Jeder hat etwas über Trumps Vorhaben, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko bauen zu lassen, gehört. Doch wie sieht es mit den Mauern innerhalb Mexikos aus? Ein Gastbeitrag.
von Anne Jüngling
Der Uber-Fahrer beginnt langsam unruhig auf seinem Sitz herumzurutschen, während die Sicherheitsangestellten am Eingangstor mehr als einmal unsere Ausweise kontrollieren. Die Security-Mannschaft der Universidad de las Américas Puebla
(UDLAP) in Mexiko scheint das hingegen eher weniger zu beeindrucken. Seelenruhig telefonieren sie weiterhin der Person hinterher, die unseren Termin auf dem riesigen Gelände bestätigen kann – ohne ist es ausgeschlossen, den Campus zu betreten. Der mit Stacheldraht gespickte Zaun ist der beste Beweis dafür, dass unangemeldete Gäste so gut wie keine Chance auf Einlass haben.
Mit deutschen Führerscheinen scheinen die Wachen dabei nicht besonders gut zurechtzukommen. Als sie meinen Namen einer Person am Telefon mitteilen wollen, werden Nachname und Geburtsstadt verwechselt und ich kurzerhand in „Anne Chemnitz“ umbenannt – in spanischer Aussprache ziemlich ulkig.
Die private Universität UDLAP, gelegen in Cholula in der Nähe Pueblas, der viertgrößten Stadt Mexikos im Süden des Landes, zeichnet sich laut Ansässigen durch einen exzellenten nationalen wie auch internationalen Ruf aus. Der Campus umfasst einen Komplex von 80 Hektar, der sowohl die Universitätsgebäude als auch Sportanlagen, Wohnheime und Grünanlagen beinhaltet. Zurzeit studieren der Homepage der Universität zufolge hier etwas mehr als 8000 Menschen, davon ungefähr 300 internationale Studierende. Der Leiter des International Offices, Guillermo Figueroa, benennt dabei deutsche Studierende als zweitgrößte Gruppe, direkt nach Austauschstudierenden aus Frankreich. Das ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass in Puebla sowohl Volkswagen als auch Audi Produktionsstandorte betreiben, wo viele Deutsche beschäftigt sind. Dadurch ist im Allgemeinen die deutsche Gemeinschaft in Puebla sehr ausgeprägt. Auf dem Campus selbst ist es keine Seltenheit, vorbeigehende Menschen auf Deutsch reden zu hören.
Studentenparadiese hinter Stacheldraht?
Anders als öffentliche Universitäten in Mexiko sind die privaten meist mit intensiven Kosten verbunden. Ohne Stipendium können sich nur wenige den Zugang zu einer dieser besser ausgestatteten und weniger überfüllten Universitäten leisten.
Mariana Sahian, Studentin an einer öffentlichen Universität in Puebla, die selbst ein Stipendium für die UDLAP erhielt, dieses jedoch aus privaten Gründen nicht antrat, betont vor allem die unterschiedlichen Mentalitäten an den Universitäten. Die Lehrkräfte hätten eine ganz andere Einstellung, welche sie auch an ihre Studierenden weitergeben würden. „An den öffentlichen Universitäten wird uns gesagt, dass wir froh sein sollen, wenn wir einen Job bekommen – egal wie schlecht er bezahlt wird. Sie ermutigen uns nicht, nach mehr zu streben.“ Das träfe natürlich nicht auf alle zu, jedoch auf einen großen Teil. Diese Ausnahme-Dozenten unterrichten oft auch noch an privaten Instituten; dort würde das Gefühl vermittelt, dass die Studierenden mehr erreichen können, wenn sie nur hart arbeiten und ehrgeizig sind. „Mit dieser Einstellung hat man einen völlig anderen Start ins Arbeitsleben“, meint Sahian. Außerdem sei der Raum zur freien Entfaltung auch auf dem Campus zu spüren, die Atmosphäre sei viel offener und teilweise inspirierend, meint sie.
