Rezension: Warum Armut kein Schicksal ist

Die Ökonomen Daron Acemoglu und James Robinson versuchen in ihren Buch Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut nicht weniger als eine Neubetrachtung der Armut, in der Kultur und Geografie keine Rolle mehr spielen – und es gelingt ihnen.

von Martin

Was soll man von einem Buch halten, das damit beworben wird, dass es noch in 200 Jahren gelesen wird? Auch wenn diesem Urteil ein großes Gewicht zukommt, da es von dem Nobelpreisträger George Akerlof stammt, stellt sich ein Gefühl ein, dass das Buch solch immensen Ansprüchen kaum gerecht werden kann. Immerhin haben es sich die Autoren Daron Acemoglu, Professor am MIT, und James Robinson, Professor in Harvard, zum Ziel genommen, die Ursachen von Wohlstand und Armut zu erklären. Dabei wollten sie nicht nur „Sozialgeschichte“ schreiben, sondern darüber hinaus einen institutionsökonomischen Ansatz anwenden, der die Ursachen der Armut erklärt, ohne Gründe wie Geografie, Ethnizität oder Religion vorzuschieben. Damit entwickeln sie eine vorurteilsfreie Makrotheorie der Armut.
Kerngedanke ihrer Untersuchung ist die These, dass die von den Staaten gewählten Regeln des Wirtschaftens und gesellschaftlichen Zusammenlebens – im soziologischen Sinne als Institutionen – dafür ausschlaggebend sind, ob ein Staat zu Wohlstand gelangt oder durch Armut geprägt wird. Die Autoren unterscheiden dabei zwei Formen: exkrative und inklusive Wirtschaftsinstitutionen. Während erste durch unsichere Eigentumsrechte, eine schwache rechtliche Ordnung, unfaire Wettbewerbsbedingungen und autoritative Bereicherung geprägt sind (und in letzter Konsequenz zu verbreiteter Armut in der Bevölkerung führen), sorgen inklusive Institutionen, also gesicherte Eigentums- und Vertragsrechte, eine funktionierende Justiz und freier Wettbewerb für gesellschaftlichen Wohlstand. Verdeutlichen lässt sich diese Abstraktion von gesellschaftlichen Merkmalen am Zusammenbruch des Mubarak-Regimes in Ägypten: So wurden die Proteste der Bevölkerung durch die zügellose Bereicherung des Mubarak-Clans angeheizt und führten letztlich zur Revolution von 2011, mit der die „exkrativen Institutionen“ des alten Systems zusammenbrachen. Die zukünftige Herausforderung der ägyptischen Gesellschaft liegt darin, „inklusive Wirtschaftsinstitutionen“ aufzubauen, damit jeder Bürger die Gelegenheit erhält aus eigener Leistung den eingeforderten Wohlstand zu erreichen.
Acemoglu und Robinson heben besonders hervor, dass diese Formen von Institutionen nicht durch kulturelle oder geografische Gegebenheiten entstehen, sondern das Produkt kollektiver politischer Prozesse sind: Die Schaffung von Institutionen ist ein politischer Akt, sodass Armut kein Schicksal, sondern eine Folge politischer Entscheidungen ist.

Vorurteile in Frage stellen

Darin besteht auch das Kernanliegen der Autoren: das Problem der Armut von einer falschen Schicksalhaftigkeit zu befreien und so ein Verständnis für die Wandelbarkeit von gesellschaftlichen Institutionen zu eröffnen. Die beiden Wirtschaftsprofessoren schreiben eine umfangreiche Sozialgeschichte, um ihren theoretischen Ansatz zu untermauern und anschaulich zu machen. Sie verwenden enorm viele Beispiele aus der Wirtschaftsentwicklung armer und reicher Nationen und zeigen zum Beispiel, dass Kinderarbeit in Usbekistan und der Protest von Rosa Parks als Folge exkrativer Institutionen durchaus zusammenhängen. Zudem gelingt es den Autoren, sowohl große historische Ereignisse wie auch kleine Anekdoten auf spannende Weise zu verbinden. Der Leser wird auf eine Reise geschickt, die voller Überraschungen steckt, die eigenen Vorurteile in Frage stellt und den Horizont erweitert.
Dieses überaus lesenswerte Buch erscheint zu einer Zeit, in der die Diskussion über die Ursachen der Armut von ideologischen Urteilen zunehmend befreit wird, um eine wissenschaftliche und rationale Sichtweise auf gesellschaftliche Probleme zu ermöglichen. Besonders die Arbeiten der Ökonomin Esther Duflo zur Reform der Entwicklungshilfe sind hierfür prägend. Acemoglu und Robinson gelingt es mit ihrem Werk Warum Nationen scheitern die Ursachen der Armut neu zu deuten und mit einer spannenden und aufschlussreichen Sozialgeschichte zu verbinden, um klar machen, dass Armut kein Schicksal ist, sondern eine Folge politischer Prozesse.
Vielleicht hatte George Akerlof ja Recht und dieses Buch wird tatsächlich in 200 Jahren noch gelesen…

Daron Acemoglu & James Robinson:
Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut
Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter
S. Fischer 2013
608 Seiten (Hardcover)
24,99 Euro

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