In den Medien finden sich noch immer viele Beispiele für den dummen, meckernden Ossi. Die Sachsen dominieren dabei mit ihrem Dialekt das ostdeutsche Stereotyp.
von Sena & Chrime
Es ist ein ganz normaler Donnerstagmorgen im April. Die Frühlingssonne wirft ihre Strahlen durch die Lücken zwischen den Lamellen der Jalousien. Die Spuren des Vorabends sind überdeutlich in den Gesichtern der meisten Teilnehmer zu erkennen. Die junge, dynamische Dozentin geht mit ihrem Kaffeebecher auf den Tisch in der dritten Reihe zu und lenkt ihren Blick auf einen körperlich etwas grob wirkenden jungen Mann. Die beiden scheinen sich nicht besonders sympathisch zu sein, dennoch herrscht das Verhältnis zweier Fach-„Kollegen“ vor. Eine kleine Diskussion zum Thema Medienwirkungsforschung beginnt. Leider entstehen bald Verständigungsprobleme. Die Dozentin kann mit dem nur mäßig artikulierten, sächsisch gefärbten Regiolekt des jungen Mannes wenig anfangen und bittet ihn leicht genervt, seine Antwort zu wiederholen. Beim zweiten Versuch versteht die Jungakademikerin zwar ein wenig mehr, wendet sich aber dennoch unzufrieden wieder ihrem Dozententisch auf der Stirnseite des Raumes zu.
Von Luther zu Ulbricht
Die Gründe für das alltägliche Scheitern solcher oder ähnlicher Kommunikationen und die negative Konnotation des Sächsischen sind wahrscheinlich in der jüngeren Geschichte verankert: Viele verbinden das Sächsische immer noch mit der DDR. Den Arbeiter- und Bauernstaat und seine hässlichen, grauen Industrielandschaften assoziiert man häufig mit einer ungebildeten Unterschicht, die ihr tristes Dasein in Unfreiheit fristet. Nach 40-jähriger Herrschaft des Proletariats und Walter Ulbricht, der mit starkem Dialekt sozialistisches Gedankengut propagierte, ist nach der Wende vor allem der „Meckerossi“ in den Köpfen der meisten Westdeutschen präsent. Das Staunen und die kindliche Begeisterung der Ossis über westliche Alltagsgüter wurde und wird von Vielen mit Naivität gleichgesetzt – und so auch die Sprache, in der sie diese ausdrücken. Ihr Klagen hört sich auf Sächsisch noch viel unerträglicher an, und so wurde bald auch der Klagende unerträglich…
Doch der Ruf des Sächsischen war bei weitem nicht immer so schlecht wie heute. Ab dem 16. Jahrhundert erfreute sich die „Sächsische Kanzleisprache“ zunehmender Beliebtheit. Auch Martin Luther verwendete für die Niederschrift seiner Bibelübersetzung diese standardisierte Amtssprache, die bei der Herausbildung der heutigen deutschen Schriftsprache zweifelsohne eine große Bedeutung hatte.
Wenn Sachsen eigentlich Thüringer sind
Wie häufig in Umfragen belegt, ruft der Klang des Sächsischen bei den meisten Deutschen Unbehagen hervor – wobei diese Aussage aus sprachwissenschaftlicher Sicht eigentlich gar nicht stimmt. Das ursprüngliche „Sächsisch“ ist die Sprache der Niedersachsen (und anderer Norddeutscher), also Platt- oder Hochdeutsch. Das, was heute gemeinhin als Sächsisch bezeichnet wird, gehört der Thüringisch-Obersächsischen Dialektgruppe an und müsste deshalb vielmehr als „Neu-Sächsisch“ oder „Thüringisch“ bezeichnet werden. Diese falsche Bezeichnung erklärt ganz nebenbei, warum viele Thüringer ihrem Dialekt nach für Sachsen gehalten werden. Im Wesentlichen fällt beim Sächsischen die Konsonantenschwächung auf. Die eigentlich kraftvoll artikulierten Laute p, t und k werden dabei zu b, d und g. Linguistisch ist das äußerst ökonomisch, doch für den Zuhörer entsteht der Eindruck, das Gegenüber sei schlichtweg zu faul zum Sprechen. Auch andere Konsonantenfolgen wie „ch“ werden im Sächsischen weicher als „sch“ artikuliert („Isch liebe disch“). Die größte Abneigung verursachen jedoch die Vokale. Auch hier wird das Inventar reduziert: a und o fallen zusammen und es entsteht eine eigenartige Mischung aus beiden („Orbeid“ statt Arbeit). Der Vokal u wird häufig als o gesprochen („kords“ statt kurz). Diese „Quetschlaute“ verleihen dem Sächsischen einen eigenartig dunklen Klang. Auch die spezielle Satzmelodie, der „sächsische Singsang“, trägt zum negativen Bild des Dialekts bei. Wenn der Sprecher dazu auch noch nuschelt, ist es mit dem Verständnis bei Uneingeweihten im wahrsten Sinne des Wortes vorbei und es entsteht der Eindruck des dümmlich-naiven Ossis.
Die offenkundigen phonetischen Besonderheiten bleiben nicht ohne Konsequenzen, wenn es an die Beurteilung der Menschen und ihres Wesens geht. Unwillkürlich versieht der Hörer den Sprecher im Rahmen der sozialen Kognition mit diversen Attributen, die zum persönlichen Stereotyp des Sachsen gehören – ein ganz normaler sozialpsychologischer Prozess. Problematisch wird es eigentlich erst dann, wenn aus einem Stereotyp ein Vorurteil wird, wenn man sich der Person gegenüber also diskriminierend verhält. Wie in einigen Studien belegt, führt der sächsische Dialekt – oder etwas, das ihm ähnelt – sogar zur Benachteiligung in Vorstellungsgesprächen, kann mitunter also sogar karriere- und somit existenzgefährdend wirken.
„Vokale und Konsonanten müssen herauskullern können.“
Manchmal hilft nur die intensive Beschäftigung mit dem Leben und eben auch der Sprache des Gegenübers, um ihn richtig zu verstehen. Deshalb bietet z.B. die Uni Leipzig Sprachkurse für westdeutsche Studenten an. Die Kommunikationstrainerin Annekatrin Michler erklärte in einem Interview mit ZEITonline, dass es dabei u.a. auch darum ginge, die typisch entspannte sächsische Körperhaltung einzuüben, denn „die Vokale und Konsonanten müssen herauskullern können“. Außerdem soll der andere, pausenreichere Arbeitsrhythmus der Sachsen gelernt werden. Mit der Sprache einher gehen also auch habitualisierte Arbeits- und Lebensrhythmen, für deren Verständnis Vielen leider noch immer der wirkliche Wille fehlt.
Der Dialekt- und Mundart-Forscher Prof. Anthony Rowley ist der Meinung, dass Hochsprache sowie die Dialekte in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Schließlich werde in Deutschland kaum irgendwo reines Hochdeutsch gesprochen, sondern vielmehr regionale Umgangssprachen verwendet. Die Deutschen sollten daher etwas toleranter im Umgang mit ihren Dialekten sein, wie es in anderen Ländern schon längst der Fall ist. Schließlich seien sie ein Stück Kulturgeschichte und drücken die regionale Identität der Sprecher aus.
So hat also auch unser Jenaer Student das gute Recht, seinen Dialekt zu sprechen, solange man ihn denn versteht. Würden es Bayern und Schwaben nicht genauso an einer heimatlichen Universität tun?
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