Das Konzert von Jan-Josef Liefers ist seit Wochen ausverkauft. An diesem Sommerabend drängen die vielen „Einreisewilligen“ auf den Theatervorplatz. Spätere Eindrücke werden das Augenzwinkern dieses historischen Vergleichs rechtfertigen, ohne dass man es am Einlass bereits weiß.
von Frank
Sein Charakter aus dem Münsteraner „Tatort“, der Gerichtsmediziner Prof. Boerne, mag vielen der Anwesenden als das Musterbild des arroganten, Nobelkarossen fahrenden „Wessis“ gelten. Aber Jan Josef Liefers, gebürtiger Dresdner des Jahrgangs 1964, wird von den dreitausend Zuhörern begeistert auf der Kulturarena empfangen. Seine Präsenz inmitten seiner Musikerkollegen der Band „Oblivion“ ist vom ersten Moment an ungewöhnlich gewaltig für einen hauptberuflichen Schauspieler: Mit seinem Charisma und der lockeren Selbstverständlichkeit seines Auftritts würde er selbst ohne Band die ganze Bühne ausfüllen. Sicher hätte er damit exzellente Chancen bei den hiesigen Ortsteilbürgermeisterwahlen.
Ein wenig Ossi-Party-Flair
Getreu dem Titel seines Buches – „Soundtrack meiner Kindheit“ – spricht Liefers augenzwinkernd über seine Lausbubenstreiche und die sozialistische Schulzeit, die Pubertät und über seinen Opa aus Erfurt („einem kleinen Vorort von Jena“). Die Botschaft ist eindeutig: Ich bin einer von Euch. So frisst ihm das Publikum bald aus der Hand – und bekommt dafür die Seele gestreichelt.
Liefers redet mindestens so viel wie er singt; erinnert an die Schwierigkeiten der Musiker in der DDR, die einen Stil jenseits des staatlich verordneten Taktes suchten und damit aneckten. Er spricht von ihnen wie von Freiheitskämpfern, was leider manchmal etwas aufgesetzt wirkt, als käme der Schauspieler in ihm durch. Das Publikum zeigt dennoch meist sein kollektives „Recht hatt’er“ durch Applaus. Dazu wird der gemeinsame Rückblick mit bekannten Songs der DDR-Musikszene untermalt. 40jährige Pärchen schwelgen gemeinsam in Erinnerungen; vielleicht wird gerade „ihr“ Lied gespielt. Verwunderlich wäre es nicht: die Puhdys, Karat, Silly, Renft und viele andere, heute fast vergessene Idole von damals lässt Liefers in seinen Coverversionen aufleben.
„Heut lacht man drüber, ’ne?“
Bei allem Ossi-Flair holt den Konzertgast spätestens beim Gang zum Getränkestand die kapitalistische Gegenwart wieder ein: Das Glas Rotkäppchen kostet 2,50 – Euro, nicht Westmark. Trotzdem teuer. Gegen diesen kleinen Kulturschock sollen in der Pause vielleicht die Pionierlieder helfen, die (wie bereits vor Beginn des Konzertes) über den Theaterplatz schallen: Herzige, glockenklare Kinderstimmen singen vom „Volkspolizist, der es gut mit uns meint“ und freuen sich auf die Arbeit ihrer „Patenbrigade“ in der Bonbonfabrik.
Auch Liefers bedient sich zwischen den Songs zahlreicher akustischer Einspieler aus längst vergangenen Tagen: Die Staatsratsvorsitzenden Ulbricht und Honecker melden sich mehrfach zu Wort, quittiert mit lautem Gelächter des Publikums. „Heut lacht man drüber, ’ne?“ sagt eine Besucherin zu ihrer Begleitung. Sie mag Mitte vierzig sein und sagt diesen Satz in einem Ton, der sich zwischen Flapsigkeit und Verstörung nicht recht einordnen lässt. Auf Knopfdruck ertönt das Gelöbnis der Thälmann-Pioniere. Mit unter dreißig mag man sich etwas fehl am Platz fühlen. Und man sorgt sich in diesen Momenten ein wenig um die Heranwachsenden im Publikum, die heute Abend die sozialistische Diktatur als schrullig-nörgelnde, bisweilen dümmliche Übermutter präsentiert bekommen und ihre Eltern dazu herzlich lachen sehen.
Gedächtnis von Dreitausend
Gewiss, Liefers äußert sich auch kritisch, spricht von der „schwachsinnigen Kulturpolitik“ der DDR; dem unerfüllten Fernweh seiner Mutter, die immer „einmal nach Paris“ hatte fahren wollen. Er erinnert an Gorbatschow und die Hoffnung auf Freiheit, an den Herbst 1989. Das Publikum hängt an seinen Lippen. In diesen Momenten ist es ganz still auf dem Theatervorplatz. Man hat das Gefühl, der Ton wird ernster mit dem Verlauf des Abends. Dann wieder ein Einspieler: „Das Jahr 2000 wird das Jahr des Kommunismus heißen“ (Liefers: „Schaffen wir nicht mehr, oder?“), darüber können selbst die Nachwendekinder grinsen.
Nichts von Selbstschussanlagen oder Stasi-Gefängnissen. Aber darum geht es heute Abend nicht, sagen viele der Gesichter im Publikum. Während ein „Nicht alles war schlecht“ unausgesprochen in der lauen Luft zu hängen scheint, geht es ihnen, den Zuhörern jenseits der vierzig – und vielleicht auch Liefers – um einen Rückblick. Mit ein bisschen Wehmut, aber irgendwie auch Stolz. Als würde man gemeinsam ein altes Fotoalbum anschauen und einer in der Runde sagt gelegentlich „Das war doch damals, als…“. Oder wie der Blick in eine Kiste voll dieser kleinen Dinge, die im Lauf des Lebens hängen geblieben sind und von denen man sich auch nach Jahren nicht trennen kann, ohne zu wissen, warum. So kristallisiert sich an den individuellen Erinnerungen des gebürtigen Dresdners Liefers das kollektive Gedächtnis der Dreitausend vor dem Jenaer Theater. Was hier – nach frenetischem „Zugabe!“-Getöse – in einer Eigenkomposition Liefers’ sein offizielles Ende findet, war nicht wirklich ein Konzert; eher ein Stück Erinnerungskultur mit musikalischer Begleitung. Vielleicht auch ein bisschen Therapie.
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