Mythen und Fakten zum Interview mit Khalid Amayreh in UNIQUE 47

Seit nunmehr drei Wochen erregt ein Interview mit dem Hamas-nahen Journalisten Khalid Amayreh in der UNIQUE 47 in der Jenaer Studierendschaft und darüber hinaus hohe Aufmerksamkeit. Der Studierendenrat der FSU kürzte der UNIQUE spontan die Mittel, die Jenaer Antifa rief zur Gewalt gegen die Redakteure der UNIQUE auf, gab Flyer gegen den Chefredakteur heraus und vernichtete öffentlich hunderte Exemplare der Ausgabe.
Neben viele positiven Stimmen und öffentlichen Verteidigungen, warfen viele selbsternannte Nahost-, Antisemtismus- und Journalismusexperten der UNIQUE journalistische Unfähigkeit und Symphatie mit den Positionen Amayrehs vor. 

Für alle, die wie manche unserer Kritiker das Interview nicht gelesen haben, trotzdem aber mitdiskutieren wollen, haben wir im folgenden die häufigsten Kritikpunkte sowie unsere Erwiderung darauf zusammengefasst, um dadurch einen Beitrag zu leisten, die teils hitzigen Diskussionen von der Ebene der Mythen und des Höhrensagens auf die der Fakten zurück zuholen.

Das Interview ist ein journalistisch schlechtes Produkt.
Ja und Nein. Aus streng journalistischer Sicht hätte das Interview auch unseren Ansprüchen nicht genügt. Doch, wie viele Inhalte in der UNIQUE, ist das Interview eben nicht nur ein journalistisches Produkt. Die UNIQUE ist kein rein journalistisches Medium und will und wollte dies auch nie sein. Seit ihren Anfangstagen setzten sich die jeweiligen Redaktionen ein Ziel: Journalismus sollte nicht aus Selbstzweck ausgeübt werden, sondern mit einem klaren interkulturellen Auftrag. Dass diese beiden Begriffe nicht immer einfach zu verbinden sind, merken wir bei jeder Redaktionssitzung aufs neue. Mann könnte sogar sagen, Journalismus und interkulturelle Arbeit schließen sich teilweise aus. Während interkulturelle Arbeit davon lebt, zuallererst wertfrei zu sein, das „Fremde“ über dessen bloße Portraitierung, über das reine Zugänglichmachen zum „Vertrauten“ zu machen, ist Journalismus an sich wertend. Interkulturelle Arbeit will zeigen, wie die Welt – aus unterschiedlichsten Perspektiven – gesehen wird, Journalismus will sie konstruieren. Journalismus muss interpretierend sein, interkulturelle Arbeit will die Interpretation bewusst dem Adressaten (hier dem Leser) überlassen, um ihn so die „fremde“ Perspektive in Reinform und nicht durch die Brille des Redakteurs zugänglich zu machen.
In diesem Sinne stellen die meisten Beiträge in der UNIQUE einen schwierigen Balanceakt aus beiden Ansätzen dar. Letztendlich ist unser Ziel interkulturelles Engagement mit journalistischen Mitteln, ohne dass das Wesen des einen Aspektes den anderen bedeutungslos macht.

