Die Podiumsdiskussion „Mitreden über Europa“ hat den Zusatz „Bürgerforum“ wirklich verdient, denn die Zuschauer bestimmen die Themen. Diesmal, in Jena ging es um TTIP.
von Jan
Man musste noch einige Stühle herbeischaffen in der Rathausdiele, am vergangenen Freitag, dem 07. November: Zu der Veranstaltung „Mitreden über Europa“ fanden sich mehr Interessierte ein, als die vorgesehene Bestuhlung des historischen Veranstaltungssaals am Markt fassen konnte. Nur sechs Mal im Jahr lädt das Informationsbüro des Europäischen Parlamentes in Berlin zum so genannten „Bürgerforum“, immer in einer anderen deutschen Stadt – diesmal in Jena. Das Programm ist immer gleich: Regionale Abgeordnete des Europäischen Parlamentes stellen sich den Fragen des Publikums und diskutieren darüber. Es wird kein bestimmtes Thema vorgegeben, die Menschen im Saal bestimmen mit ihren Fragen und Kommentaren die Richtung der Gespräche auf dem Podium. Anschließend stellen sich im Rahmen eines Empfanges regionale Initiativen und Institutionen mit europäischem Bezug vor.
Die Atmosphäre in dem großen Raum hatte etwas von Bedeutsamkeit: JenaTV hatte große Kameratechnik aufgebaut, um die Veranstaltung live im Internet ausstrahlen zu können. Unter den Anwesenden sah man hier und da prominente Gesichter. An einem Infostand des Informationsbüros des Europäischen Parlamentes gab es Broschüren sowie den Vertrag von Lissabon zum Mitnehmen.
CDU-Bürgermeister Frank Schenker eröffnete pünktlich um 18 Uhr den Abend. Anlässlich des bevorstehenden 25-jährigen Jubiläums des Mauerfalls sprach er zuerst von den positiven Wendungen der jüngeren Geschichte. Es gäbe heute aber auch Herausforderungen, wie etwa die Flüchtlingsproblematik, die es zu bewältigen gälte. Frank Piplat, Leiter des Informationsbüros des Europäischen Parlamentes, gedachte im Anschluss ebenfalls des Mauerfalls und wies auf die Prozesshaftigkeit Europas hin: Es gäbe immer wieder neue Themen und Aufgaben für Europa. Außerdem erklärte er, dass die Veranstaltung Bürgerforum auf das Engagement des Publikums angewiesen sei und rief daher zu reger Mitsprache auf.
Unter der Moderation von Eberhard Schneider, Redaktionsleiter Ausland des MDR Fernsehens, begann dann das eigentliche Gespräch. Die Diskutanten waren die Thüringer Europaabgeordneten Gabriele Zimmer von der Linken, Dieter-Lebrecht Koch von der CDU, Jakob von Weizsäcker von der SPD sowie, als neutraler Analyst, der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, in der jeder der Podiumsgäste eine Frage zu beantworten hatte, hatte der Saal das Wort. Ein Mann, der sich als Jenaer Unternehmer vorstellte, thematisierte das umstrittene Transatlantische Freihandelsabkommen, kurz TTIP, welches gerade zwischen der Europäischen Kommission und der US-Regierung ausgehandelt wird. Seiner Ansicht nach ist die angedachte Einführung so genannter Schiedsgerichte fragwürdig, da sie die souveränen Interessen von Nationalstaaten untergraben würde. Schiedsgerichte sollen dann im Rahmen des Investitionsschutzes – von staatlicher Gerichtsbarkeit unabhängig – etwa über Schadenersatzforderungen von Unternehmen gegenüber Staaten der Vertragsgemeinschaft entscheiden können.
Vorherrschendes Thema: TTIP
Koch nahm als erster Stellung und rief zu Geduld auf: Die Verhandlungen seien noch gar nicht abgeschlossen. Gabi Zimmer zeigte sich diesbezüglich misstrauischer. Sie sieht es insgesamt als problematisch an, dass die Verhandlungen im Verborgenen vor sich gehen. Unter diesen Umständen darauf zu vertrauen, dass alles so kommt, wie es für die Menschen in den Mitgliedsstaaten am Besten sei, hält sie für naiv. Weizsäcker stellte zuerst fest, dass ein solcher Investorenschutz unter bestimmten Umständen sinnvoll sei – etwa wenn es darum gehe, in politisch instabilen Gegenden Sicherheit für Geldgeber und Unternehmen zu schaffen. Es müsse aber genau geprüft werden, ob solche Regelungen sich verselbstständigen und so schädlich werden. Politikwissenschaftler Oppelland vermutete, dass sich an dem Thema TTIP ein latenter Antiamerikanismus entlädt.
Dieses Thema bestimmte dann auch in großer Ausführlichkeit den größten Teil des Abends. Erst in der zweiten Hälfte der Podiumsdiskussion kamen andere Themen zur Sprache: Eine junge Frau forderte dann beispielsweise die sofortige Öffnung aller EU-Außengrenzen; ein junger Mann fühlte sich berufen, die positiven Effekte des europäischen Zusammenwachsens zu betonen.
Nach den Gesprächen öffnete sich die Tür in den Nebensaal, wo sich einige regionale Initiativen und Institutionen vorstellten – unter anderem etwa das Jenaer Europe Direct-Informationszentrum oder der Demokratische Jungendring Jena e.V. Bei kleinen Speisen und kühlen Getränken hatte man die Gelegenheit, mit den Diskutanten der Podiumsdiskussion ins Gespräch zu kommen. Insgesamt ließ die große thematische Offenheit – das Großthema Europa – sowie der konsequente Einbezug des Publikums eine interessante Diskussion erwarten. Tatsächlich aber biss sich das Gespräch an einem unerwarteten Thema fest und erlangte hier eine gewisse Tiefe. Entsprechend hatte der Abend aber leider auch etwas Beliebiges an sich: Die Zeit war kurz; wer gerade nicht am Thema TTIP interessiert war oder wem hier das nötige Grundlagenwissen fehlte, konnte der Veranstaltung möglicherweise nicht so viel abgewinnen.
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