Viele Flüchtlinge auf dem Weg in die USA reisen illegal auf einem Güterzug durch Mexiko. Manche halten für einige Tage in der Herberge „Hermanos en el Camino“.
von Laura Wende
Erschöpft und niedergeschlagen kehrt Jorge von der Arbeitssuche aus der Stadt in die Herberge zurück. „Ich bin heute im Stadtzentrum gewesen, um eine Arbeit zu finden, aber ohne Papiere habe ich hier keine Chance“, erzählt er mir. „Außerdem sehen die meisten Menschen hier in mir nur einen Ausländer und das ist oft Grund genug, mich nicht beschäftigen zu wollen.“ So wie Jorge geht es täglich vielen Menschen in der Herberge für Migranten in Ixtepec. Der 24-Jährige kommt aus El Salvador und möchte zum Arbeiten in die USA reisen, um seiner Frau und den zwei Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. In seinem Heimatland herrschen hohe Kriminalität, prekäre Arbeitsbedingungen und Armut. Die Herberge bietet ihm eine Unterkunft, während er sich von den Strapazen der bisherigen Reise erholt und versucht, Geld für den weiteren Weg zu verdienen. Jorge ist einer von vielen Migranten, die sich aus ganz Südamerika auf den Weg in die USA machen. Die Mehrheit kommt aus Honduras, El Salvador und Guatemala. Sie alle müssen illegal mit dem Güterzug „La Bestia“ durch Mexiko reisen – meistens mangels finanzieller Möglichkeiten die einzige Chance. Sie fliehen, um ihre Lebensumstände zu verbessern, begegnen jedoch auf der Reise selbst vielen Strapazen. Den Namen „La Bestia“ (die Bestie) erhielt der Zug, der vom Süden in den Norden Mexikos fährt, weil die Reise mit zahlreichen Gefahren verbunden ist. Es gibt verschiedene Routen vom Süden in den Norden Mexikos, wobei der Zug ab und zu hält, damit Waggons verladen werden können. Wann und wo dies geschieht, ist unterschiedlich. Die Strecke ist wie ein dunkler Tunnel, in den sie hineinfahren und nicht wissen, was dort geschieht und ob sie je wieder herauskommen werden. Und selbst wenn: Niemand weiß, was dort wartet, am Ende des Tunnels.
Gefährliche Fahrt
Viele Menschen verletzen sich insbesondere beim Auf- und Abspringen auf den und von dem fahrenden Zug. Auch die Reise selbst bleibt gefährlich: Die blinden Passagiere müssen ohne jegliche Sicherung auf den Dächern der Waggons sitzen. Häufig habe ich in der Herberge Menschen getroffen, die unter heftigen Sonnenverbrennungen litten oder sogar einzelne Gliedmaßen verloren hatten. Auch der psychische Druck auf die Migranten ist enorm: Während ihrer Reise durch Mexiko sind sie mit rechtlichen und institutionellen Risiken konfrontiert. Sie befinden sich meist illegal im Land und sind hierbei u.a. mit der Migrationspolizei konfrontiert. Diese fängt sie bei Halt des Zuges auf teils brutale Weise ab und deportiert sie anschließend in ihr Heimatland. Während der gesamten Zugfahrt besteht zudem die Gefahr, dass die Migranten von organisierten Banden überfallen werden, die entweder mitreisen oder sie nach dem Absteigen überfallen. Hierbei werden Viele Opfer von Gewalt, Erpressung, Organhandel oder Verschleppung. Einer der Zwischenhalte von „La Bestia“ ist Ixtepec, eine Stadt im Süden Mexikos im Bundesstaat Oaxaca. Dort befindet sich auch die Herberge „Hermanos en el Camino“, die 2007 von Alejandro Solalinde Guerra gegründet wurde. Der landesweit bekannte Priester und einflussreiche Menschenrechtsaktivist setzt sich insbesondere für die Rechte von Flüchtlingen ein. Seine Herberge ist eine der ersten Anlaufstellen für Migranten: Sie bietet einen Schutzraum für Menschen, die auf dem Weg in die USA sind. Hier befinden sich Schlafsäle, ein Büro, eine Bibliothek, eine Kapelle, ein Lagerraum für Kleidung und Hygieneartikel, ein Speisesaal und eine Küche sowie eine Schlaf-Etage für freiwillige Hilfskräfte und Praktikanten. Außer „Hermanos en el Camino“ gibt es nur wenige Herbergen dieser Art, die über Mexiko verteilt sind – alle befinden sich jedoch unmittelbar in der Nähe der Gleisstrecken von „La Bestia“.
