Rezension: Ein Panorama des Rassismus

Dass sich Fremdenfeindlichkeit in Deutschland nicht im terroristischen Treiben der NSU-Mörder erschöpft, veranschaulicht ein im Wallstein-Verlag erschienener Sammelband, das „Schwarzbuch Rassismus“.

von Carolin & Frank

Als Ende der 1990er Jahre das „Schwarzbuch des Kommunismus“ als eine Art Gesamtbilanz von acht Jahrzehnten Kommunismus erschien, folgte eine kontroverse öffentliche Diskussion. Beim unlängst im Wallstein-Verlag erschienen „Schwarzbuch Rassismus“ ist eine ähnliche Rezeption bislang nicht zu verzeichnen; dabei wäre eine öffentliche Debatte über Fremdenfeindlichkeit mehr als geboten. Einen Beitrag dazu kann die Anthologie allemal bieten: Sie will ein aufklärendes Lesebuch präsentieren, „ein Antidot gegen Dummheit, Vorurteile und Diskriminierung“. Und tatsächlich bietet das Buch nicht nur Schwarzmalerei, sondern eine Betrachtung des Phänomens Rassismus über Zeiten und Nationen hinweg; mit historischen und aktuellen Beiträgen, mal unangenehm, frustrierend, dann wieder komisch. Die vielschichtige Darstellung verdankt das „Schwarzbuch“ auch der stilistischen Bandbreite: Die Auseinandersetzungen mit seinem Thema erfolgen literarisch, dokumentarisch, zeichnerisch oder satirisch.
Den größten Gewinn dieser Zusammenstellung allerdings bietet eine Kombination, die in dieser Form vermutlich einzigartig ist: das Nebeneinander historischer Texte, u.a. von Primo Levi, Mark Twain, Bob Dylan oder Kurt Tucholsky, und zeitgenössischer Alltagssituationen, die dem Leser die Alltäglichkeit des Rassismus zeigen, wie er an jedem Bäckertresen und in jedem Fußballstadion der Republik auftreten kann. Diese zeigt das Buch unter anderem am Beispiel des Fußball-Skandals um den schwarzen Leipziger Spieler Adebowale Ogungbure, der in Halle von Fans der gegnerischen Seite einer regelrechten Hetzjagd ausgesetzt wurde.
Leider schweifen einige der zeitgenössischen Texte in die Banalität ab, bestehen sie inhaltlich doch im Wesentlichen daraus, dass der jeweilige Autor klar macht, dass er Rassismus und Fremdenfeindlichkeit für etwas Schlechtes hält – so weit, so unspektakulär. Auch Mitherausgeber Walter Gerlach macht es sich in seinem essayistischen Gedankenschnipsel „Billie Holiday in Dresden ermordet“ schlicht zu einfach, wenn er „kackbraun uniformierte Vollidioten“ verwünscht – derartige Zeugnisse anti-rassistischer Spätpubertät bilden allerdings die Ausnahme in dem Sammelband.
Einen ärgerlicheren, weil häufiger anzutreffenden Schwachpunkt des „Schwarzbuches“ aber bildet der elitäre Tonfall solcher Autoren, die zu sehr damit beschäftigt sind, sich selbst auf die anti-rassistische Schulter zu klopfen, um zu erkennen, dass die Bekämpfung von Rassismus nicht bloß die Aufgabe von Politikern und Sicherheitsbehörden ist. Das Autorenverzeichnis stellt uns diese Schreiber interessanterweise meist als hauptberufliche „Kritiker“, „freie Autoren“ oder „Künstler“ vor, die aus bequemer Position gesellschaftliche Probleme analysieren können, ohne danach in Amt und Verantwortung für Abhilfe sorgen zu müssen.
Ohnehin bleiben von diesem Band aber mehr die Texte in Erinnerung, die mit ihrem literarischen Gehalt zu überzeugen wissen. Besonders beeindruckend: Franz Fühmanns „Das Judenauto“, eine Kurzgeschichte über die (Re-)Produktion antisemitischer Einstellungen im Kindesalter, erzählt aus der Ich-Perspektive eines verliebten Schuljungen. Den stärksten und gleichsam aufwühlendsten Beitrag des Bandes bildet aber „Meine Ortschaft“, ein Text des Schriftstellers Peter Weiss aus dem Jahr 1968. So eindringlich, so plastisch und dennoch kühl, ohne Schauer oder Betroffenheit heischen zu wollen, hat selten jemand Auschwitz beschrieben: Man fühlt sich wie in den Erinnerungen eines ehemaligen Häftlings. Doch es ist der „Bericht eines Lebenden“, eines Besuchers, der, wie der Autor selbst sagt, „hierher kommt, aus einer anderen Welt“ und daher unmöglich begreifen kann, was geschehen ist. Ein Beitrag, der auch aufgrund seiner sprachlichen Finesse kein „Nie wieder!“ braucht, um Eindruck und Scham zu hinterlassen.
In seinem Panorama ist das „Schwarzbuch Rassismus“ nicht nüchtern oder gar wissenschaftlich, sondern emotional: ein geballter, 320 Seiten starker Kommentar zu den Zuständen, nicht nur, aber vor allem in Deutschland. Es ist weder eine rein deutsche Selbstanklage, noch der erhobene Zeigefinger auf rassistische Strukturen in anderen Ländern. Vielmehr bildet es Rassismus als ein universelles Problem ab, das in einer globalisierten Welt und multi-kultureller Bekenntnisse keineswegs „erledigt“ ist. Das zeigt nicht zuletzt die traurige Bilanz am Ende des „Schwarzbuches“, die auf erschreckenden neun Seiten die Todesopfer rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1990 auflistet.

Schwarzbuch Rassismus
Herausgegeben von Walter Gerlach & Jürgen Roth
Wallstein-Verlag 2012
328 Seiten
14,00 €

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