MediNetz Jena e.V. – zwischen Sprechstunde und Politik

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Deutschlandweit bemühen sich 34 eigenständige Medinetze beziehungsweise Medibüros oder Medizinische Flüchtlingshilfen darum, Menschen aufzufangen, die durch die Löcher in unserem Krankenversicherungssystem fallen. In Thüringen gibt es nur ein Medinetz: in Jena in der Wagnergasse. Hier gibt es den Artikel auf Englisch

von Jan

„Im letzten Jahr gab es hier in Thüringen einen tragischen Fall, bei dem sich jemand ohne gültige Papiere mit Husten und Atembeschwerden an uns wandte. Zuvor hatte er sich aus Angst vor Abschiebung nicht zum Arzt getraut. Er wurde von einer Ärztin, die mit uns kooperiert, untersucht, die bei ihm eine manifeste Lungentuberkulose diagnostizierte.“ erzählt Jakob vom MediNetz Jena e.V. „Diese Krankheit kommt in Deutschland eigentlich nur noch selten vor und gilt hier als besiegt, nicht zuletzt weil sie in einem früheren Stadium meist heilbar ist. Der Patient ist aber im Krankenhaus daran verstorben, weil er erst zu spät Hilfe gesucht hat. Den Tod dieses Menschen hätte man vermeiden können, wenn die Gesetzeslage nicht so menschenrechtsfeindlich wäre, wie sie ist.“

Dies ist einer der schwerwiegendsten Fälle, den die Mitarbeiter des MediNetz Jena e.V. während des bisher kurzen Bestehens der Initiative erlebt haben. Der Verein existiert seit etwa drei Jahren und ist aus einem Projekt der IPPNW-Studierenden („International Physicians for the Prevention of Nuclear War“) und der FachschaftMedizin der Universität Jena hervorgegangen. Anliegen der Medinetze ist es, Menschen, die aus verschiedensten Gründen keinen oder keinen vollen Versicherungsschutz genießen, eine Behandlung zu ermöglichen, denn krank werden kann schließlich jeder. Wer volle und zudem anonyme medizinische Versorgung benötigt, bekommt beim MediNetz Beratung und Hilfe. Es gibt keinen Dachverband der Anlaufstellen, die andernorts auch MediBüro oder Medizinische Flüchtlingshilfe heißen. So wird in Jena, wie auch in den 33 anderen Standorten, eigenständig gearbeitet. Die Netzwerke kooperieren jedoch eng miteinander, tauschen bei jährlichen Bundeskongressen ihre Erfahrungen aus und unterstützen sich gelegentlich auch bei der Vermittlung von Patienten ohne ausreichenden Versicherungsschutz. Der diesjährige Bundeskongress wird vom 22. bis 25.05.2015 vom MediNetz Jena organisiert.

Im MediNetz Jena e.V. engagiert sich eine große Gruppe Studenten sowie Berufstätige unterschiedlichster Fachrichtungen. Sie treffen sich in der Wagnergasse in den Räumen des Vereins Refugio Thüringen e.V., der sich als psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge versteht. Es werden persönliche und telefonische Sprechstunden angeboten; bei den Plenen werden die Fälle besprochen und die zahlreichen Aufgaben verteilt.

„Wir sind aber nur die erste Anlaufstelle, denn wir behandeln nicht selbst, sondern wir vermitteln die Patienten weiter. Dabei können wir auf ein Netzwerk von Ärzten, Psychotherapeuten, Hebammen und Krankenpflegern zurückgreifen“, erklärt Robert, der ebenfalls im MediNetz Jena aktiv ist. „Hierfür haben wir im Laufe der letzten drei Jahre 5.000 niedergelassene Ärzte persönlich angeschrieben. Außerdem fragen wir einzelne Ärzte bei konkreten Fällen an. Diese unterstützen uns mit Ihrer Arbeit, indem sie möglichst günstig behandeln und vor allem: anonym. Es geht uns also hauptsächlich darum, kooperationsbereite Ärzte zu finden und den Kontakt zwischen diesen und den Patienten herzustellen.“ Die Patienten werden bei ihrem Arztbesuch häufig von Mitgliedern aus dem MediNetz begleitet. Bei Bedarf wird sich auch um einen Dolmetscher bemüht. Finanziert wird die Arbeit aus Spenden, sodass die ehrenamtlich behandelnden Ärzte zum Beispiel Labor- und Materialkosten erstattet bekommen.

