So viel Öffentlichkeit hatte ich sicherlich nicht erwartet, als wir uns vor ein paar Wochen mit diesem „Emil G.“ in einer Jenaer Gaststätte trafen. Viel Zuspruch und aufmunterndes Lob gab es, alte, vergessene Bekannte meldeten sich und neue Bekannte, die man am liebsten gleich wieder vergessen würde, kamen hinzu. Erst lief das Postfach mit Leserbriefen über, dann die Kommentarspalten dieser Webseite. Erst berichteten die Jenaer Unimedien, dann TA , TLZ und der „Nationale Widerstand“ über uns. Die Linksfraktion im Thüringer Landtag fordertete meinen Rücktritt, während der Rechtsextremismusreferent des Stura und die Jenaer Antifa in gewohnt unsachlicher Weise auch noch ihren Beitrag leisteten.
Während es die kritischen Erwiederungen weiter unten auf der Seite gibt, will ich hier recht knapp meine persönliche Sicht auf das umstrittene Interview und mein Verständnis von interkulturellem Journalismus darlegen. Um es gleich klarzustellen und auf die Kritik einzugehen: Ja, das Interview war handwerklich schlecht und trotzdem stehen ich und die gesamte Redaktion weiter voll und ganz hinter der letzten Ausgabe und hinter der Veröffentlichung des Interview.
Keine Frage, das Interview ist nicht so kritisch wie es sein könnte. Und wir haben uns vielleicht auch zu wenig darauf vorbereitet. Ohne damit irgendeinen der größtenteils legitimen Kritikpunkte gegenüber mir und der UNIQUE relativieren zu wollen, sei aber Folgendes gesagt: Letztendlich war das Interview kein größerer Ausdruck von journalistischem Unvermögen, als die vielen anderen schlechten Beiträge, die jeden Monat in der Unique, im Akrützel oder im Campusradio erscheinen. Siehe die beiden schlecht recherchierten Interviews des Akrützel und des Campusradios mit Berengar Lehr …
Der Grund dafür ist m.E. einfach, dass wir eben keine professionellen, sondern studentische Medien sind. Kaum ein Redakteur hat irgendwelche journalistischen Vorkenntnisse und genau für solche Leute sind wir auch da. Wir sind eben kein kommerzielles Hochglanzmagazin, wo es darum geht, regelmäßig ein möglichst perfektes Produkt abzuliefern.
Abgesehen von unserem thematischen und kulturpolitischen Auftrag, den wir an uns selbst stellen, sind studentische Medien vor allem dazu da, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen zu sammeln, sich thematisch und stilistisch auszuprobieren, Fehler zu machen und davon zu lernen. Das man allerdings innerhalb von wenigen Tagen so viele und solch intensive Erfahrungen machen kann, hab ich zugegebenermaßen auch nicht erwartet. Sicherlich war ich da etwas naiv.
Der Punkt, warum ich mich nicht von dem Interview distanziere, ist allerdings nicht im Handwerklichen, sondern woanders zu suchen. Ja, weil wir genau das wollten, haben wir einem Jenaer Nazi eine Stimme gegeben. Und unter völliger Missachtung der Folgen finde ich, dass dies nicht nur der mutigste sondern auch interkulturellste Beitrag war, den die Unique jemals hervorgebracht hat.
Interkulturalität bedeutet für mich viel mehr als „Seilspringen in verschiedenen Kulturen“, „Malen nach Zahlen in Simbabwe“ und „Erasmussaufen in Krakau“. Interkulturalität ist nichts autonom Existierendes, nichts Fatalistisches, was man blümchenhaft herbeipredigen kann. Wenn die Beschäftigung mit Interkulturalität nicht nur dem eigenen gutmenschlichen Wohlbefinden dienen soll, dann muss sie eben in dem sie bedrohenden Kontext gesehen werden. Einfacher gesagt: Die Beschäftigung mit Interkulturalität ist sinnlos ohne die Beschäftigung mit Rassismus, Intoleranz, Gewalt, politischer Indoktrination usw.
Am Anfang jeder inter- oder subkulturellen Sensibilisierung steht für mich dabei der Respekt und die politische sowie kulturelle Unbefangenheit gegenüber anderen Meinungen, Lebensentwürfen und Ideologien. Interkulturalität bedeutet für mich nicht, dass ich etwas respektiere, weil es meiner eigenen Meinung und meinem Wertegefüge entspricht, sondern entsteht aus dem einfachen Fakt, dass auch hinter jedem Faschisten ein Mensch steht, den ich wie jeden anderen Gesprächspartner zuallererst über dieses Menschsein definiere – und nicht über mögliche Überschneidungen unserer Werte. Nicht zuletzt sehe ich diesen Ansatz als einzig möglichen, um sich mit Problemen überhaupt ernsthaft auseinander zu setzen, sofern dieses Auseinandersetzen eben nicht nur Ausdruck von Selbstprofilierung sein soll.
