An diesem Wochenende wurde das Kunstfest Weimar eröffnet. Dieses Jahr steht die Veranstaltung unter dem Zeichen einer der kontroversesten Figuren der deutschen Kulturgeschichte: einige Eindrücke zu drei Abenden.
von David
„Wie komme ich nach Weimar?“ Mit dieser scheinbar banalen Frage eröffnete die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ruth Klüger das Kunstfest Weimar beim traditionellen „Gedächtnis Buchenwald“-Auftakt-Konzert. Als Überlebende der Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Christianstadt ging es ihr vor allem um die Frage, wie man in die Stadt von Hochkultur, Goethe und Schiller gelangen kann, wenn das Konzentrationslager Buchenwald, einer der Symbole des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs, im Weg liegt.
Die Antworten der 1931 geborenen Lager-Überlebenden waren eher impressionistisch als systematisch und analytisch. Manche waren eher banal, wenn sie etwa den Filmen „Nackt unter Wölfen“ und „Das Leben ist schön“ Lager-Verharmlosung vorwarf. Andere Exkurse, wie etwa zur Nachkriegsrezeption von Goethes „Iphignie auf Tauris“ als eine besondere Form der schuldverdrängenden „Vergangenheitsbewältigung“ oder zu Imre Kertész’ Radikalisierung von Adornos Bonmot, wonach Dichtung nach Auschwitz unmöglich sei, waren intellektuell weitaus anregender.
Gegenüberstellung von Chaos und Ruhe
Beim musikalischen Teil der „Gedächtnis Buchenwald“-Eröffnung präsentierte die Staatskapelle Weimar unter Arturo Tomayos Leitung wieder drei Stücke mit Gedenkcharakter: Karl Amadeus Hartmanns (1905-1963) Miserae, Bernd Alois Zimmermanns (1918-1970) Stille und Umkehr und Arthur Honeggers (1892-1955) Symphonie Nr. 3 „Symphonie liturgique“. Hartmann widmete seine sinfonische Dichtung aus dem Jahre 1934 den Opfern des Konzentrationslagers Dachau und Honegger schrieb seine dritte Sinfonie kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs „gegen die Flut der Barbarei“. Beide Stücke demonstrierten sehr anschaulich, wie programmatische Gedenkmusik in der Moderne zu ähnlichen Formen neigt: zu einer ritualisierten Gegenüberstellung von Chaos und Ruhe, von stürmischer Atonalität und melodiöser Harmonie. Dem gegenüber fällt Zimmermanns Stille und Umkehr, eine Auftragsarbeit der Stadt Nürnberg für das Dürer-Jahr 1971, etwas aus dem Rahmen. Dieses kurze Stück, das Zimmermann kurze Zeit vor seinem Selbstmord verfasste, ist von einer fast meditativen Ruhe, baut auf lang angehaltene Töne auf und bot in der Weimarhalle mit einer singenden Säge auch eine regelrechte kleine Attraktion – der (unerwartete) musikalische Höhepunkt des Abends.
Das vielleicht bemerkenswerteste am „Gedächtnis Buchenwald“-Auftakt war jedoch die vollkommene Abwesenheit Richard Wagners, dem immerhin das Programm des diesjährigen Kunstfests gewidmet ist. Sicher: Wie könnte man den aus guten Gründen kontroversesten klassischen Komponisten aller Zeiten sinn- und pietätsvoll in eine Veranstaltung einbetten, die den Opfern des Nationalsozialismus gewidmet ist? Darauf gab es an diesem Abend nicht nur keine Antworten, sondern vor allem auch keine Fragen. Denn zumindest Denk- und Diskussionsanstöße in diese Richtung wären möglicherweise ganz sinnvoll gewesen – und jedenfalls intellektuell fruchtbarer, als die Nennung der allerneuesten tagesaktuellen Ereignisse in Nebensätzen, die die Grußworte der Kunstfestleiterin Nike Wagner und des Landeskultusministers Christoph Matschie prägte und latent schulvortragsmäßig wirkte. Oder mit anderen Worten: Wie vereinbart man ein Eröffnungskonzert für die Opfer des Nationalsozialismus mit einer mehrwöchigen Kulturveranstaltung, die einem „Nazi“ gewidmet ist?