Diese besondere Denkweise ist auf dem ganzen Gelände der UDLAP zu spüren. Studierende sitzen zum Lernen im Gras oder treffen sich im Student Center, um ein Projekt zu besprechen – fast schon wie in einer Universitäts-Broschüre. Die meisten wirken gelöst und ungezwungen, als ob der Campus für sie ein sicherer Zufluchtsort wäre. Offene Flächen und Bänke auf dem gesamten Komplex laden zum Entspannen und Verweilen ein.
Jedoch gibt es auch eine Kehrseite der Medaille: die enormen Kosten. Ein Semester bestehend aus sechs belegten Kursen kostet rund 4.500 Euro – Verwaltungs- und Wohnkosten nicht inklusive. In einem Staat wie Mexiko, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen unter 10.000 Euro pro Kopf liegt, ist diese Art von Bildung demnach nur Kindern aus besserverdienenden Familien vorbehalten oder mithilfe eines Stipendiums möglich. Die Mehrzahl der Studierenden Mexikos besucht eine öffentliche Universität, wie beispielsweise die Benemérita Universidad Autónoma de Puebla (BUAP), die ebenso in Puebla angesiedelt ist. Dort ist die Anzahl der Studierenden deutlich höher – um die 65.000. Zudem gibt es an öffentlichen Universitäten oft weniger Möglichkeiten der Förderung. So ist in der Großstadt Puebla die UDLAP die einzige Universität, die eine Art Universitätszeitung betreibt. Und das in der Stadt Mexikos, die die meisten Universitäten (mehr als 30 an der Zahl) beherbergt.
Gesellschaftsgrenzen aus Beton
Armut lässt sich oft und überall im Alltagsleben spüren. Seien es Straßenverkäufer, die während der Rot-Phase einer Ampel fast schon todesmutig zwischen den Autos hin- und herlaufen, um ihre Ware für wenige Cents anzubieten oder Invaliden, die vom sozialen Sicherungssystem im Stich gelassen wurden und deshalb auf Almosen angewiesen sind.
In einem Dorf in den Bergen, in dem gerade einmal 150 Menschen leben, die von Anbau, Verarbeitung und Verkauf von Kaffee leben, wird man mit allergrößter Herzlichkeit und Gastfreundschaft empfangen. Die Menschen dort besitzen nicht viel, hausen teilweise in gefährlich aussehenden Konstruktionen, aber sie teilen trotzdem all ihre Besitztümer mit Gästen. Abends, während Fleisch und Zwiebeln draußen über dem Feuer zubereitet werden, sind Nachbarn jederzeit willkommen. Die Menschen wirken zufrieden mit ihrem Leben, obwohl das nächste Kino drei Stunden entfernt ist.
Wer in einer größeren Stadt lebt und es sich leisten kann, wohnt in einer der Gated Communities, genannt „fraccionamientos“. Diese Wohnsiedlungen sind nicht nur von hohen Mauern und Eisentoren umschlossen – im Service sind auch Pförtner enthalten, die rund um die Uhr eintreffende Personen kontrollieren. Taxifahrer beispielsweise müssen ihre Ausweise am Eingang hinterlassen und erhalten sie erst beim Verlassen zurück. In großen Siedlungen sind oft Schulen, kleine Läden und Spielplätze eingebunden. „Fraccios“ sind allerdings nicht nur der oberen Bevölkerungsschicht vorbehalten, vielmehr bieten sie Sicherheit für die breite Masse.
Und wie reagieren Mexikanerinnen und Mexikaner, wenn man sie auf das Mauerprojekt Trumps anspricht? Sie lachen, wenn auch leicht verärgert. In ihren Augen ist der aktuelle amerikanische Präsident nicht sehr viel mehr als eine Witzfigur. Einer meint sogar (vermutlich im Scherz): „Vielleicht erschießt ihn ja einer.“
Anne Jüngling ist Redakteurin der hallischen Studierendenschaftszeitschrift hastuzeit der Martin-Luther-Universität. Dieser Artikel erschien zuerst in hastuzeit Nr. 71.
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