Die großen Modekonzerne sind wegen der teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern in der Kritik. Besserung scheint so schnell nicht in Sicht zu sein.
von bexdeich & Chrime
Der Fabrikmanager im Hintergrund lauscht seiner Mitarbeiterin interessiert, als diese die Frage von C&A-Sozialprüfer Charles Dickinson beantwortet. „Haben Sie auch am Sonntag gearbeitet?“, fragt Dickinson. Die junge Frau verneint vehement. Ihr Chef ist sichtlich zufrieden mit der Antwort. Dickinson konstatiert nüchtern: „Ich glaub‘ beim nächsten Mal müssen wir das ohne Zuhörer machen.“
Diese Szene aus Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, aus der 3sat-Reportage „Nähen bis zum Umfallen?“ steht sinnbildlich für eines der zahlreichen Probleme, mit denen die Beteiligten der Textilindustrie tagtäglich konfrontiert sind: ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in Zulieferbetrieben, Kinderarbeit bei der Baumwollernte, mangelnder Gesundheitsschutz und die Behinderung von Gewerkschaften. Ein Großteil der öffentlichen Kritik richtet sich gegen Moderiesen wie H&M, C&A oder KiK. Das dargestellte Beispiel zeigt aber auch, dass die Probleme noch auf ganz anderen Ebenen zu finden sind. Fabrikmanager, wie der geschilderte, sind maßgeblich darauf angewiesen, westliche Großaufträge zu erhalten. Und dies klappt natürlich nur, wenn die Produktionsleistung stimmt. Ein Teufelskreis, der letztlich die Arbeiterinnen trifft.
Für ‘nen Appel und kein Ei
Das Auslaufen des Welttextilabkommens am 1. Januar 2005 machte vor allem China und Indien zu Siegern, viele Entwicklungsländer aus Lateinamerika und Afrika, Asien und dem Mittleren Osten aber zu Verlierern im globalen Wettstreit der Bekleidungs-Exportnationen. Sie alle erlitten 2005 Ausfuhreinbußen von bis zu 13 Prozent. In den Jahren zuvor schützte eine Quotenregelung den weltweiten Textil- und Bekleidungsexport aus diesen Ländern. Die großen Modeketten schmücken sich mit Gütesiegeln und Initiativen für faire Arbeitsbedingungen. Es fällt jedoch schwer, einem Unternehmen wie H&M zu glauben, das sich weigert, eine vollständige Liste seiner Lieferanten bekannt zu geben und die Preise in einem Ausmaß drückt, das den Arbeitern in den Produktionsländern kaum ermöglicht, von den Löhnen zu leben. In Bangladesch erhält eine Näherin umgerechnet 20 bis 35 Euro pro Monat.
Faire Löhne sind das eine, die Arbeitsbedingungen in den Fabriken oder im Einzelhandel das andere Problem. „Es ist schlimmer als im Gefängnis. Im Gefängnis darf man wenigstens mit dem Nachbarn sprechen“, sagt eine der Näherinnen aus Bangladesch in der ARD Exclusiv-Reportage „Die KiK-Story“. Außerdem wird bei Krankheit der Lohn abgezogen, man wird von Vorarbeitern angepöbelt und zu unbezahlten Überstunden gezwungen. Eine normale Arbeitswoche besteht aus sechs Tagen zu je neun Stunden. In Stoßzeiten sind aber auch 80 Wochenarbeitsstunden möglich. Wer sich weigert, fliegt.
Wenn Anwälte die Wahrheit verbieten
Auch deutsche Mitarbeiter des mächtigen „Textildiskonts“ bestätigen die teilweise abenteuerlichen Methoden des Konzerns. So erzählt ein ehemaliger Bezirksleiter in der Reportage davon, wie er sich jeden Abend nach Ladenschluss auf dem Parkplatz versteckte, um Taschenkontrollen bei den Angestellten durchzuführen; denn das von der Unternehmensleitung erarbeitete Mitarbeiterhandbuch beinhaltet u.a. die Weisung „Alle Filial-Mitarbeiter sollten regelmäßig und unangekündigt kontrolliert werden. Dies erzeugt eine große nachhaltige Wirkung“. Ex-KiK-Manager Manfred Regenbrecht bezeichnet seinen früheren Chef Stefan Heinig als „gespaltene Persönlichkeit, skrupellos, rücksichtslos“. Worte wie „Betriebsrat“ oder „Gewerkschaft“ seien gleichbedeutend mit der Kündigung gewesen.
