Zwischen Politik und persönlichem Vergnügen: Hier residierte sie, die Mätresse. Für wenige Jahrhunderte in der Weltgeschichte war sie die Frau mit dem größten Einfluss auf den jeweiligen Machthaber. Vom Aufstieg und Fall eines bis heute faszinierenden Phänomens.
von Anna
Verführung, Liebe, Macht, Eifersucht, Verrat – das Leben ist geprägt durch Ereignisse, die von diesen Schlüsselworten bestimmt wurden. Und offensichtlich spielen sich große Gefühle nicht nur in den Grenzen einer Ehe ab. Wenngleich es außereheliche sexuelle Beziehungen vermutlich ebenso lange gibt wie die Ehe selbst, sind insbesondere diejenigen interessant, die mehr als nur ein kurzes Bettgeflüster waren und sich in den höheren Sphären der Machtpolitik abspielten. Bereits zu Zeiten Karls des Großen war es gang und gäbe für einflussreiche Herrscher, Liebhaberinnen zu unterhalten. Oftmals handelte es sich um dieselbe Frau über mehrere Jahre oder Jahrzehnte – dennoch waren diese Gepflogenheiten noch weit vom institutionalisierten Mätressentum der Frühen Neuzeit entfernt. Der stetig wachsende Einfluss der Kirche im frühen Mittelalter sorgte zunächst für einen Rückgang dieser Praktiken, bis sie aus der Öffentlichkeit völlig verschwanden. Erst die Etablierung eines ständigen Hofstaats im Spätmittelalter ermöglichte die Entwicklung einer Mätressenkultur, doch ihre Anfänge waren holperig und suchten noch nach der Anerkennung der Kirche.
Henry VIII. heiratete zunächst seine Mätresse Anne Boleyn und vollzog den Akt auch tatsächlich erst nach ihrer Hochzeit. Leider war die deswegen erfolgende Scheidung von seiner ersten Frau in den Augen der katholischen Kirche ein kaum weniger schlimmes Vergehen als Ehebruch, sodass Henrys zweite Ehe zu einem Zerwürfnis mit dem Papst und schließlich zur Gründung der Church of England führte, deren Oberhaupt bis heute der Monarch von England ist. Nachdem Henry schlussendlich auch Annes überdrüssig wurde, ward sie der Untreue angeklagt und gemeinsam mit fünf Männern für die angebliche Tat hingerichtet. So wurde ausgerechnet die Königin, die als Mätresse Einzug in ein Könighaus hielt, zu Unrecht wegen Ehebruch exekutiert. Diese Ironie zeigt zugleich die Bedeutung der Religion für die Souveränität: So konnte sich Henry zunächst dem Willen der katholischen Kirche nicht widersetzen. Erst durch die Gründung einer eigenen Staatsreligion gelang es ihm, die päpstliche Intervention zu beenden.
Nur wenig später fand auf der anderen Seite des Ärmelkanals eine andere Frau durch die Mätresseninstitution nicht den Tod, sondern bedeutende politische Macht. Diane de Poitiers, selbst von adliger Geburt, kam durch Eheschließung an den französischen Königshof. Als Hofdame der Königin erlebte sie die Geburt von Henri II. Zunächst seine Lehrerin, wurde die fast zwanzig Jahre ältere Diane in den 1530er Jahren die Geliebte des nun herrschenden Henri. Ihr Einfluss verstärkte sich derart, dass sie berechtigt war, offizielle Briefe im Namen des Königs mit HenriDiane zu unterschreiben. Über eine solche Macht verfügten jedoch nur wenige Mätressen. In der Regel erstreckte sich der Einfluss einer Mätresse nicht weiter als auf den Königssitz selbst.
Mehr als eine Hure
Zunächst sorgte Louis XIV. auf dem Höhepunkt des Absolutismus dafür, dass das Mätressentum im großen Stil hoffähig wurde. Die Vormachtstellung des Herrschers – „l’État, c’est moi“ – erlaubte ihm einen Zuschnitt des gesamten Lebens am Hofe auf seine Person. Dennoch hielten die Vorteile einer ständig erreichbaren Angebeteten sich mit den Nachteilen fast die Waage: Die Kontrolle durch den Hofstaat verhinderte private Treffen mit der Liebhaberin, zudem lastete der mögliche Zorn der Königin und – ungleich schlimmer – der Kirche auf dem Paar, was umgekehrt auch öffentliche Treffen nahezu ausschloss. Die geistlichen Würdenträger vor den Kopf zu stoßen konnte weitreichende Konsequenzen haben; dies musste selbst der Sonnenkönig erfahren. Zunächst wurde seiner Mätresse, Athénaïs de Montespan, dann ihm von Geistlichen die Absolution verweigert, was in einem vorübergehenden Verweis der de Montespan aus Versailles gipfelte, um die Kirche zu besänftigen. Eine Möglichkeit, die Mätresse in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, fand sich erst durch die Schaffung des offiziellen Amtes der maîtresse en titre am Hof. Diese Position gab es zwar bereits seit etwa hundert Jahren, doch auch sie wurde erst unter Louis XIV. wirklich prominent. In der Folge entbrannte unter potentiellen Mätressen ein regelrechter Kampf um den Titel, unterstützt von einflussreichen politischen Interessengruppen, die durch diese Beziehung an den Königshof hofften, langfristig ihre eigene Position zu verbessern. Als Belohnung winkten der Auserwählten neben Titel und dem Leben am Hof Ländereien und Geldzahlungen, die sich als Gehaltsäquivalent verstehen lassen. Einige Mätressen verdienten annähernd so viel wie die Königin selbst. Im Gegenzug mussten sie den König und die Höflinge unterhalten. Sie brauchten Anmut und Charme, mussten die Mengen begeistern können und natürlich den König sexuell befriedigen.
