Zum traditionellen „Gedächtnis Buchenwald“-Konzert, der das Weimarer Kunstfest eröffnet, sprach der polnisch-jüdische Historiker Marian Turski bewegende Gedenkworte. Es folgte die Aufführung eines Stücks polnischen Musik-Widerstands.
von David
Die Generation der Holocaust-Zeitzeugen schwindet allmählich. Dies wurde den Organisatoren des Weimarer Kunstfestes dieses Jahr auf besonders schmerzliche Weise deutlich: Der ursprünglich geladene Gedenkredner des traditionellen „Gedächtnis Buchenwald“-Konzerts, Arno Lustiger, verstarb vor knapp drei Monaten. Ihm, dem berühmten Erforscher des jüdischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, wurde der Abend gewidmet. Sein Forschungskollege und Freund, Marian Turski, übernahm den Rednerpart und fand bewegende, teils hochpersönliche Worte. Der heute 86-Jährige überlebte das Litzmannstädter Ghetto (Łódź), die Inhaftierung im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und den Todesmarsch in Richtung Buchenwald vom Frühjahr 1945. Der Historiker setzt sich für ein aktives Erinnern an das Leiden der polnisch-jüdischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs ein, unter anderem als Vizepräsident des Jüdisch-historischen Instituts Warschau, als Mitglied des Internationalen Auschwitz-Rates, und als Vorstandsvorsitzender des Museums der Geschichte der polnischen Juden.
In seiner überaus ausführlichen Ansprache befasste sich Turski eingehend mit der immer wieder auftauchenden (und oft vorwurfsgeladenen) Frage, warum jüdischer Widerstand in Polen so spät eingesetzt habe. Dies lag daran, dass der in Ghettos eingesperrten jüdischen Bevölkerung die Informationen über die Endlösung seit dem Angriff auf die Sowjetunion schlichtweg fehlte. Die intransparente Informationspolitik der Judenräte konnte dem keine Abhilfe verschaffen. Als weitaus wichtiger strich Turski jedoch – auch aus eigener Erfahrung sprechend – die lähmende Wirkung des permanenten Naziterrors, und vor allem die Erfahrung extremen Hungers hervor.
Die Restriktionen für die polnische Bevölkerung war sicherlich nicht mit der jüdischen Ghetto-Erfahrung gleichzusetzen. Doch selbst die öffentliche Aufführung neu komponierter Musikwerke war für Polen verboten. Private Konzerte wurden damit zwangsweise zu Akten des Widerstands – so auch die Warschauer Uraufführung des Quintetts für Klarinette, Fagott, Violine, Cello und Klavier von Constantin Regamey im Jahre 1944. Der erheblich bekanntere Komponist Witold Lutosławski schwärmte noch Jahrzehnte später von Regamey (1907-1982) und seiner Musik.
Wenngleich die Umstände, in denen das Quintett entstand, bemerkenswert sind und auch deutlich machen, dass wir es hier mit einer hochpersönlichen künstlerischen Vision zu tun haben, so erscheint heute das Musikstück mehr anstrengend als anspruchsvoll. Das dodekaphone Werk enthält gewissermaßen alles, was selbst hartgesottene Musikliebhaber an Negativem mit Neuer Musik verbinden: Unfokussiertheit, enervierende Unruhe, und eine latente Selbstgefälligkeit, besonders in Bezug auf die erforderliche Virtuosität.
Johannes Brahms’ Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier a-moll (op. 114), bildete den Abschluss des Abends. Dieses Spätwerk des deutschen Komponisten nach dem Regamey’schen Sturmgewitter noch zu rezipieren, erwies sich angesichts des stark verbrauchten Konzentrationsvermögen leider als sehr schwierig. Die diesjährige Kunstfest-Eröffnung war eben teils lohnend, aber oft auch anstrengend.
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