Darf ich reinkommen? Sie darf. Naomi Schenck betritt die Wohnungen fremder Menschen – und schreibt darüber. Das Ergebnis ist ungewöhnlich, aber lesenswert.
von Frank
London, Los Angeles, Paris, Berlin. Neuss, Wuppertal, Wiesbaden. Es sind keine Widersprüche, es ist Vielseitigkeit – wo auch immer Naomi Schenck an der Tür klingelt und ihr und ihrer Kamera aufgetan wird, entspinnt sich eine bemerkenswerte, um nicht zu sagen brisante Situation. Das, was sie an einer Stelle „den Rausch der Grenzüberschreitung, Eindringen in fremdes Terrain“ nennt.
Ihr Buch mit dem programmatischen Titel Kann ich mal Ihre Wohnung sehen? versammelt diese Besichtungen als Kurz- und Kürzestgeschichten, die zuvor einzeln in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen. Der Metrolit-Verlag präsentiert sie in einem wunderschön aufgemachten Hardcover-Band, mit Schwarzweiß-Fotographien eben dieser Wohnungen. Ein Band, der dabei fast gänzlich ohne Menschen auskommt – nicht, weil es der studierten Bühnenbildnerin nicht um die Menschen geht; doch sie will sie nicht mit ihren Gesichtern, sondern mit ihren Wohnungen porträtieren.
„Er leerte sein Glas Wein in zwei Zügen und legte sich neben mich. Und als er vorm Schlafen noch einmal den Kopf hob und fragte: ‚Do you mind if I wake up in the middle of the night and fuck you?’, hatte ich nichts dagegen.“
(London)
Von toten Hunden, Witwern und vergessenen Urnen
Es sind oft irgendwie melancholische Gastgeber, die wir kennenlernen; meist Männer mittleren Alters, was vielleicht kein Zufall ist – Schenck gibt in ihren Texten durchaus implizit Einblicke in ihr Verhältnis zu Männern.
Aber egal ob ihr Gegenüber nun männlich oder weiblich ist: Beim Lesen dringt man mit ihr immer wieder in die Privat-, ja Intimsphäre der Besuchten ein. Das Ergebnis ist manchmal banal und manchmal voyeuristisch, oft genug beides zugleich. Doch es gehört zur Funktionsweise dieses Buches, dass man in die Rolle des Voyeurs gedrängt wird – eines lesenden meist, denn längst nicht alles wird bildlich illustriert. Manchmal macht der Text neugierig auf die Bilder, manchmal ist es umgekehrt. Zu manchen der Texte, die ganz ohne Fotos daherkommen, hätte man sich erst recht Aufnahmen gewünscht (Wie es wohl in der als SM-Studio fungierenden Luxusvilla ausgesehen haben mag?). Bei anderen Bildern und Textpassagen schaudert es einem regelrecht – wie kann man so wohnen? Sich dort wohl fühlen, Zuhause fühlen? Designersessel an Sichtbeton, Geschmacksache, freilich.
„‚Wollten Sie nicht Fotos machen?’ Ich mache zwei oder drei, etwas zaghaft. Wo auch immer ich die Kamera hinrichte, habe ich das Gefühl, nicht den Raum, sondern dessen Eingeweide zu fotografieren.
(Düsseldorf)
Letztendlich sind es doch letztlich oft eher die Menschen, die Schenck porträtiert, statt ihrer Behausungen. Und wie sie das tut, sagt manchmal mehr über die Autorin selbst, als über ihre Gastgeber. Als Leser fragt man sich aber unweigerlich, was sie wohl über die eigene Wohnung denken und schreiben würde.
Naomi Schenck:
Kann ich mal Ihre Wohnung sehen?
Metrolit 2013
192 Seiten
19,99 €
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