Inzwischen sind TV-Serien bei Erzählweise, Budgets und hochkarätigen Schauspielern auf dem Niveau von Kinofilmen angekommen. Doch wie „funktionieren“ die besten TV-Serien der letzten 25 Jahre und was haben sie gemeinsam?
von LuGr
Es ist der ganz normale Wahnsinn, der sich bei den Pritchetts abspielt: Die Sprösslinge des konservativen Familienoberhaupts Jay (Ed O’Neill), der mit seiner viel jüngeren Frau Gloria (Sofia Vergara) den Stief-sohn Manny erzieht, haben inzwischen selbst Kinder und leben nach eigenen Prinzipien. Jays Tochter Claire kümmert sich als Hausfrau einer „normalen“ Familie mit drei eigenen Kindern um die täglichen Routinen, Jays Sohn Mitchell ist schwul und lebt mit seinem Lebensgefährten Cameron zusammen, mit dem er ein asiatisches Baby adoptiert hat. Bei diesen unterschiedlichen Lebensentwürfen kommt es schnell zu Auseinandersetzungen.
Eigentlich passt die Mockumentary Modern Family perfekt zur These des Essays „Welcome to the Family“, den die Herausgeber diesem Bildband vorangestellt haben: Jürgen Müller und Steffen Haubner argumentieren, dass moderne Fernsehserien Geschichten erzählen, die uns nahe gehen, also von Familie oder familienähnlichen Konstellationen handeln – und somit einer Lebenswirklichkeit ähneln, die jeder Zuschauer kennen dürfte.
Und da „heile Familienwelten“ eben weitgehend der Vergangenheit angehören, sind ein verzweifelter Todkranker, der sich um die Absicherung seiner Familie sorgt (Breaking Bad, 2008 bis 2013) oder Single-Freunde aus der Großstadt (siehe die Erfolgsserie Friends, 1994 bis 2004) an ihre Stelle getreten – wenn nicht alltägliche soziale Konstellationen in einer von Bedrohungen gesäumten Welt, wie sie bis dahin nur aus Actionfilmen bekannt war (z.B. 24) als Kern der Erzählung sogar ganz überwunden wurden.
Das ist eigentlich ein cleverer Gedanke, der sich jedoch leider nicht durch die Vielzahl an qualitativ schwankenden Essays zieht, die das Buch zu einzelnen Serien präsentiert – und Modern Family kommt, ganz am Rande, bei den insgesamt 68 vorgestellten TV-Serien auch gar nicht vor. Erhellenden Einblicken in Das Geheimnis von Twin Peaks – die „Urmutter“ der Fernsehserie – von Medienwissenschaftler Bernd Zywietz stehen eher oberflächliche Analysen gegenüber, wie die von Filmkritiker Heinz-Jürgen Köhler zur Thriller-Serie Dexter, oder der betont intellektuell-moralische Text des Soziologen Steffen Haubner, bei dem man das Gefühl nicht los wird, dass er nach der ersten Staffel von The Walking Dead aufgehört hat, die Serie zu schauen.
Dass sich beim Titel Die besten TV-Serien – Taschens Auswahl der letzten 25 Jahre (von 68 Serien stammen merkwürdigerweise 55 aus den letzten 15 Jahren) vortrefflich über die Kandidaten streiten lässt, die es in das wuchtige Buch geschafft haben, versteht sich von selbst. Etwas schade ist indes, dass es mit Geister, The Office, Borgen und Downton Abbey nur vier Serien ohne US-amerikanische Beteiligung an der Produktion in die Zusammenstellung geschafft haben – Stromberg sucht man ebenso vergeblich wie die französische Mysteryserie The Returned. Stattdessen findet man die eher wenig innovative Sitcom Louie (seit 2010), die bisher noch nie in Deutschland ausgestrahlt wurde, in dieser Auswahl, die leider zu selten einen Blick über den „Tellerrand“ der Populärkultur erhascht. Solche Neuentdeckungen sind bei dem 744 Seiten umfassenden, knapp vier Kilogramm schweren Hardcover-Bildband jedenfalls auch vorprogrammiert.
Jürgen Müller (Hg.):
Die besten TV-Serien – Taschens Auswahl der letzten 25 Jahre
TASCHEN-Verlag 2015
744 Seiten
49,99 €
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