Listen Global, Play Local – Jena und die Musik

von Simon Dittrich

Foto: www.freude-am-tanzen.de

Europas hat es mich in die Thüringer Provinz-Großstadt Jena verschlagen. Mein erster Kontakt mit dem Nachtleben meiner neuen „Heimat“ bestand aus einer Mediziner-Erstie-Party im F-Haus. Wie sich der geneigte Leser sicherlich ohne Probleme vorstellen kann, war das Erleben der musikalischen Ergötzungen, an denen sich das feuchtfröhliche Publikum delektierte, eher von beängstigender Natur. Sollte etwa das ganze Jenenser Nachtleben von kommerziellen Chartsdudlern besetzt sein? Nein, nicht das ganze Jenenser Nachtleben: Ein Club leistet weiterhin Widerstand gegen den kulturellen Einheitsbrei – so jedenfalls meine damalige Mitbewohnerin –, aber hier hört die Asterix-und-Obelix-Analogie auch schon auf.

Das Kassablanca ist sicherlich die einzige Institution des Jenenser Nachtlebens, die sich mit Fug und Recht mit dem Titel „Club“ schmücken darf, vor allem aufgrund des Soundsystems, das in Jena und auch anderen Städten seinesgleichen sucht. Aber nach einiger Zeit des Eingewöhnens eröffneten sich mir auch andere Aspekte des Jenenser Nachtlebens, die „Seelenküche“ (seelenkueche.de), die „kleine Quelle“ in der Johannisstraße – möge sie in Frieden ruhen, die Rose – nur samstags und dienstags schwer genießbar, die Möwe – kurz, aber schön – immer wieder die eine oder andere Veranstaltung im besetzten Haus in Jena, der JG, dem Caleidospheres, dem Wagner und nicht zuletzt auch die Kulturarbeit des Stura, die nicht nur aus Cinebeats besteht.

Im Fokus der Musik(er)szene steht neben dem Kassablanca vor allem Fatplastics, dieser kleine aber sehr sehr feine Plattenladen – ja wirklich, es gibt noch Vinyl! Der Besitzer ist DJ und unter dem Pseudonym „Monkey Maffia“ bekannt – die eine Hälfte der „Wighnomy Brothers“. Die andere Hälfte ist „Robag Wruhme“, dessen 2004 produziertes Album „Wuzzelbud KK“ von der elektronischen Musikpresse mehrmals zum Album des Jahres gewählt wurde. Überhaupt ist das im Umfeld von Fatplastics angesiedelte Völkchen elektronisch Interessierter sehr, sehr umtriebig. Da wären zunächst die beiden Labels „Freude am Tanzen“ und „Musikkrause“ und dann unzählige DJs und Produzenten. Feinste Livemusik zwischen Jazz und Electronika bietet das Oktett „Feindrehstar“ (feindrehstar. de) und Ian Simmonds „Wise in Time“ (myspace.com/ WiseInTime). Das DJTeam „Krause Duo Nr. 2″ wird von mir besonders gerne gehört und gesehen – das Wippen ist spitze, Jungs!
Auch “ S te c k^S chl e c k e r “ (myspace.com/SteckUndSchlecker) sollten an dieser Stelle nicht ungenannt bleiben. Vormals „digital riot“ rocken die Jungs nun ihre Electribes und diverse andere elektronische und akustische Instrumente – oder machen auch schon mal Musik aus Mikroskopaufnahmen zur langen Nacht der Wissenschaften.

Nicht zuletzt bleiben auch noch „THE!“ (myspace.com/the1983) und „Cle“ (myspace.com/Clannish) zu nennen. Erstere sind Gründer des Netlabels „Headphonica“, auf dem es viel gute Musik aus Jena und anderswo für lau gibt. Letzterer ist ein Musterbeispiel an Produktivität, auf 4/4 Pfaden unterwegs aber auch eingängiger elektronischer Popmusik (myspace.com/StromerMiro) nicht abgeneigt. Soviel nun zur elektronischen Musikszene.

Wer sich nun fragt, was außer den ganzen elektronischen house- und technoaffinen Sachen in Jena noch so passiert, dem sei an dieser Stelle noch Myspace ans Herz gelegt. Natürlich kann man die Seite nutzen, um die Lieblingshelden aus Radio und Klingeltonwerbungssendern zu suchen und zu finden, aber interessanter ist eigentlich, in die digitale Ferne zu schweifen, um das Gute in der Nähe zu finden.
Auch Last.fm ist eine Anlaufstation, um digitale Klänge aus dem Studienort zu hören. Für Fans des gepflegten Sprechgesanges empfiehlt sich ein Blick gen „Bästifantästi“ (myspace.com/baestifantaesti), dessen „Querfeldreim EP“ frei zum Download bereit steht – „Ich bin real, echt, fass mich an,/ Ich bin kein künstlicher Plastikmann“. Produziert unter anderem von Jenenser Drummerwunderkind Timbou (Myspace.com/TimUndTon), der bei „Gimpelakwa“ (myspace.com/Gimpelakwa) die Sticks schwingt – übrigens am 1.7 in der JG. Auch für die Freunde des gepflegten Offbeats in seinen mannigfaltigen Manifestationen gibt es genug Futter für die Ohren, ob nun Dancehall von „Buzzdrive“ (myspace.com/Buzzdrive) oder „Palmbeats International“ (myspace. com/PalmbeatsInternational), Reggae ‚n Roll von den „Dreadvibes“ (myspace.com/Dreadvibes) oder Ska von „Babayaga“ (myspace.com/wwwbabayagabandde).

Da jetzt Gitarrenmusik zu kurz gekommen ist, hier als kleiner Geheimtipp für die Rockabillies unter euch
„Cowboy Bob and Trailer Trash“ (myspace.com/CowboyBobAndTrailerTrash). Und wer verzerrte Gitarren
mag, möge sich doch bitte mal DŸSE (myspace.com/dysexxx) zu Gemüte führen.


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