Die Unique stellt den Nahost-Konflikt einseitig dar.
Ja und Nein. Das Ziel der Nahost-Reihe in der UNIQUE war es nie, den Nahost-Konflikt aus einer vermeintlich journalistisch-objektiven Perspektive darzustellen. Die UNIUQE wählte bewusst einen anderen Ansatz: Konflikte, seien sie politisch, kulturell oder sozial, finden nicht nur in politischen Programmen und geschichtlichen Tatsachen Auswirkung und ihren Ursprung, sondern vor allem in den Köpfen der Menschen. Ein wirkliches Verständnis für z.B. den Nahost-Konflikt bedarf deshalb nicht nur des Studierens von Büchern, sondern auch des Zuhörens für die individuellen Sichten von Menschen, die vom Konflikt beeinflusst sind oder den Konflikt beeinflussen. Dies wird u.E. medial viel zu selten gemacht. Konflikte werden auf bloße Fakten reduziert, es wird suggeriert, man könne sie unter Abwegung der pro und cons rechnungshaft lösen. Individuelle Erfahrungsräume, unterschiedliche Lebenswirklichkeiten, Handlungsmotive und Deutungsmuster, die sich nicht nach „objektiven Fakten“ richten, werden stattdessen kategorisch ausgeblendet. Für unsere Nahost-Reihe stellte sich deshalb nicht die Frage „Wer ist Schuld am Nah-Ost-Konflikt?“, sondern „Wie sehen und bewerten Beteiligte den Konflikt, wie ist ihre subjektive – und dass heißt eben auch einseitige – Sicht auf den Nahostkonflikt?“

Es kommen keine anderen Perspektiven auf den Nahost-Konflikt zu Wort.
Doch. Die Nahost-Reihe begann in Ausgabe 46 mit dem Interview „Es sind nur Kleinigkeiten, die einem Frieden im Wege stehen“ des stellvertretenden Vorsitzenden der jüdischen Landesgemeinde Thüringens Ilja Rabinowitsch. Zudem handelte es sich von Anfang an um eine Reihe. Für die kommenden Folgen sind u.a. ein deutscher Professor mit dem Schwerpunkt Nahost, eine israelische Friedensaktivisten, ein Mitarbeiter einer christlichen Entwicklungsorganisation und ein ehemaliger israelischer General eingeplant.

Die Unique hätte unterschiedliche Perspektiven in einer Ausgabe gegenüber stellen müssen.
Nein. Der Vorwurf, dass der Reihencharakter in Ausgabe 47 nicht deutlich genug geäußert wurde, wodurch der Eindruck entstehen könnte, Khalid Amayrehs Positionen würden der einzige Beitrag zum Thema sein, ist sicherlich berechtigt. Für die nächste Ausgabe wird sich die Redaktion deshalb überlegen, wie sie den aktuellen Teil der Reihe stärker in den Kontext der Vorgängerteile stellen kann. Mehrere Meinungen einander gegenüber zu stellen, in diesem Fall also die Interviews von Khalid Amayreh und Ilja Rabinowitsch, wie nun vorgeschlagen wird, ist allerdings gefährlich. Zum einen bestünde die Möglichkeit, dass Argumente des einen, die des anderen aufheben, und so die individuellen Sichten sich gegenseitig relativieren. Zum anderen könnte der Eindruck erweckt werden, wir würden beide Interviewpartner gleichsetzen wollen.

Khalid Amayrehs Aussagen sind antisemitisch.
Ja, Khalid Amayreh bedient sich in seiner Argumentation klassischer antisemitischer Steotype, wie der Idee einer zionistisch-jüdischen Weltverschwörung, die die Politik der Vereinigten Staaten und Deutschlands bestimmt. Diese sollen und müssen verurteilt werden. Doch hilft es u.E. niemandem, etwas unter bloßem Verweis auf Amayrehs scharfe Rhetorik und seine antisemitischen Äußerungen, den persönlichen Hintergrund, die Motive und Ursachen für das Denken von Menschen wie Amayreh auszublenden. Und noch viel weniger hilft es, so zu tun, als gäbe es Menschen wie Amayreh nicht. Den Nahost-Konflikt zu verstehen, bedeutet eben auch, zu versuchen den Gründen für Hass, Radikalität und Voruteile der beteiligten Akteure auf den Grund zu gehen. Es bedeutet auch anzuerkennen, dass Menschen die in einem anderen geschichtlichen, kulturellen und politischen Umfeld aufwachsen, sich rhetorischer Mittel bedienen, die in Deutschland ganz klar zu verurteilen sind, woanders aber zum alltäglichen Sprachgebrauch gehören können. Und es bedeutet auch anzuerkennen, dass Menschen, die in diesem Konflikt aufgewachsen sind, ihren politischen Gegenpart anders betrachten, als wir, die nicht direkt vom Konflikt beeinflusst werden. Dieses Anerkennen bedeutet dabei nicht, die andere Position zu tolerieren, sondern ist Ausdruck eines interkulturellen Verständnisses, den „Anderen“ erst kennen zu müssen, um mit ihm – auf welche Weise auch immer – letztendlich aber basierend auf Fakten anstatt auf Vorurteilen umgehen zu können.

