Fan-Service für Lehmann-holiker

Nach der Verfilmung folgt nun der Comic: Sven Regeners Roman Herr Lehmann wird von Tim Dinter weitestgehend ohne eigene Ideen, aber werkgetreu und liebevoll in Panels umgesetzt.

von David

Herbst 1989, an einem frühen Morgen in West-Berlin irgendwo in Kreuzberg: Frank Lehmann – von seinen Freunden Herr Lehmann genannt, weil er bald 30 wird – hat gerade seine Arbeitsschicht in der Kneipe beendet. Er ist betrunken und möchte nur noch nach Hause torkeln, aber plötzlich steht ein bedrohlich aussehender Hund im Weg. Herr Lehmann beginnt, dem Tier gut zuzureden, gibt ihm sogar ein paar Schlücke Whiskey zu trinken und wälzt sich schließlich mit ihm auf dem Bürgersteig, bis die Polizei kommt. Dann… – aber was danach folgt, wissen die Kenner von Sven Regeners Roman Herr Lehmann (2001) und der gleichnamigen Verfilmung (2003) im Grunde schon. Der Schriftsteller und Frontmann der Band Element of Crime baute die Geschichte um den gebürtigen Bremer und Wahlberliner zu einer Trilogie aus, die heute durchaus Kultstatus für sich beanspruchen kann. Dass nun irgendwann ein Comic zur Geschichte des Frank Lehmann erscheinen würde, war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit. Inwiefern nun Tim Dinters Comic-Verarbeitung des Stoffs notwendig ist, sei dahingestellt.

Wer kennt sie nicht: Die Episode mit dem „Scheißhund“ (© Tim Dinter / Eichborn Verlag)

In erster Linie handelt es sich bei Herr Lehmann um eine sehr werknahe Adaption des Romans, die in ihren Bildern relativ deutlich von der Verfilmung inspiriert wurde. Nennenswerte eigene Ideen entwickelt Tim Dinter kaum: Wer das Buch gelesen (und den Film gesehen) hat, wird kaum überrascht werden können von den schwarzweißen Panels. Es ist sogar anzunehmen, dass sich ‚unbedarften’ Lesern, die die Vorlagen nicht kennen, überhaupt kein Bezug zu den Bildern und Geschichten erschließen wird. Doch mit großer Sicherheit wurde Herr Lehmann auch nicht für sie konzipiert: Der Comic liest sich als allerreinster Fan-Service und als eben solcher ist er auch ganz gut gelungen. In knapp über einer Stunde Lektüre kann man als Liebhaber des Lehmann-Stoffs wunderbar in das besondere Universum des Frank Lehmann eintauchen und sich wieder einmal von der bittersüßen Liebe des Protagonisten zur schönen Köchin Katrin, vom allmählichen Zusammenbruch des besten Freundes Karl, vom Rätseln um die Identität des „Kristall-Volkers“ (der sich als ein Rainer entpuppt) voll und ganz einnehmen lassen. Dinters Schwarzweiß-Zeichnungen sind eher großflächig und impressionistisch, teils auch bis zur Unerkenntlichkeit: einige sind so unscharf, dass sie wie Erstskizzen aussehen – ein Versuch, alkoholbedingte Rauschzustände darzustellen? In Kombination mit den trüben, etwas matschigen Grautönen versinnbildlicht Tim Dinters Herr Lehmann noch einmal das, was schon der Roman und der Film implizit benannt haben: nämlich, dass Frank Lehmanns Geschichte kurz vor Fall der Berliner Mauer bei all der Witzigkeit im Detail in erster Linie auch eine niederschmetternde Tragödie und die Erzählung eines ganz persönlichen Weltuntergangs ist.

Sven Regener, gezeichnet von Tim Dinter:
Herr Lehmann
Eichborn Verlag 2014
233 Seiten
19,99 Euro

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