Ein grundlegendes Problem des bestehenden Versicherungssystems sieht das Jenaer MediNetz-Team darin, dass bestimmte Personengruppen nur eine eingeschränkte medizinische Versorgung erhalten. Dies führe zu einer systematischen Unterversorgung mit vielfach sehr gravierenden gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen. Beispielsweise erhalten Asylbewerber laut Asylbewerberleistungsgesetz nur Akutbehandlungen. Nicht offensichtliche oder chronische Krankheiten werden dabei nicht berücksichtigt und nicht behandelt: zum Beispiel werden Zähne, die normalerweise aufwändiger repariert werden, eher gezogen. Die betroffenen Personen müssen zudem im Krankheitsfall erst beim Sozialamt eine Behandlung beantragen. Daher entscheiden letztendlich medizinisch ungeschulte Sachbearbeiter über die Notwendigkeit einer – noch dazu eingeschränkten – Behandlung. Illegalisierte Personen, wie MediNetz Jena Menschen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in Deutschland nennt, müssen bei einem regulären Arztbesuch mit einer eventuellen Abschiebung rechnen. Ihre Personendaten sowie Informationen über ihren Aufenthaltsort können leicht zur Ausländerbehörde gelangen, denn das Sozialamt hat je nach Rechtsauffassung eine Weiterleitungspflicht. Zwar unterliegen alle Ärzte der Schweigepflicht, doch werden Behandlungskosten Nichtversicherter regulär über das Sozialamt abgerechnet. Hier überlässt eine uneindeutige Gesetzeslage wiederum Sachbearbeitern die Entscheidung darüber, wie mit den Informationen umgegangen wird.

„Eine weitere wesentliche Gruppe, die die Hilfe des Vereins in Anspruch nimmt, sind EU-Bürger, deren Versicherungsschutz aus ihren Heimatländern hier keine Anerkennung findet“, so Jakob. Auch deutsche Staatsbürger, die aus dem Versicherungsschutz herausgefallen sind, weil sie wiederholt ihre Gebühren nicht bezahlt haben, seien betroffen, erklärt er weiter. Ihnen steht dann oft so lange nur eine eingeschränkte Behandlung zur Verfügung – in etwa vergleichbar mit der Gruppe der Asylbewerber – bis sie ihre Schulden bei der Versicherung vollständig beglichen haben.

Genaue Angaben über die Zahlen der Hilfesuchenden wollen die Vertreter des Vereins nicht machen. Doch seit der Eröffnung des Jenaer Büros wurde aufgrund der ständig neuen Fälle deutlich, dass es hohen Bedarf gibt. „Diese Situation widerspricht Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem Recht auf ärztliche Versorgung“, erklärt Jan vom MediNetz. Der Verein engagiert sich deswegen neben der täglichen Arbeit mit Ärzten und Patienten auch politisch. Eine von den Medinetzen angestrebte Lösung wäre eine grundlegende Reform des Gesundheits- beziehungsweise Versicherungssystems. “Unser Hauptziel ist es, das Menschenrecht auf vollumfängliche medizinische Versorgung umzusetzen“, fasst Jakob zusammen. „Im besten Falle so, dass wir uns selber überflüssig machen.“

In der Wagnergasse 25, in den Räumen von Refugio e.V., findet jeden Montag von 16 bis 18 Uhr eine persönliche Sprechstunde statt. Wer nicht persönlich kommen möchte oder kann, hat die Möglichkeit, täglich zwischen 16 und 22 Uhr telefonisch Kontakt zum Verein aufzunehmen. Gegebenenfalls wird man zurückgerufen. Die Nummer lautet: 0157/ 87623764. Auch möglich ist es, sich per E-Mail an medinetz@listserv.uni-jena.de zu wenden, weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.medinetz-jena.de.


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