Das Interview macht antisemtische Positionen gesellschaftsfähig.
Nein. Gerade bei einer studentischen Leserschaft, letztendlich aber auch bei jedem Leser mit ein wenig Geschichtsverständnis, ist es absurd anzunehmen, die bloße Zurschaustellung antisemitischer Positionen würden antisemitische Ressentiments entstehen lassen. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Wenn uns die vielen kritischen Reaktionen eines zeigen, dann dass Amayreh mit seinen Äußerungen vor allem eines tut: sich selbst und dem palästinensischen Anliegen zu schaden. Seine scharfe Rhetorik führen eher dazu, dass Amayreh sich selbst deligitimiert und auch seine inhaltlich legitimen Positionen jeglicher Glaubwürdigkeit beraubt.

Zumindest die Nazi-Vergleiche hätten zensiert werden müssen.
Nein. Die Nazi-Vergleiche und damit Amayrehs größte Achillesferse zu zensieren hätte nicht nur eine Verfälschung seiner Aussagen bedeutet, sondern hätte vor allem die Schärfe und somit die Angreifbarkeit aus seinen Aussagen genommen. Das Interview vor dem Abdruck rhetorisch weich zu spülen, hätte letztendlich vor allem Amayreh genützt, indem es seine Aussagen sachlicher, weniger angreifbar und damit glaubwürdiger gemacht hätte. Deshalb entschieden wir uns nach langen Diskussionen die Nazi-Vergleiche bewusst stehen zu lassen und Amayrehs Rhetorik nicht abzuschwächen. Um nach außen nicht den Eindruck entstehen zu lassen, wir hätten uns nicht mit der Problematik befasst, entschieden wir, uns in einem Kommentar zum einen deutlich von den Vergleichen zu distanzieren, zum anderen noch einmal auf unseren Ansatz zu verweisen, dass man um die Problematik zu verstehen, eben nicht bei der bloßen Verurteilung stehen bleiben darf.

Es wird nicht kritisch nachgefragt.
Doch. Das primäre Ziel des Interviews (s. Punkt 1) war es nicht, die Aussagen unseres Interviewpartners auseinander zu nehmen und ihn bloßzustellen, sondern ihm Raum für seine indiduelle Sichten zu geben, ohne ihm deren Absurdität vorzuhalten. Ziel war es, an Amayreh ebenso vorteilsfrei heran zu treten, wie wir es bei jedem anderen Interviewpartner auch tun, um dem Leser die Wertung seiner Aussagen und Person nicht schon vorweg zu nehmen. Dass die Leser des Interviews dies bisher ganz gut konnten, zeigt ja gerade die öffentliche Empörung, die den Aussagen Amayrehs entgegenschlägt.
Trotzdem werden in 13 von 15 Fragen Kritikpunkte gegenüber der Hamas aufgegriffen. Dazu gehören u.a. die Diskriminierung Andersgläubiger, die Beschneidung individueller Freiheiten, die antisemtischen Äußerungen in der Hamas-Charta, die Einstufung der Hamas als Terrororganisation, die Raketenangriffe auf israelische Zivilisten, die Nichtanerkennung bisheriger Verhandlungsergebnisse, die Nichtanerkennung Israels und die Instrumentalisierung des Wohlfahrtssystem zu politischen Zwecken. Da es das Ziel des Interviews war, eine palästinensische Perspektive auf die Hamas zu gewinnen, wurden aber auch typisch palästinensische Kritikpunkte gegenüber der Hamas aufgenommen,  wie: die Tatenlosigkeit der Hamas während des Gazakrieges, der fehlende Schutz der eigenen Bevölkerung, der mangelnde Widerstand, Israel durch die Gewalttaten einen Vorwand zu Vergeltungsaktionen zu liefern, die Konflikte zwischen Fatah und Hamas und die de facto Anerkennung Israels.