Tristesse in Tristepec
Während der Zug in Ixtepec einfährt, werden die Migranten durch Schilder auf die Herberge aufmerksam gemacht – sofern sie nicht schon durch vorherige Fluchtversuche oder durch Bekannte mit einem ähnlichen Schicksal von der Chance auf eine Unterkunft erfahren haben. Nach der Ankunft werden sie zunächst auf Waffen durchsucht und danach mit Namen, Foto und anhand eines Fragebogens registriert. Anschließend erhalten alle ein Ticket, mit dem sie die von der Herberge angebotenen Unterstützungsleistungen während des Aufenthaltes (der sich in der Regel auf wenige Tage beschränkt) nutzen können. Die Herberge stellt dabei nicht nur einen Zufluchtsort für die Flüchtlinge dar: Im Fokus der Arbeit stehen auch weitergehende humanitäre Unterstützungs- und Hilfsangebote, wie ärztliche und psychologische Betreuung sowie Veranstaltungen zu Themen wie sexuelle Aufklärung, Menschenrechte, Sicherheit auf der Reise und in der Herberge, um so die Bewohner bestmöglich über ihre Situation zu informieren und vor potentiellen Gefahren zu schützen. Zum Teil finden diese Angebote in Kooperation mit anderen Hilfsorganisationen wie zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen statt. Ich selbst habe während meiner Arbeit in der Herberge viele Menschen durch Einzelgespräche kennen gelernt, sie bei Arztbesuchen begleitet, für sie Englischunterricht angeboten und eine Frauengruppe geleitet. Wie hier üblich, gestaltet sich auch der Alltag von Jorge sehr individuell. Als er gerade neu angekommen war, ruhte er sich zunächst von der bisherigen Reise aus. Nun hilft er täglich in der Küche mit. Er muss noch lange auf sein Visum warten, damit er legal durch Mexiko reisen kann. Bis dahin sucht er Arbeit, damit er Geld für die weitere Reise verdienen kann. Sein Misserfolg bei der Arbeitssuche ist leider kein Einzelfall: Viele Einwohner wollen keine Migranten beschäftigen. Außerhalb der Herberge sind die Flüchtlinge zudem häufig Rassismus und Gewalt ausgesetzt. Wie so oft, herrscht auch in Mexiko die vorwiegende Meinung, dass diese für Verschmutzung, Gewalt und Drogenmissbrauch verantwortlich seien. So wurde während meines Praktikums ein Migrant auf offener Straße aufgrund seines „anderen“ Aussehens brutal verprügelt. Gewalt, Diskriminierung sowie das lange Warten auf Geld und Papiere führen dazu, dass die Stadt Ixtepec bei vielen Flüchtlingen auch unter einem anderen Namen bekannt ist: „Tristepec“ (von triste, dt. traurig). Durch die strikten Reiseregelungen in Mexiko sowie die Versuche, die Migrationsströme durch ein erhöhtes Polizeiund Militäraufgebot einzudämmen, wird die Arbeit mit Flüchtlingen außerdem maßgeblich erschwert. So sank die Zahl derjenigen, die pro Zug ankommen, innerhalb kürzester Zeit von etwa 100 auf nur noch sieben Personen. Die Veränderung wurde durch ein neues Abkommen zwischen den USA, Guatemala und Mexiko bedingt und soll offiziell die Migranten schützen. Auch wurde die Geschwindigkeit des Zuges erhöht, um die Möglichkeiten für die Menschen zu minimieren, auf den Zug aufzuspringen. Für die, die es dennoch schaffen, erhöht sich die Verletzungsgefahr indes massiv. „La Bestia“ ist somit nicht nur Zeichen des gefährlichen Wegs der Migranten. Er ist zugleich Sinnbild einer verachtenden Politik gegenüber hilfesuchenden und schutzbedürftigen Menschen wie Jorge.
Laura Wende
(22) lebt in Bielefeld und studiert Soziale Arbeit an der Fachhochschule
Bielefeld. Drei Monate lang hat sie ein Praktikum in der
Herberge „Hermanos en el Camino“ im Süden Mexikos absolviert.
Mail: laura.wende@fh-bielefeld.de
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