Wie wichtig unabhängige Medien sind, wird durch dieses Beispiel auf dramatische Weise verdeutlicht. KiK-Chef Heinig lässt dem NDR durch seinen Anwalt verbieten, das Filmmaterial der „KiK-Story“ zu zeigen. Er fordert sogar dazu auf, es zu zerstören und behauptet ganz dreist, dass die gezeigten Näherinnen in Bangladesch „gar nicht oder nur ganz selten oder nur vor langer Zeit“ für seinen Konzern gearbeitet haben. Erst mit enormem juristischen Aufwand erreichen Christoph Lütgert und die Panorama-Redaktion doch noch die TV-Ausstrahlung, für die sie später den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus gewinnen werden. Dass die großen Konzerne sich nicht zu den katastrophalen Arbeitsbedingungen in ihren Produktionsländern äußern wollen, ist leider schon Normalität. Dass ein Konzern aber die unglaubliche Dreistigkeit besitzt, das Zeigen der Wahrheit per Gerichtsbeschluss verbieten zu wollen, wirft ein ganz schlechtes Licht auf die Textilindustrie.
Ein Tropfen auf den heißen Stein
Aber was wird in den Produktionsländern als auch hierzulande gegen die widrigen Bedingungen in den Fabriken und im Verkauf getan? Es gibt zahlreiche Einzelmaßnahmen der Unternehmen für bessere Bedingungen in der Textilindustrie. Doch Aktionen wie All for children, eine Kooperation von H&M und UNICEF, bei der 50 Cent pro Kleidungsstück Ländern wie Bangladesch oder Indien zufließen, sind ein Tropfen auf den heißen Stein und dienen vorwiegend Marketingzwecken. Auch die eingeführten Verhaltenskodizes oder Produktionsstandards der Bekleidungsunternehmen, die seit einigen Jahren bestehen, sind dabei nur unzureichend. Sie enthalten Forderungen zu Löhnen, Gewerkschaftsfreiheit, Arbeitsbedingungen und dem Verbot von Kinderarbeit. Dazu werden Sozialprüfer wie Charles Dickinson von C&A eingesetzt, die den Zulieferbetrieben kurze Besuche abstatten und ihre Checklisten abarbeiten – aber nur sehr schleppend Verbesserungen durchsetzen. Darüber hinaus sind die Standards oftmals schwammig formuliert und es macht stutzig, wenn von „Orientierung an örtlichen Umständen“ die Rede ist.
Labeln fürs Gewissen
Um allerdings den schwer durchschaubaren Herstellungsprozess in sozial wie ökologisch vertretbare Bahnen zu lenken, braucht es unabhängige Kontrollen. Die Kampagne für saubere Kleidung betont, was dafür essentiell ist: Sie fordert dafür einen ganzheitlichen Ansatz. Die Konzerne müssen gemeinsam mit Beschäftigten und Verantwortlichen, NGOs sowie den Konsumenten in den Abnehmerländern am runden Tisch zusammen kommen. Nur auf der Basis dieser unterschiedlichen Positionen und Blickwinkel lassen sich Programme entwickeln, die Diskriminierungen, Gewerkschaftsverboten und Hungerlöhnen ein Ende setzen. In Zusammenarbeit mit der Fairtrade Labelling Organisation sind zahlreiche solcher Multi-Stakeholder-Ansätze dazu in der Lage, nachhaltige Veränderungen anzustoßen. Selbst H&M hat den dringenden Handlungsbedarf erkannt und trat im Jahre 2006 der FLO bei, um unabhängige und sinnvolle Überprüfungen zu gewährleisten. Die FLO gilt als Dachverband der Fairtrade-Siegel-Initiativen. Dies weist aber auch auf die Problematik hin, dass es noch immer kein einheitliches Zeichen für ethisch korrekt hergestellte Kleidung gibt.
Aggregiert kommen die Aufrufe kritischer Konsumenten beispielsweise über die bereits erwähnte Kampagne für saubere Kleidung zum Ausdruck. Mithilfe von Kampagnen übt sie öffentlichen Druck aus, um so konstruktive Gespräche mit den betroffenen Firmen zu initiieren. Auch Bewusstseins- und Bildungsarbeit gehört zu den Aufgaben des Netzwerkes. Nur so kann „schmutzige“ Kleidung nach und nach aus unseren Kleiderschränken verbannt werden. Angefangen mit Bananen und Kaffee, hat sich der Faire Handel mittlerweile auf die Textilbranche ausgeweitet und bietet eine saubere Alternative. Faire Klamotten stehen den herkömmlichen Produkten, die oftmals unter widrigen Bedingungen hergestellt wurden, hinsichtlich des Designs in nichts nach. Als lokales Beispiel in Jena sei das erst kürzlich eröffnete Bekleidungsgeschäft Grünschnitt genannt. Im Gegensatz zu H&M besteht das komplette Sortiment aus Textilien, bei deren Produktion hohe ökologische Standards eingehalten werden, die durch entsprechende Siegel gekennzeichnet sind. Bei Grünschnitt ist ein modisches Angebot unterschiedlichster Designer für Jung und Alt zu finden. Bisher ist es thüringenweit das einzige Bekleidungsgeschäft, das auf ausschließlich fair produzierte Produkte setzt. All das sind Anfänge und es wird deutlich, dass es noch viel zu tun gibt bis mehrheitlich faire Arbeits- und Produktionsbedingungen in der Textilbranche erreicht sind.