Rezension: Kämpfe ums Kanzleramt

Passend zur Bundestagswahl 2013 präsentiert eine DVD-Box der Bundeszentrale für politische Bildung (zeit-)historische Fernsehbeiträge aus sechs Jahrzehnten Bundesrepublik.

von Frank

Bis heute legendär ist Gerhard Schröders Auftritt bei der „Elefantenrunde“ am Wahlabend 2005: Unter dem Eindruck der fulminanten Aufholjagd seiner lange totgesagten Agenda-SPD erklärt der Bundeskanzler, zur Verwunderung von Freund und Feind, nur er könne eine zukünftige Regierung anführen. Auch wenn es bekanntermaßen anders kam, in Gestalt der großen Koalition unter Angela Merkel, gilt diese Wahl-Nachlese doch als eine Art Klassiker der politischen Berichterstattung in Deutschland. Zusammen mit vielen anderen solcher Kandidatenrunden, Interviews und Reportagen findet sich Schröders Auftritt in der DVD-Box Kämpfe ums Kanzleramt, die die Bundeszentrale für politische Bildung und der Westdeutsche Rundfunk passend zur diesjährigen Bundestagwahl herausgebracht haben.
Um stolze sechs DVDs mit ausgewählten Fernsehbeiträgen über die 17 Bundestagswahlen zwischen 1949 und 2009 zu füllen, sind die Macher tief ins Archiv des Westdeutschen Rundfunks gestiegen. Zutage fördern sie allerlei kuriose Duelle und harte Auseinandersetzungen aus sechs Jahrzehnten Bundesrepublik, schmerzliche Niederlagen und spannende Wahlabende. Auch die TV-Duelle der Kanzlerkandidaten, die seit 2002 zum Programm gehören, dürfen natürlich nicht fehlen.

Soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft

Man fragt sich in der Gesamtschau, wie solche „amerikanischen Formate“ wohl in früheren Wahlkämpfen gewirkt hätten, etwa 1949, als es zwischen den Kanzlerkandidaten Adenauer und Schumacher noch um Fragen wie „Soziale Marktwirtschaft oder Planwirtschaft“ ging. Oder Jahre später, als noch über die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie gestritten wurde. Gerade in solchen Grundfragen ist es interessant, die Veränderungen anhand von Bild und Ton nachvollziehen zu können: von der Schumacher-SPD zu den „neuen“ Sozialdemokraten nach dem Godesberger Parteitag, die sich vom Marxismus losgesagt hatten. Man erlebt erste Wahlübertragung in Farbe, aus dem Jahr 1969, und schmunzeln so manches Mal über den Zeitgeist – nicht nur in Gestalt der Mode, sondern auch im Stil der politischen Kommunikation (oder der journalistischen Verarbeitung).

Wiedersehen mit historischen Figuren

Während die erste Wahl von 1949 (leider) mit nur einem Beitrag vertreten ist, werden spätere Wahlen wesentlich üppiger abgedeckt; eine der sechs DVDs ist sogar ganz den Wahlen von 1990 (DDR-Volkskammer und deutscher Bundestag) vorbehalten.
Natürlich stehen nicht nur Kanzler und Herausforderer im Fokus, sondern auch die jeweiligen Akteure in Fraktions- und Parteiführung, vom polternden Franz-Josef Strauß bis zum kauzigen Pfeifenraucher Herbert Wehner. Nebenbei gibt es auch ein Wiedersehen mit Journalismus-Legenden wie Friedrich Nowottny oder Hans Joachim Friedrichs.
Den jeweiligen politisch-historischen Kontext zu jeder Wahl bietet WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn – inklusive Wahlergebnissen in den uns bekannten bunten Balkengrafiken. Diese Kontextualisierung hätte allerdings etwas reichhaltiger ausfallen können. Auch der Wahlkampf selbst ist – betrachtet man den Titel Kämpfe ums Kanzleramt – eigentlich zu wenig präsent. Dennoch ist die (zwangsläufig lückenhafte) Geschichtsstunde, als Fundgrube an Interviews, Diskussionsrunden und (Fremdschäm-Alarm!) Wahlkampfsongs, lohnenswert. Freilich sollte man dabei nicht vergessen: die DVDs bieten keine politik- oder geschichtswissenschaftliche Aufbereitung der Wahlgeschichte, sondern eine journalistische Zusammenstellung.

Was bleibt? Ein Aufruf.

Und diese offenbart, dass sich einige Dinge scheinbar nie ändern. Etwa die penetranten Fragen, Nachfragen und Nachnachfragen der Journalisten nach gewünschten oder ausgeschlossenen Koalitionen. Oder die Vorsicht des deutschen Wählers: Nur ein einziges Mal wurde eine Bundesregierung komplett durch eine neue ersetzt (beim Machtwechsel 1998).
Ein bisschen fragt man sich am Ende, was von diesem Wahlkampf wohl so in Gedächtnis bleiben wird, dass es auf einer späteren DVD präsent wäre: Steinbrücks Stinkefinger? Merkels Gleichstellungs-Gestotter? Da der Wahlkampf nun hinter uns liegt, bleibt für alle Bürger der Aufruf der Wochenschau aus dem Jahr 1949: „Wähler, wähle!“

Kämpfe ums Kanzleramt
Bundeszentrale für politische Bildung
6 DVDs (ca. 750 Min.)
15,00 €


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