Ein juristisches Gutachten aus dem frühen 18. Jahrhundert enthob dann auch die Beziehung zu einer Mätresse vom Vorwurf des Ehebruchs: Der König sei allein Gott Rechenschaft schuldig und nicht den gewöhnlichen Strafgesetzen unterworfen. Einerseits wurde somit durch die mögliche Vergabe des Titels an nur eine einzige Liebhaberin dem König sein Vergnügen zuerkannt, andererseits konnte die Kirche ihr Gesicht wahren, da Bigamie in dieser Weise auch theologisch begründet werden konnte. Befürworter argumentierten, ihr Verbot sei lediglich auf das Verhältnis zu Gott zu beziehen, nicht aber auf weltliches Leben. Und selbst Martin Luther ‚erlaubte’ Bigamie, wenn dadurch eine Scheidung verhindert werden könnte.
À la mode française
Ausgehend von Frankreich hatte sich das Mätressentum schon bald in Europa etabliert. Im 17. und 18. Jahrhundert war die Anwesenheit der Liebhaberin bei Hofe nicht mehr wegzudenken. So wurde Friedrich I. von Preußen nahe gelegt, eine Mätresse zu ernennen, um solcherlei Erwartungen gerecht zu werden. Ihre Bedeutung nach außen erlangte eine Mätresse dadurch, dass sie den jeweiligen Herrscher auch bei offiziellen Anlässen repräsentierte und fähig war, diesen bei Laune zu halten. Eine große Ausnahme von diesem etablierten Verständnis allein als Unterhalterin war die Marquise de Pompadour, die ihren König, Louis XV., in Fragen der auswärtigen Politik und Kriegsführung tatkräftig unterstützte. Im Gegenzug wurde sie von Gegnern der königlichen Politik und der Hofsitten öffentlich diffamiert. Diese Reaktionen verdeutlichen erneut die vollkommene Trennung von Institution und Person: Auch wenn die de Pompadour kritisiert wurde, wurde nicht der Umstand angeprangert, dass Louis XV. – der ‚Mätressenkönig‘ – seine Mätresse in der Öffentlichkeit präsentierte. Wie Diane de Portier den Beginn des Mätressentums in Frankreich versinnbildlichte, bedeuteten die Mätressen Louis’ XV. das Ende der Institution. Er war der letzte französische Herrscher, der noch das Amt der maîtresse en titre bekleiden ließ.
Heiraten aus Liebe
Wenngleich auch Louis XVI. Geliebte hatte, standen diese weit weniger im Fokus der Aufmerksamkeit – im späten 18. und 19. Jahrhundert büßte das Mätressentum einen Großteil seiner Legitimität ein, da alte Herrschaftsstrukturen aufgelöst wurden, das Bürgertum eine wachsende Emanzipation erlebte und Revolutionen sowie politischer Wandel das Leben am Hof komplett veränderten. Als mögliches Beispiel hierfür dient Ludwig I. von Bayern: Nach weitreichendem Fehlverhalten seiner Mätresse wurde diese ins Exil verbannt, anschließend wurde Ludwig zur Abdankung gezwungen. Der schwindende Einfluss vormaliger Herrscher ist hier nahezu greifbar.
Parallel zu diesem Autoritätsverlust royaler Dynastien sind sicherlich auch Änderungen in der Institution der Ehe dafür verantwortlich, dass Mätressen an Bedeutung einbüßten. Als Ehen aus rein politischen Gründen geschlossen wurden, lag es nahe, dass persönliches Vergnügen oder auch Liebe in den Armen einer anderen gesucht wurden. Der Aufstieg der bürgerlichen Liebesheirat machte eine solche Trennung im Wesentlichen obsolet. Der Begriff der Mätresse barg nunmehr in der Folge einen fahlen Beigeschmack; sie wurde als etwas Unanständiges, Schmutziges angesehen, das in einer ‚gesunden‘ Ehe nichts mehr zu suchen hatte. Ihre Bedeutung änderte sich mit der Wandlung von Gesellschaft und Staatsform. Ausgehend vom Absolutismus in Frankreich residierte die Mätresse einige Jahrhunderte im Schlaglicht der Aufmerksamkeit, wurde gar als Notwendigkeit betrachtet. Das aufbegehrende Bürgertum brachte einen Niedergang ihrer Bedeutung mit sich; die Privatisierung der Ehe führte diese Entwicklung fort, bis selbst das Wort Mätresse heute verrufen ist. Die Mätresse war ein Spiegel ihrer Gesellschaft. Ihre Bedeutung lässt direkte Rückschlüsse zu auf den Einfluss eines Regierenden und die Absolutheit seiner Macht – oder die Einbuße derselben.
Eines steht fest: Die Mätresse war immer mehr als nur Geliebte oder Edelhure. Oft war sie Spielball – zwischen Staat und Kirche, Ehe und Politik. Sie war Täterin, sie war Opfer: der Liebe, der Macht, der Eifersucht und des Verrats.
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