Länderbericht Guatemala: Paradies im Regenwald

Mein Leben in Flores, Guatemala

von Anne Weirauch und Luth

Meine Freundin Melissa kommt aus Guatemala. „In meinem Land wirst Du größtmögliche Armut finden, aber auch Landschaften so schön, wie Du sie Dir niemals erträumt hättest“, so lautete im Jahr 2004 ihre Warnung, die ein Versprechen gleich mit einschloss. Als sie wieder fort musste, sprach sie eine Einladung aus. Die nahm ich gern an, schließlich war ich nie vorher in meinem Leben so weit gereist. Nach meinem Fremdsprachenstudium im saarländischen Neunkirchen schickte mich schließlich eine Agentur zum Praktikum nach Flores, in den Norden Guatemalas, mitten in den zentralamerikanischen Regenwald.

Größtmögliche Armut und paradiesische Landschaften
Die Hauptstadt des Departmento El Petén ist die Insel Flores im Petén-Itzá-See. Sie hat etwas mehr als 2.000 Einwohner und ist mit dem Festland durch einen künstlichen Damm verbunden. Charakteristisch für die Stadt sind einfache, pastellfarbene Häuser, holprige Kopfsteinpflasterstraßen und die angenehm ruhige Atmosphäre. Besser hätte ich es kaum treffen können. Die Temperaturen in Flores bewegen sich ganzjährlich um die 30°C, im März und April steigen die Werte auch mal auf 45°C – da fange sogar ich an zu schwitzen. Meine Wollpullis musste ich bisher jedenfalls nur im November oder Dezember bei „kühlen“ 20-25°C aus dem Schrank holen.
Die herzliche und warme Art ihrer Bewohner erleichterte mir das Einleben in Flores ungemein, schnell verliebte ich mich in die Stadt. Auf dem Weg zur Arbeit grüßt mich heute beinahe jeder ganz selbstverständlich mit „¿Hola, que tal?“. Schon während meiner ersten Reise durch Guatemala verspürte ich daher brennendes Heimweh – nach Flores wohlgemerkt, nicht nach Deutschland. Auf Reisen in Europa war mir dieses Gefühl nie untergekommen. Nun vermisste ich nicht nur so leckere Maya-Spezialitäten wie Hühnchenbrust mit Yuca in Chayasauce (Yuca ist eine kartoffelähnliche Wurzel) oder Calabaza (Kürbis), sondern auch mein tägliches Bad im See. Nach meiner Rückkehr bezog ich eine geniale Wohnung direkt am Strand, so dass ich bald mehrmals täglich schwimmen gehen und jeden Abend vom hauseigenen Badesteg aus den Sonnenuntergang genießen konnte.
Besorgungen in Flores erledige ich mit dem Fahrrad oder – bei schwereren Transporten – mit dem „Tuktuk“. Der Name dieser roten Kleinstdreiräder leitet sich von ihren Motorengeräuschen ab. Auf dem faszinierend bunten Markt von Flores werden an unzähligen, planlos angeordneten Ständen Schuhe, lebende Hühner, College-Blöcke, Schweinebeine, Tupperware, BHs, Chips und Spielzeug verkauft – natürlich alles wild durcheinander. Ich brauchte ca. drei Monate, um mich zurecht zu finden, erst dann machte mir auch das obligatorische Feilschen Spaß.
Rote Tuktuks und chaotische Märkte
Als fahrbare Marktstände könnte man die guatemaltekischen Busse bezeichnen, Essen braucht man jedenfalls keines mitzunehmen. Kaum sitzt man, bieten Kinder und Erwachsene Coladosen und geschälte Mangos zum Verkauf an (manchmal auch Nähsets, Kindersöckchen oder medizinische Allheilmittel). Zu den typischen Nahverkehrserlebnissen zählen auch arme Menschen mit herzerweichenden Erzählungen. Viele wurden aus den USA abgeschoben und müssen gerade das Geld für ein Busticket nach Honduras auftreiben. Tatsächlich gibt fast jeder Guatemalteke in solchen Situationen bereitwillig einen Quetzal (10 Cent). Generell haben die Guatemalteken ein entspanntes Verhältnis zum Monetären. Ist mein Kleingeld mal wieder alle, bezahle ich eben später. Vieles läuft auf Vertrauensbasis, eine Hand wäscht die andere.
Latino-Männer und Glaubenskrisen
Ein ganz eigenes Kapitel sind die Latino-Männer, die mich regelmäßig in Glaubenskrisen stürzen. Sprüche wie „Hey Süße, pass auf, dass Du nicht geklaut wirst“ gehören zu meinem Alltag als weiße Frau ebenso wie gierige Männerblicke. Dabei ist Flores voll von europäischen Touristen, die wie Millionen andere Tikal besuchen, die wohl Majestätischste aller Mayastätten. Auf meinen Fußmärschen in die Nachbarstadt Santa Elena werde ich fast pausenlos aus vorbeifahrenden Autos angemacht. Nahezu allerorts übt mein Hintern eine scheinbar magnetische, unwiderstehliche Anziehungskraft auf guatemaltekische Männerhände aus.