Eines der frühesten „Biopics“ – mit lautstarkem „Audiokommentar“
Nun, ein „Nazi“ (die Anführungszeichen sind bewusst gesetzt) war Richard Wagner im Jahre 1913 natürlich noch nicht. Dann wurde der 100. Geburtstag des umstrittenen Komponisten gefeiert, unter anderem in der Filmbiographie Richard Wagner. Gezeigt wurde der kürzlich restaurierte, hundertjährige Stummfilm mit einer Musikbegleitung des Braunschweiger Staatsorchesters. Dieses spielte die eigentlich verschollene „Originalmusik“ des Films: der Dirigent Helmut Imig, seines Zeichens auch Spezialist für Stummfilmmusik, rekonstruierte sie anhand eines überlieferten Klavierauszugs. Da 1913 die Wagner-Erben die Rechte für die Musik des Maestro nicht für so etwas „triviales“ wie Kino freigeben wollten, komponierte der Italiener Giuseppe Becce eine mit „Wagnerismen“ angereicherte Originalkomposition. Aufgrund seiner großen äußeren Ähnlichkeit mit Richard Wagner spielte Becce im Film selbst die Titelrolle.
Richard Wagner, eines der frühesten „Biopics“ der Filmgeschichte, ist eine absolut atemlose Rennfahrt durch Wagners Leben, von seiner frühen Kindheit bis zu seinem Tod, in knapp 105 Minuten. In zahlreichen kleinen fragmentarischen Tableaus zeichnet der Film – wie erwartbar „unkritisch“ – den glorreichen Aufstieg des Komponisten, seine Liebschaften, seine Erfolge, seine Misserfolge, seine Freundschaft mit dem bayerischen König Ludwig II. und seine stetigen Schwierigkeiten mit Gläubigern. Seine Flucht vor letzteren über Staatsgrenzen hinweg lässt den Herrn Kapellmeister geradezu wie ein draufgängerischer Abenteurer wirken. Mit dem richtigen Wagner hat das so mäßig viel zu tun wie Becces Musik mit den Originalkompositionen. Überaus unterhaltsam ist Richard Wagner allemal, trotz der größtenteils statischen Einstellungen und der Tatsache, dass der gemeine Hochkulturbürger Weimars sich bei Filmvorführungen nicht unbedingt wesentlich feiner verhält als der gemeine Multiplex-Kinobesucher – vor allem im Bereich lautstarker „Audiokommentare“.
Wer kurz nach der Stummfilmaufführung auf die Rummel- und Zwiebelmarkt-Atmosphäre des Eröffnungsfests im Weimarhallenpark gerne verzichten mochte, konnte knapp 400 Meter davon entfernt im mon ami-Kino ein anderes Wagner-Bild begutachten. Ganz zufällig und völlig unabhängig vom Kunstfest lief dort Ken Russells Lisztomania, ein Biopic zu Franz Liszt der etwas verrückteren Art, in der die Nebenfigur Wagner zunächst als radikaler Revolutionär in Matrosenkleidung, dann als blutdürstiger Vampir, dann als faschistischer Kultführer in Superman-Uniform, dann als Dr. Frankenstein-Verschnitt mit eigener Kreatur, und schließlich als Zombie-Hitler zu sehen ist. Absolut (un)verständlich, warum das Kunstfest diese bizarre Film-Perle nicht in sein Programm integriert hat!
Abgesehen von den politischen Implikationen, die Wagner so freiwillig wie auch unfreiwillig stets mit sich bringt, steht der Komponist im allgemeinen auch für monumentale Orchestrationen, für Mammutwerke epischen Ausmaßes – kurz: für Bombast. Wie Richard Wagner sich „Ohne Bombast“ anhört, präsentierte das Klavierduo Yaara Tal und Andreas Groethuysen am Sonntagabend im Weimarer Stadtschloß. Die beiden überaus begabten und gut harmonierenden Pianisten wollten auch aufzeigen, welchen Einfluss der „bombastische“ Richard Wagner auf die eher ruhige, stille, und zurückhaltende Musik der französischen Impressionisten hatte, und spielten abwechselnd für Klavier adaptierte Orchesterstücke von Wagner und Claude Debussy. Dabei haben sie deutlich gemacht, wie „impressionistisch“ Wagners Musik im Grunde war, und wie viele „Wagnerismen“ Debussy trotz oder dank seiner ambivalenten Hassliebe zu Wagner in seine Musik einfließen ließ.
Das Kunstfest Weimar läuft noch bis zum 14. September.
Weitere Informationen unter www.pelerinages.de
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