Rückkehr nach Afghanistan

Foto: ArmyAmber

Ist es vertretbar, Geflüchtete nach Afghanistan abzuschieben? Wie werden die Rückkehrer von der afghanischen Bevölkerung gesehen, welche Chancen haben sie im Heimatland? Die Rechtswissenschaftlerin und Anthropologin Friederike Stahlmann sprach im Haus auf der Mauer über die Sicherheitslage des Landes. Der Vortrag beleuchtete sowohl die Gesamtsituation wie auch Einzelschicksale. Über ein Land voller innerer Konflikte, in dem politische Neutralität auch für Privatpersonen nicht möglich ist und die humanitäre Lage von Rückkehrenden äußerst problematisch ist.  

von Ladyna

Trotz der schwülen Hitze  des Mittwochabends findet Friederike Stahlmann, die am Max Planck Institut in Halle arbeitet und Gutachten für Gerichte zur Situation in Afghanistan verfasst, ein interessiertes Publikum vor. Die Referentin hat im Land geforscht und kann die wissenschaftliche wie auch persönliche Perspektive weitergeben. Es geht um die Frage, ob es vertretbar ist, Geflüchtete nach Afghanistan abzuschieben: Ob es im Land, wie die Bundesregierung behauptet, sichere Gebiete gibt. Dabei betrifft Abschiebung – so die Referentin – vor allem junge, gesunde und alleinstehende Männer. Von ihnen erwarten deutsche Gerichte im Regelfall, dass sie sich am ehesten in der vorliegenden Bürgerkriegssituation behaupten können. Doch wann gibt es eigentlich „genug Krieg“ um die Rückkehr als unzumutbar einzustufen? Problematisch ist die schlechte Datenlage bezüglich Toter und Verletzter. Die offiziellen Zahlen gesicherter Toter schließen einen Großteil der Opfer nicht ein. Schließlich gibt es interne Kämpfe zwischen den Aufständischen, zwischen Regierungstruppen und Aufständischen, Drohnenangriffen und Hinrichtungen von Gegnern. Die Lage ist komplex, unübersichtlich und hat sich in den letzten Jahren deutlich dramatisiert.

Im März 2016 meinte der Sondergesandte der UN, Nicholas Haysom, dass es bereits als Erfolg zu werten sei, wenn Afghanistan am Ende des Jahres überhaupt noch existieren würde.  In der vorliegenden Bürgerkriegssituation ist es für Männer schlicht und einfach nicht möglich, politisch neutral zu sein. Frauen werden zwar nicht als politische Akteure gesehen, aber meist die gesamten Familien der politischen Gegner verfolgt. Die Kriegsstrategie der Taliban beruht zudem nicht nur auf Machtdemonstration durch Anschläge auf Prestigeeinrichtungen wie Botschaften sondern richtet sich auch mit landesweiten Terrorakten gezielt, die sich gezielt auf das zivile Leben richten. Damit wird das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung  direkt untergraben, während gleichzeitig kaum öffentliche Empörung im Westen evoziert wird.  Während einige deutsche Gerichte dieses Fehlen von staatlichen Strukturen so auslegen, dass dies auch Möglichkeiten zum Untertauchen bietet, macht die chaotische Situation Verfolgung politischer Gegner jedoch nicht uneffektiv. Soziale Kontrolle und zwischenmenschliches Misstrauen machen es für Fremde und Rückkehrer nahezu unmöglich, Fuß zu fassen.

Stahlmann zeigt auf, wie Europa-Rückkehrer ganz besonders gefährdet sind. Zum einen sehen die Taliban die Flucht nach Europa als „Überlaufen zum Gegner“ an. Aber auch in der Zivilgesellschaft gibt es viele Vorbehalte, den Rückkehrern wird Apostasie durch Verwestlichung unterstellt. Zudem wird angenommen, dass sie straffällig geworden sind – was auch an der Rhetorik deutscher Politiker liegt, die mehrfach betonten, dass hauptsächlich Gefährder ausgewiesen werden. Rückkehrer sind so stark stigmatisiert und können meist nicht auf den Rückhalt ihrer Familie setzen, da diese sonst auch Verfolgung ausgesetzt ist. Auch wird ihnen Reichtum unterstellt, was sie wiederum der organisierten Kriminalität ausliefert. Gleichzeitig ist staatlicher Schutz durch Polizei nicht wirksam. Eine Kombination aus Unfähigkeit, Korruption, Angst und der Tatsache, dass viele Kriegsverbrecher immer noch Macht und Posten inne haben, macht die Polizei oft handlungsunfähig. Laut Stahlmann lag 2015 der Personalschwund der afghanischen Sicherheitskräfte durch Tod, Verbrechen und Desertation bei 30%. Hinzu kommt die prekäre wirtschaftliche Lage mit einer Arbeitslosigkeit in den Städten von 80%, so dass traditionelle familiäre Solidarität wesentlich weniger wirkungsvoll ist. Auch hier stehen junge, alleinstehende Männer ganz unten auf der traditionellen Prioritäten, was soziale Unterstützung angeht.

Die Referentin macht deutlich, dass sie es für unverantwortlich hält, Afghanistan als sicheres Herkunftsland einzuordnen. An Afghanistan werden ihrer Meinung nach viele grundsätzliche Fragen der deutschen Asylpolitik verhandelt, ebenso, wie die Geflüchteten des Landes immer wieder Spielball von medienwirksamer politischer Taktik werden. Dabei ist eine Wiederintegration in die afghanischen sozialen Netze praktisch nicht möglich. Stahlmann hält den Kontakt zwischen Deutschen und Geflüchteten für essentiell, um erstere besser auf die Problematik aufmerksam zu machen und letztere über spezialisierte Hilfseinrichtungen zu informieren. Bei Gerichtsverfahren wird über die Hälfte der Bescheide von Afghanen als falschnegativ aufgehoben, so dass es sich lohnt, sich für Einzelschicksale einzusetzen. Das wichtigste sei, nicht in Gleichgültigkeit zu verfallen.


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