Das Nachtleben von Flores ist trotz dieser Umstände attraktiv. Schon von weitem hört man den Beat des Reggaetons, zu dem der Perreo („Hundetanz“) genau so getanzt wird, wie Vierbeiner Liebe machen. Schnell erlernte ich auch andere landestypische Tänze wie Salsa, Merengue und Bachata, nur an das obligatorische Paartanzen musste ich mich erst gewöhnen. Guatemaltekische Eltern sind größtenteils konservativ, Sex vor der Ehe gilt als tabu. Nur interessiert das die Jugend wenig. Frauen und Männer toben sich – die einen standardmäßig in Miniröcken und Stöckelschuhen, die anderen mit gegelten Haaren, spitz zulaufenden Schuhen und löchrigen Jeans – in und nach der Disco aus. Zur Not wird eben eine Ehe geschlossen, wenn Nachwuchs das ungewollte Resultat solch durchfeierter Nächte war.
Tanzen wie Hunde Liebe machen
Seinen ganzen Charme entfaltet Flores an christlichen Festtagen wie der alljährlichen „Feria“. Die Insel ist dann für Autos gesperrt, die Strassen mit wohlriechenden Pimentblättern bedeckt. Über die hinweg zieht dann eine lange Prozession mit weihrauchumnebelten Kirchendienern, singenden Männern, Frauen und Kindern sowie riesigen, aufgebahrten Jesus- und Marienfiguren. Ursprünglich ein Volksfest zu Ehren des städtischen Schutzpatrons, gleicht die Feria heute aber eher einem kleinen Oktoberfest mit klapprigen Riesenrädern, Glücksspielen, Fressbuden und Bierzelten.
Sonntags versammelt sich ganz Flores im städtischen Park. Die Alten gehen in die Kirche, die Kinder spielen Fangen und fahren Fahrrad, während auf dem Basketballfeld eins der zahlreichen Turniere stattfindet. In den kurzen Pausen stürmen Jungen auf den leeren Platz und spielen Fußball. An heißen und sonnigen Tagen (also praktisch ganzjährig) fahren die Leute an die Strände des Petén-Itzá-Sees. Zur Grundausstattung gehören Bier, Cola und Rum – nur eine Badehose ist überflüssig, da nahezu jeder in seinen Kleidern badet. Die Rückfahrt im Vollrausch ist kein Problem, einen Führerschein kann man für 60 Euro kaufen, die jährliche Verlängerung kostet nur zehn Euro.
Zum Alltag in Guatemala gehören leider auch Waffen. Selbst der Pepsi-Lieferant von Flores wird von einem Sicherheitsmann mit Riesenknarre bewacht. Trotzdem ist die Stadt im Gegensatz zu anderen Orten alles andere als gefährlich, Gangs gibt es hier jedenfalls keine.
Sicherheitsmänner mit Riesenknarren
Typischer als Waffengewalt sind für Flores schon eher die gelegentlichen Stromausfälle, auch das Wasser wird gern mal komplett abgedreht. Obwohl ich Kerzenlicht sehr romantisch finde, lernte ich für Deutschland ganz normale Dinge hier erst richtig schätzen.
Der Fortschritt kündigte sich in Flores in Form riesiger Neonleuchtreklamen an. Seit neuestem machen sich auf dem großen freien Platz, der bis dato von einheimischen Kindern zum Drachensteigen und von Touristen für Flores-Panoramafotos benutzt wurde, internationale Fast-Food-Ketten breit. Auf der Insel selbst aber soll das koloniale Stadtbild, welches 2006 zum Weltkulturerbe erklärt wurde, bewahrt bleiben. So ist das Anbringen von Schildern oder der Ausbau von Wohnhäusern inzwischen nur noch mit Sondergenehmigung möglich – auch mein hauseigener Badesteg fiel der UNESCO zum Opfer.
Majestätische Mayastätten
Das „Café Arqueológico Yaxha“, dessen Teilinhaberin ich bin, bietet geführte Touren zu Mayastätten im Dschungel, zur Ausgrabungsstätte „La Blanca“ sogar als einzige Reiseagentur. In wenigen Monaten gelang es uns, dort einen nachhaltigen Tourismus aufzubauen, wobei sich die engen Kontakte zu einem spanischen Archäologenteam als überaus hilfreich erwiesen. Unsere Tourgäste werden im nahe liegenden Dorf gleichen Namens („La Blanca“) von ortsansässigen Familien mit lokalen Mittagsspezialitäten verpflegt. So entwickelt die Dorfbevölkerung allmählich ein Bewusstsein für die Bedeutung der Ausgrabungsstätte und die Notwendigkeit ihres Schutzes vor Grabräubern und Vandalen. Im Januar 2008 eröffneten wir die Spanischschule „Dos Mundos“, die erste in Flores. Sie bietet allen Studenten neben Sprachunterricht und Gastfamilienaufenthalten auch die Möglichkeit, an sozialen Projekten teilnehmen. Dazu zählt u.a. Freiwilligenarbeit in einem Kinderheim und in einem Altenheim.

Mehr Informationen zu Flores und meiner Arbeit erhält man über www.cafeyaxha.com bzw. info@cafeyaxha.com.


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