„Ich hasste den Faust!“

Krimi-Autor und Goethe-Übersetzer Petros Markaris spricht über europäische Diversität, deutsch-griechische Vorurteile und seine Beziehung zum Faust.

von David

Petros Markaris ist der unbestrittene Großmeister des Kriminalromans in Griechenland. Sein Kommissar Kostas Charitos ermittelt in den Vororten Athens, abseits touristischer Zentren, in einer Unterwelt, die mit derjenigen der griechischen Mythologie nur bedingt etwas zu tun hat. Seine 1995 gestartete Roman-Reihe umfasst bereits acht Bücher und feiert auch im deutsch- und französischsprachigen Raum große Erfolge.
Markaris selbst sieht sich als Grenzgänger zwischen den europäischen Kulturen. Für den gebürtigen Istanbuler eine Selbstverständlichkeit: 1937 kommt er in der türkischen Stadt als Sohn eines Armeniers und einer Griechin auf die Welt; auf den Straßen wird neben Türkisch, Griechisch, Armenisch auch Italienisch, Französisch und orientalisches Judenspanisch gesprochen. Markaris’ Vater, ein Importunternehmer, schickt seinen Sohn 1949 auf ein deutschsprachiges Gymnasium. Zu Beginn des Wirtschaftswunders hatte er geglaubt, Deutsch würde zur internationalen Unternehmersprache avancieren und deshalb müsse sein Sohn Deutsch lernen, um die Firma zu übernehmen. „Er hat sich in beiden Fällen geirrt. Aber Deutsch habe ich trotzdem gelernt“, schmunzelt der ehemalige Schüler.
In einer seiner vielen Heimaten – Griechenland – vermittelt Markaris bis heute die deutsche Kultur: Goethes Faust I und II hat er ins moderne Griechisch übertragen – eine Aufgabe, die selbst für den Weltbürger Markaris alles andere als leicht war. Ausgerechnet deutsche Lexika aus dem frühen 19. Jahrhundert halfen ihm weiter: „Man kann Goethe ohne Adelungs Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart nicht übersetzen“, weiß der Grieche zu berichten.
Markaris verfasst nicht nur international populäre Romane und schreibt Geschichten für mehrere TV-Krimiserien, er übersetzt auch Goethe und schreibt Drehbücher für Arthouse-Filme – für ihn kein Widerspruch, auch keine Vermittlung zwischen „ernster“ und „populärer“ Kultur, sondern geradezu zwingend notwendig. Mit vehementer Leidenschaft äußert er: „Literatur ist Literatur, Schreiben ist Schreiben. Ich kann und will diesen Unterschied zwischen ‚populär‘ und ‚gehoben‘ nicht akzeptieren!“
Für seine Verdienste als Faust-Übersetzer wurde Markaris 2013 die Goethe-Medaille in Weimar verliehen. Allerdings will er sich nicht auf eine Rolle als Vermittler zwischen Deutschland und Griechenland beschränken: „Ich bin mit vielen Kulturen und Sprachen aufgewachsen. Das war ein Segen für mich, ein großes Geschenk.“ Seine Autobiographie erhielt in der deutschen Übersetzung den passenden Untertitel Ein Leben zwischen Athen, Wien und Istanbul. Gerade dieses „zwischen“ ist es, das Markaris den Antrieb zu seinem Schaffen gegeben hat.
Mehr dazu lest ihr in unserem Interview:

unique: Was ist eigentlich Ihre Lieblingsstelle in Goethes Faust?
Markaris: Es ist die Stelle, die mir geholfen hat, den Faust zu verstehen. Als ich den Übersetzungsauftrag bekam, konnte ich sechs Monate lang kein einziges Wort schreiben, weil ich keinen Weg in die Übersetzung gefunden habe. Auf einmal, als ich bei der zweiten Studierzimmerszene war, mit Mephisto und dem Studenten, las ich: „Encheiresin naturae nennt’s die Chemie, / Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.“ Ich habe es zigmal gelesen, und habe auf einmal gemerkt: Das ist doch der ganze Faust; das Ganze ist doch wirklich eine Operation der Natur; der Relation zwischen dem Ganzen und seinen Teilen – zwischen Geist und Buchstabe! Dadurch konnte ich das Werk verstehen, erklären, und deshalb konnte ich es übersetzen. Immer wieder lese ich diese Stelle.

