Prof. Dr. Kai Hafez (Uni Erfurt) zum Islambild deutscher Medien
Herr Prof. Hafez, Sie befassen sich seit Jahren mit der Berichterstattung über den Islam. Unter anderem haben Sie 2007 eine Untersuchung zum Gewalt- und Konfliktbild des Islam bei ARD und ZDF vorgelegt. Welche zentrale Erkenntnis ziehen Sie aus Ihren Analysen?
Wenn es um den Islam geht, sind deutsche Medien sehr beschränkt in ihrem thematischen Interesse. Das Themenspektrum ist stereotyp vorgeprägt und sich an den bekannten Problemlagen auf: Terrorismus, Frauenfrage, Fundamentalismus usw. Darüber hinaus reicht das Interesse deutscher Massenmedien kaum. Bei spezielleren Medien ist das durchaus anders; ich rede nur von großen Massenmedien, Fernsehen und Zeitungen. Das Islambild dieser Medien ähnelt einer „self-fulfilling prophecy“, die bei einem begrenzten thematischen Interesse den Menschen natürlich auch nur in sehr begrenztem Rahmen Wissen über den Islam und die islamische Welt zur Verfügung stellt, wodurch Unwissenheit, Ängste und Unsicherheiten entstehen.
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Aber gibt es nicht eigentlich auch für die Medien bestimmte Einschränkungen, etwa durch die Persönlichkeitsrechte der muslimischen Mitbürger?
Individuell wird niemand beleidigt, das ist eben der Trick mit dem sog. „modernen Rassismus“. Es gibt dabei Mechanismen, die auch die Rassismusforschung bereits herausgearbeitet hat. Erstens, wie gesagt: individuell beleidigt man niemanden, sondern man beleidigt möglicherweise ganze Religionen, aber die können sich schlecht wehren.
Zweitens benutzt man keine rassistischen Begrifflichkeiten mehr. Stattdessen nutzt man so etwas wie eine Kulturalisierung, d.h. man spricht von bestimmten kulturellen Prägungen und Trends in der islamischen Welt und schreibt dem Islam diese und jene Eigenschaften zu. Das ist wesentlich schwerer zu fassen. Wenn Sie alte Zeitungen anschauen, dann werden Sie z.B. in deutschen Zeitungen aus den 60er Jahren noch Aussagen finden, die man heute als eindeutig rassistisch bezeichnen würde. Peter Scholl-Latour und andere haben sich in den 60ern geäußert, das würde man heute gar nicht mehr glauben. Anfang der 70er Jahre sagte etwa ein Kommentator der „Welt“ im Kontext der Erdölkrise, die Araber würden sowieso nur begreifen, wenn man sie mit der Peitsche behandele.
Derartiges finden Sie heute nicht mehr; es funktioniert mittlerweile anders. […] Es geht gar nicht so sehr um die einzelne Positionen, die Journalisten äußern. Es geht mehr um den Bereich, der angesprochen wird. Das hinterlässt bei einem Konsumenten Anreize, in eine bestimmte Richtung zu denken – Stichwort: Agendasetting, das „Nachdenken worüber“. Der Konsument denkt über Islam im Kontext von Terrorismus nach. […]
Wie sehen mögliche gesellschaftliche Folgen einer derartigen Darstellung des Islam aus? Kann es zu offener Gewalt gegen Muslime oder ihre Glaubenszentren kommen, wie teilweise in den Niederlanden geschehen?
Das ist nach 2001 auch immer wieder passiert; es hat einige Anschläge auf Moscheen gegeben. Auch das ist kaum zur Kenntnis genommen worden. Ich glaube, es gibt so eine Art Rangfolge: Ignatz Bubis hat gesagt, der Ausländer interessiert nicht; es gibt keine Ausländerfeindlichkeit im Allgemeinen. Er fragte dann: „Haben Sie schon mal Feindlichkeit gegenüber Schweizern in Deutschland gesehen?“ Das gibt es nicht. Der Ausländer ist nicht das Problem. Das Problem sind die „Fremden“: alles, was fremd aussieht oder auch religiös andersartig ist, wirkt wie ein Magnet für potenziell gesellschaftlich aktivierbaren Rassismus. Dieses Potenzial ist natürlich milieu- und krisenabhängig: wenn morgen ein Terrorattentat von einer sehr begrenzten Gruppe von Islamisten verübt würde, dann kann das möglicherweise Trittbrettfahrerphänomene nach sich ziehen, die auch zu Gewalt führen. […]
Sie haben schon mehrmals das Wort „Feindbild“ gebraucht. Kann man den Islam als den Nachfolger des „Feindbildes Kommunismus“ für den Westen bezeichnen?