Khalid Amayrehs Aussagen wurden nicht (ausreichend) kommentiert.

Jein. Khalid Amayrehs Aussagen wurden kommentiert. Im Kommentar „Das Spiel mit der Verharmlosung“ distanzieren wir uns nicht nur von der fragwürdigen Rhetorik Amayrehs, sondern kritisieren Nazi-Vergleiche im Allgemeinen als Ausdruck historischer Unkenntnis, Geschichtsverklärung, Geschmaklosigkeit und Relativierung des Leides der Opfer des Nationalsozialismus. Sicherlich, kann man der Forderung, wir hätten uns darüberhinaus auch stärker von den inhaltlichen Äußerung distanzieren und sie für den Leser in einen kritischen Kontext stellen müssen, Berechtigung abgewinnen. Doch würde dies unseren interkulturellen Ansatz, d.h. dem Leser Fremdes – egal wie unangenehm dieses Fremde auch sein mag – näher zu bringen, damit er sich durch seine Augen, anstatt durch unsere damit befassen kann, stark karikieren und letztendlich zur Bevormundung des Lesers führen, was aus journalistischer Perspektive sicherlich berechtigt und unabdingbar ist – aus interkultureller Perspektive allerdings nicht. (s. Punkt …)

Khalid Amayreh wird als Prototyp des palästinensischen Opfers dargestellt.
Nein. Wie gesagt, unser Ziel war es nie, dem Leser eine Wertung unserer Interviewpartner oder deren Aussagen vorzugeben. Die Einleitung „In unserer Nahostserie wollen wir unbefangen Opfer unt Täter des Konflikts zu Wort kommen lassen, Menschen, die vom Konflikt beeinflusst wurden und jene, die ihn beeinflusst haben; Menschen, die sich für die Region interessieren und Menschen, die jede Hoffnung längst verloren haben.“ sollte den Interviewpartner nicht kategorisieren, sondern zum Ausdruck bringen, dass wir bewusst offen lassen wollten, wie der Interviewpartner zu einzuordnen ist. Darüberhinaus bewirkt Amayreh mit seinen agressiven Äußerungen und seiner einseitigen Kritik an Israel u.E. gerade das Gegenteil, anstatt Mitgefühl oder Sympathie zu erzeugen.

Die Unique hat Fehler gemacht.
Ja. Unser entscheidender Fehler war, unserer eigenen Außenwirkung nicht genügend Beachtung zu schenken. Wir ließen außer Acht, dass bei vielen Lesern allein durch das Lesen von Amayrehs Positionen der Eindruck entstehen musste, die Redaktion teile solche Positionen oder es sei in unserem Interesse, sie gegenüber unserer Leserschaft zu propagieren. Sicherlich verlangten wir der Leserschaft etwas zu viel ab, wenn wir annahmen, sie würde ohne zusätzliche Erklärungen und Stellungnahmen verstehen, aus welchem Hintergedanken wir uns auf diese Weise mit dem Thema befassen. Doch nach reichlicher Reflexion und Diskussion sind wir zu dem Schluss gekommen, auch weiterhin nicht auf Berichterstattung außerhalb des Mainstreams zu verzichten, uns aber in Zukunft noch intensiver mit den möglichen Auswirkungen und Interpretationsmöglichkeiten zu befassen und dies besser im Vorfeld zu kommunizieren, auf dass letztendlich die vermittelten Inhalte und nicht die Form oder das Medium zum Hauptthema des öffentlichen Diskurses werden können.


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