Kuriosen Sinnzusammenhängen bei der Wortbildung widmet sich Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.
Was haben Hängematten, Maulwürfe und Windjammer gemeinsam? Sie alle sind Wörter, deren Einzelbestandteile einen sinnvollen Gesamtbezug zum bezeichneten Gegenstand, Tier oder Gefährt herstellen (man kann förmlich den Wind in der Takelage des Windjammers jammern hören). Ebenso sind es alles Ausdrücke, deren heutige Formen das Ergebnis kreativer Missverständnisse sind. Der Windjammer hatte ursprünglich mehr mit dem englischen ‚to jam the wind’ (den Wind blockieren) zu tun als mit Klagelauten, die Hängematte ist eine gelungene lautliche Angleichung und inhaltliche Reinterpretation des von haitianischen Indianern ins Spanische übernommene Lehnwort hamace > engl. hammock > ndl. Hangmat, und der Maulwurf war ursprünglich ein Tier, das Erdhaufen aufwarf (Mittelhochdeutsch moltwerf). Erst mit dem Verschwinden von molt für Erde wurde der erste Teil unverständlich und durch ein ähnlich lautendes, ‚sinnvolles’ Element ersetzt.
‚Sinnvoll’ ist hier der Schlüsselbegriff. Unser Gehirn besitzt einen ausgeprägten Sinnerzeugungsmechanismus. Es versucht, die chaotische Datenflut des Alltags zu filtern, zu organisieren und wenn möglich in einen größeren Sinnzusammenhang einzubetten. So auch eben mit der Sprache. Hier allerdings gibt es einen für die ‚Sinnproduktion’ wichtigen Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Kategorien. Zu den geschlossenen Kategorien gehören u.a. die grammatikalischen Grundregeln zur Wort- und Satzbildung, die im Verlaufe des Spracherwerbs mehr oder weniger vollständig gemeistert werden und mit deren Hilfe wir den Sinn einer Äußerung entschlüsseln können. Dann gibt es die offenen Kategorien, wie z.B. den Wortschatz. Dieser ist theoretisch unbegrenzt und es können sowohl Wörter hinzukommen wie auch verschwinden. Englisch besitzt (laut Oxford English Dictionary) rund 600.000 Wörter, was relativ viel ist (das Deutsche soll ca. 300.000 Wörter besitzen) – ein gebildeter Sprecher beherrscht einen Wortschatz von etwa 50.000 Wörtern. Viele der Wörter sind von einem Kernwortschatz abgeleitet und auch wenn man sie noch nie gesehen hat, so sind sie leicht entschlüsselbar. Der ‚Literaturpapst’, zum Beispiel, ist ein einfaches Kompositum aus zwei Elementen und seine Bedeutung ist mehr oder weniger direkt aus den ursprünglichen Bestandteilen abzuleiten.
Treffen wir nun auf ein Wort mit einem oder mehreren unbekannten Elementen, so versucht unser Gehirn, diese mit bereits bekannten zu verknüpfen und einen möglichen Sinnzusammenhang zu produzieren. Dies funktioniert in den meisten Fällen ganz gut und Komposita wie manhole (ein Gullyloch) oder master bedroom (das größte Schlafzimmer im Haus) sind leicht in einen Sinnzusammenhang einzubetten. Schwieriger wird es aber mit Wörtern, deren Elemente vollständig oder teilweise unklar sind – wie wir oben gesehen haben. Dass dabei manchmal leicht komische Bedeutungsnuancen entstehen, zeigt unser letztes Beispiel, das germanische Wort für den Mann der Braut: ‚Bräutigam’ (Althochdeutsch brutigomo, Altenglisch brydguma). Das Wort ist ein Kompositum aus dem Element ‚Braut’ (Germanisch *bruƒiz,) und dem nicht mehr eigenständig vorkommenden (und somit nicht mehr verständlichen) Element -gam (Indoeuropäisch *ghemon, Germanisch *gomo = Mann, Mensch). Das Englische und das Deutsche gehen damit jedoch unterschiedlich um. Während sich das Deutsche mit dem nicht mehr so ganz eindeutig erklärbaren ‚Bräutigam’ zufrieden gibt (‚Hat irgendwas mit der Braut zu tun, oder?’), wurde im Englischen der zweite Teil des Wortes (guma) als groom (Bursche, später Stallbursche, Stallknecht) reanalysiert. Dadurch ergab sich ein neuer Sinnzusammenhang mit folgender (neuer) Logik: So wie der groom (Stallbursche) nach den Pferden schaut, so kümmert sich der bridegroom um die Braut. Dass die Damen dadurch (indirekt) mit Pferden gleichgesetzt wurden, dürfte im tiervernarrten England niemanden gestört haben und eher als (humoristisches) Kompliment aufgenommen worden sein.
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