Ja und nein. Solche Vergleiche sind schwierig. Ich denke, der Islam gehört sicherlich zu den größten politisch nutzbaren Feindbildern. Es hat immer wieder Zusammenhänge gegeben, in denen das auch geschehen ist – die Golfkriege, der War on Terror, der ja letztlich auch ein außenpolitisches Leitbild geworden ist – um politisch zu agieren. In diesen Bereichen stimmt es schon, dass eine sehr undifferenzierte Islamwahrnehmung in gewisser Weise dazu beigetragen hat, das politische Handeln im Nahen Osten zu befördern. Ich glaube, die Menschen wissen viel zu wenig über das Verhältnis von Islam und Terrorismus, kennen die Größenordnungen nicht. Ich würde behaupten – und das sagen auch viele Gewaltforscher – wenn Sie statistische Werte betrachten, ist der islamistische Terrorismus eigentlich gar kein so riesiges Problem. Es gibt ganz andere Faktoren auf der Welt, wodurch wesentlich mehr Menschen sterben.
Ich denke schon, dass man diesen „Slogan“ des islamistischen Terrorismus in den 90er-Jahren und im jüngsten Jahrzehnt sehr schnell in den Mund genommen hat und damit auch Politik betrieben worden ist.[…] Dieser Teil der Gleichung stimmt also nach meiner Einschätzung: es ist ein politisch nutzbares Feindbild.
Auf der anderen Seite ist das Feindbild Islam nicht identisch mit dem alten Feindbild des Kalten Krieges, aus einer Reihe von Gründen. Erstens ist die islamische Welt nicht so ein Konstrukt wie die Sowjetunion war, sondern besteht aus vielen unterschiedlichen Ländern, ist also keine geopolitische Größe, gegen die man kämpft. Zweitens hat dieses Bild auch gewisse andere Prägungen. Das Feindbild Islam hat eben bestimmte Anteile eines modernern Rassismus: viele Annahmen über Muslime und die Minderwertigkeit ihrer Religion und Kultur, die es in dieser Form beim Feindbild Kommunismus nicht gegeben hat. […] Das Feindbild Islam knüpft eher an ältere Bilder an: Oswald Sprenglers „Untergang des Abendlandes“, Huntingtons „Clash of Civilizations“, Kulturkreismodelle usw. Das sind Dinge, die wir lange vergessen hatten und auf die wir heute wieder zurückgreifen, um uns die Welt zu erklären. […]
Kann oder muss die Politik angesichts solcher andauernder Schieflagen nicht reagieren?
Das tut sie ja, z. B. mit der Islamkonferenz. Wolfgang Schäuble hat das, was ich ihnen gesagt habe, im Grunde in seiner Rede auf der Islamkonferenz alles selbst angeführt. In der Publikation des Innenministeriums steht das ja auch.
Innenpoltisch hat Schäuble sich in den letzten Jahren sehr bemüht. Das sagen auch viele Muslime. Sein Vorgänger Schily hat sich mit diesem Thema überhaupt nicht auseinander-gesetzt, was viele sehr enttäuscht hat. Ausgerechnet ein CDU-Innenminister ist der erste, der zur Anerkennung des Islam und zur Korrektur des Medien- und Öffentlichkeitsbildes des Islam aufruft. Das hat viele verwundert, weil die Konservativen auf der anderen Seite sehr viel weitergehen bei ihren Forderungen nach Integration und Anpassung, Stichwort „Leitkultur“. […] Also, wenn wir auf die Politiker alleine warten, kommen wir meiner Meinung nach nicht weiter.
Hier muss eine gesamtgesellschaftliche stärkere Akzeptanz her, mehr Kenntnis, mehr Wissen und bessere Integration. Wir müssen dabei alle wesentlich mehr übereinander lernen. Wir sind einfach noch viel zu ethnozentrisch und wissen über diese sog. islamische Welt zu wenig. Wir machen uns und lassen uns mit Hilfe der Medien sehr reduzierte Vorstellungen machen, die auch Ängste produzieren. Es gibt demoskopische Umfragen, die zeigen: 70 bis 80 Prozent der Deutschen haben annährend Angst vor dem Islam. Das darf und muss eigentlich nicht sein. Man kann Angst vor Terroristen haben, aber nicht vor „den“ Muslimen. Die meisten davon sind vielleicht in Deutschland am unteren Ende der sozialen Leiter, aber nicht gefährlicher als Sie oder ich. […]
Lest mehr zum Islambild deutscher Medien und detaillierte Analysen von Prof. Dr. Hafez demnächst hier sowie in der kommenden Ausgabe der Unique! Unter anderem: warum 9/11 keine Zäsur in der Islamwahrnehmung darstellt.
Das Interview führte Frank
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