Gerade die griechische Antike spielt ja im Faust, vor allem im zweiten Teil, eine große Rolle. Wie war Ihre erste Begegnung mit dem Faust-Stoff?
Ich habe Faust schon früh in meiner Jugend gelesen, weil ich ja ein deutschsprachiges Gymnasium besucht habe. Es ging mir so, wie anderen jungen Griechen: Sie hassten die Antike. Und ich hasste den Faust! Die Art und Weise, wie man das der Jugend beibringt, ist total falsch: diese Seriosität, die abstoßend wirkt auf die jungen Menschen. Erst als ich den Text wieder gelesen habe, professionell, um ihn zu übersetzen, habe ich entdeckt, wie komisch dieses Werk teilweise ist, was für eine Satire drinsteckt. Das war aber auch die Schwierigkeit: Diese Umschwünge vom Tragischen ins Komische. Aber wenn man dann mit der Übersetzung des zweiten Teils beginnt, erscheint einem der erste Teil fast als Kinderspiel.

In den deutschen Medien wird vermittelt, dass gerade eine stark antideutsche Stimmung in Griechenland vorherrscht. Nehmen Sie dies auch wahr?
Krisen sind immer eine Ursache für Vorurteile und Pauschalisierungen – und die existieren auf beiden Seiten. Man muss dann einen klaren Kopf bewahren und Klartext reden, damit die Leute verstehen, dass das falsch ist. Die Griechen sagen: „Die Deutschen haben an uns verdient, behandeln uns jetzt wie Müll und haben immer noch diese Nazi-Mentalität“ – nichts davon ist wahr; es ist eine fixe Idee. Die Deutschen sagen: „Die Griechen sind selbst schuld, weil sie korrupt und faul sind“ – damals wie heute eine Pauschalisierung. Die Fehler haben sie wirklich selbst zu verschulden, aber nicht, weil sie korrupt und faul sind. Es gibt viele Griechen, die sehr hart arbeiten.

Ihre Krimis befassen sich mit den sozialen und politischen Verhältnissen in Griechenland. Warum sind diese Bücher ausgerechnet in Deutschland so beliebt?
Seit Anfang der 1960er Jahre kommen viele Deutsche nach Griechenland und haben eine Schwäche für das kulturelle Erbe des Landes entwickelt, etwa für die Akropolis. Plötzlich bekommen sie einen Roman, der eine Realität beschreibt, die neben dem antiken Tempel liegt und die sie nicht kennen. Das hat natürlich das Interesse geweckt. Außerdem wird ein Autor besser verstanden, wenn er über seine eigenen Verhältnisse schreibt und Charaktere aus seinem Umfeld heraus entstehen lässt.

Sie bewegen sich wie ein waschechter Europäer zwischen Athen, Wien, Paris und Istanbul. Gibt es für Sie so etwas wie eine europäische Identität?
Es gibt keine europäische Identität, aber es gibt eine europäische Diversität der Kulturen, und wir müssen mehr leisten, um uns gegenseitig zu verstehen. Das Problem ist: Viele wollen diese Diversität nicht akzeptieren, und wie lebendig sie ist, weil wir in ökonomisch schwierigen Zeiten leben. Wir können nicht einheitlich handeln: Ein Italiener, ein Deutscher, ein Schwede und ein Grieche denken und reagieren nicht auf dieselbe Weise. Und diese Vielfalt sollte man schätzen; der Reichtum Europas ist doch diese Diversität, nicht die Einheitlichkeit!

Herr Markaris, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führten David & Frank.

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