnsinnig alt ist. Viele haben Angst, ihren Fetisch ihrem Partner zu erzählen und kommen dann eben ins Studio, um ihn auszuleben. Viele haben aber auch schon ihre Frau verloren oder sind generell Single. Oder ich habe auch einen jüngeren Gast, der ist nur ein wenig älter als ich und da ist es auch mit der Freundin abgesprochen, dass er zu mir kommt. So etwas gibt es dann eben auch.
Es ist ja ziemlich prägnant, dass wirklich gar keine Frauen zu euch kommen. Hast du eine Idee woran das liegt? Dass es so extrem unausgeglichen ist? In deinem Fall ist ja immer der Mann Kunde und die Frau die Servicekraft. Und das Klischee bestätigt sich ja vordergründig auch in dem gesamten Arbeitsfeld Sexarbeit.
Das ist schade, ja. Vielleicht ist es so, dass Frauen noch eher Sexualpartner finden? Vielleicht stellen die sich nicht so blöd an wie die Männer – und trauen sich eher, Menschen anzusprechen und auch ehrlich zu sein: „Ja, ich stehe auf das und das und das, willste jetzt mit mir ficken?“ Oder vielleicht trauen Frauen sich auch nicht, weil sie denken, Puffs und so etwas sind eher für Männer.
Letztlich bleibt diese Frage offen im Raum stehen. Ist also doch wieder die gesellschaftliche Norm dafür verantwortlich? Oder die Biologie? Ist das nicht aber vor allem eine Aufgabe von weiblicher Emanzipation? So oder so, es ist für die meisten fast wie eine andere Welt.
Tara erzählt das alles so entspannt, dass ich sie trotzdem – vielleicht auch gerade deshalb – auf negative Erfahrungen ansprechen wollte. Das ganze Milieu Sexarbeit ist schließlich ziemlich umstritten, stereotypisiert und unglaublich negativ behaftet. Weil es, natürlich auch begründet, die Mehrzahl der Menschen mit Zwang, Menschenhandel, Drogen oder zumindest indirekter Unfreiwilligkeit wie Geldmangel in Verbindung bringen. Letztendlich aber erscheint einem eine „Sklavin“ als Servicekraft dem Kunden gegenüber viel stärker ausgeliefert als es in anderen Berufen der Fall ist.
Hattest du schon mal Gäste oder Kunden, bei denen du ein richtig negatives Gefühl hattest? Wo es dir absolut gar keinen Spaß gemacht hat?
Ich hatte mal einen Gast, da musste ich auch die Session abbrechen. Das ging irgendwie gar nicht mehr. Er kam mir auch irgendwie ein bisschen wie auf Drogen vor, total hektisch, hat alles so unüberlegt gemacht. Und dann habe ich aber auch gesagt: „Nee, stop. Die Session ist jetzt vorbei. Ich gebe dir ein bisschen Geld zurück und dann ist gut.“ Aber das musste ich am Anfang lernen – auch mal „Nein“ zu sagen. Viele kommen ja dann mit ihren Wünschen und wollen dies und das. Dann musst du auch von dir aus überlegen: Möchte ich das auch wirklich? Ist es mir das Geld wert? Oder sage ich, „nee, is’ nicht“?
Natürlich ist das von vornherein eine der Eigenschaften, die man haben muss, um in dem Bereich der Sexarbeit gehen zu können: „Nein“ sagen zu können. Doch viel mehr Sicherheit gibt es nicht während einer Session. Falls etwas schief läuft, gibt es immer noch ein Codewort, das Tara im Extremfall ruft, woraufhin Taras Kolleginnen einschreiten und die Session abbrechen.
Fühlst du dich denn ansonsten wohl in deiner Agentur?
Also, ich habe mir das ja gut ausgesucht und vorher auch mit einer gesprochen, die dort gearbeitet hat. Es wird sehr auf mich geachtet, das ist ganz schön. Ich schreie zum Beispiel sehr viel in meinen Sessions. Und die Kollegen gucken mich dann hinterher auch immer ganz besorgt an. Und schauen nach einer Stunde auch mal rein, ob es mir gut geht, wenn die Session eigentlich vorbei sein müsste.
Es gibt keine Kameras in den Räumen, denn natürlich behält sich auch der Kunde vor, seine Privatsphäre zu schützen. Fast kein Kunde kommt unter seinem richtigen Namen – genauso wie auch Tara nicht ihr richtiger Name ist: Es ist beinahe wie ein Spiel, bei dem jeder eine neue Identität annimmt. Eine Identität, die einige nicht im normalen Leben voll und ganz auszuleben können.
Als sich unser Gespräch dem Ende neigt, blicke ich noch einmal auf die Gäste um uns herum. Man spürte, wie einige sich zwischenzeitlich unserem Gespräch nicht entziehen konnten; ihr Gesichtsausdruck war lauschend. Aber keiner wirkte herablassend oder befremdet. Man fühlt sich wohl, mit dem Thema an einer menschendurchrauschten Ecke im Prenzlauer Berg natürlich und offen umgehen zu können.
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