Um es platt zu sagen: Der Kampf gegen Kindesmissbrauch beginnt für mich nicht mit öffentlichen Kastrationsforderungen alá BILD-Zeitung, sondern damit, dass ich die Sehnsüchte und Perversionen des Pädophilen trotz aller Abscheu erst einmal ernst nehme – um dann nach Lösungen zu schauen und die Ursachen zu ergründen. Der Kampf gegen bürgerlichen Rassismus beginnt nicht mit linkspolitischen Dogmen und Forderungen, sondern damit, dass ich frage, woher Menschen ihre Stereoptype, ihre Angst vor dem Fremden usw. haben. Und der Kampf gegen Faschismus in Jena beginnt damit, Leute wie Emil G. ernst zu nehmen, ihn nach seiner (!) Wahrnehmung der Dinge zu befragen, und nicht seine Aussagen durch eigene Meinungsdogmen oder Dogmen vom StuRa oder der Antifa zu relativieren. Ansonsten wäre es nicht anderes als politisch geleiteter Wohlfühljournalismus, für den wir uns gerne alle auf die Schulter klopfen können, mit dem wir aber gewiss nichts erreichen.
Die vermeintliche Entlarvung von Emil G.s Positionen kann dann gerne jeder Leser für sich selbst und nach seinem Werteverständnis vornehmen. Von mir (als Journalist) aber zu erwarten, ich hätte die Definitionshoheit über andere politische (oder kulturelle) Positionen, empfinde ich nicht nur als Leserverdummung, sondern vor allem als vollkommen kontraproduktiv. Die Alternative dazu sieht so aus wie das letzte Akrützel-Cover (versteht das bitte nicht als Angriff), welches ein Feindbild suggeriert, das in der Realität überhaupt nicht existiert und nichts anderes bewirkt, als dass man im „Kampf gegen rechts“ weiterhin aus politischem Scheuklappentum gegen in dieser Form gar nicht vorhandene Windmühlen ankämpft. Es sind eben nicht alle Nazis so dumm, wie wir sie zur eigenen Selbstberuhigung und Selbstbestätigung gerne hätten. Das ist realitätsfremdes Wunschdenken. Nazis zu unterschätzen – darin liegt die große Gefahr und der große Fehler im politischen und agitatorischen Ansatz vieler „Linker“.
Noch mal prägnanter gesagt: Kulturelle und politische Sensibilität bedeutet, sein Gegenüber zu respektieren, egal wie abscheulich dessen Positionen sind. Guter Journalismus muss eben zu den Quellen gehen, hat wahrlich deskriptiv und nicht nur interpretativ oder gar ideologisch zu sein. Möchte man die Folgen von Bushs Außenpolitik verstehen, muss man eben auch nach seinen Motivationen und den ihn umgebenden politischen Zwängen fragen, statt nur zu verdammen. Um gegen Frauenbeschneidung vorzugehen, muss ich eben auch ein Verständnis für die jeweilige Kultur aufbauen und nicht nur gutgemeinte Aufklärungsliteratur verbreiten. Um gegen die Folgen von Emil G.s Weltbild vorgehen zu können, muss ich es eben auch mal aus der Innenperspektive kennengelernt haben anstatt nur „Nazis raus“ zu schreien. Wenn wir aus vermeintlicher kultureller, moralischer oder politischer Überlegenheit jemanden nicht zu Wort kommen lassen, der, ob es uns nun gefällt oder nicht, Teil der gesellschaftlichen Realität ist, dann ist das für mich Rassismus und das Ende jedes interkulturellen Selbstverständnisses.
Letztendlich ist nur das für mich wirkliche Demokratie. Diese ist nicht das Produkt institutionalisierter politischer Entscheidungsprozesse. Sie entsteht nicht durch Presseerklärungen der Linksfraktion, Abstimmungen im Bundestag oder dadurch, alle vier Jahre ein Kreuz zu machen. Demokratische Politik, um mich mal auf Hannah Arendt zu stützen, ist eben gerade nichts politisch Geleitetes, sondern entsteht in freier (!) undogmatischer Diskussion zwischen „einfachen“ Menschen.
Um noch pathetischer zu werden: Interkulturalität – oder sagen wir gleich: die „bessere Welt“ – entsteht nicht dadurch, dass man solange Andersdenkende, Andersaussehende und Andersriechende von der Welt ausschließt, bis man sich in seiner politisch, kulturell, moralisch oder ethnisch gesäuberten Enklave gegenseitig die Eier schaukeln kann, sondern indem man sich den Gegenpositionen – und seien sie noch so faschistisch – in einem freien Wettbewerb der Meinungen stellt. Denn nur so kann man die „falschen“ Standpunkte bekämpfen, ohne aus aktivistischer Verzweiflung plötzlich gegen vermeintlich „falsche“ Menschen zu kämpfen Auch wenn wir es in diesem Maße gar nicht vorhatten, und obwohl die Kacke ganz schön am Dampfen ist: Im eben dargelegten Sinne bin ich eigentlich recht froh, dass wir Emil G. die Möglichkeit (andere mögen sagen „das Forum“) geboten haben, sich diesem Wettbewerb zu stellen.
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