Kolumne: Tabu…

(Foto: David Flores)

…oder: Über etwas sprechen, über das man nicht sprechen darf. Die sprachlichen Herausforderungen rund um ‚f***‘ und (den krähenden) ‚cock‘ analysiert Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.

James Cook, seines Zeichens Welt-Umsegler und Entdecker, brachte von seinen Reisen in die Südsee nicht nur Berichte über außergewöhnliche „große Hasen“ mit, welche die Eingeborenen ‚Kängurus’ nennen, sondern auch Beobachtungen über Bräuche unterschiedlicher Völker. Ein Erlebnis schien ihn besonders beeindruckt zu haben: die Weigerung einer Gruppe von Einheimischen etwas zu essen, das sie als ‚tapu’ bezeichneten. Wie wir heute wissen, bedeutet das Wort aus der Tonga-Sprache soviel wie ‚heilig’ bzw. ‚verboten’ und wurde im Englischen (wie auch im Deutschen und anderen europäischen Sprachen) als ‚Tabu/taboo’ etc. eingebürgert.
Natürlich gab es schon vor Kapitän Cooks Südseereisen ein ähnliches Konzept in den europäischen Zivilisationen, aber erst die Spiegelung durch eine exotische (und somit vermeintlich fremde) Kultur schärfte den Blick für die eigenen „Tabuthemen“ – die meist mit Sexualität, Tod und den körperliche Funktionen in Verbindung stehen. Die historische Aufarbeitung des Themas gestaltet sich jedoch schwierig, da über Tabuthemen eben nicht gesprochen bzw. schon gar nicht geschrieben wird – und auch heute noch werden „Tabuwörter“ in der Druckversion gerne zensiert (‚f***’ oder ‚bl****’ sind beliebt) bzw. in vielen amerikanischen Fernsehsendungen „gepiept“ (d.h. das anstößige Wort wird durch einen Piepton ersetzt).
Bewusst gemieden, aber doch überall präsent, bildet die Kategorie der Tabuwörter beim Erlernen und Erforschen einer Sprache eine besondere Herausforderung. Die großen Wörterbücher haben erst in neuerer Zeit begonnen, die Tabuwörter aufzunehmen und die allermeisten Lehrbücher ignorieren sie – da man eben über solche Dinge nicht spricht. Diese Ausklammerung der Tabuthemen (und des damit einhergehenden Vokabulars) hat oftmals unerwartet peinliche Konsequenzen für den Studierenden – wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Ich erfuhr meine primäre „englische Sprachsozialisation“ im britischen Kulturkreis und dort erhielt ich auch meine „Tabu-Schulung“ – die mir jedoch für meine Zeit in Amerika wenig nützte. Durch den Kulturwechsel stand meine sprachliche Kompetenz anfänglich in einem krassen Missverhältnis zu meiner kulturellen Kompetenz. Dass ich nicht nach der ‚toilet’, sondern nach dem ‚bathroom’ fragen sollte, wusste ich gerade noch. Dass jedoch auch das ‚toilet paper’ ein Unwort war und durch ‚TP’ (ausgesprochen wie ‚tii-pii’) ersetzt werden musste und dass ‚cock’ (für ‚der Hahn’) überhaupt nicht geht, musste ich erst in der Fettnäpfchenschule lernen. Das Spannende dabei ist, dass sich gerade im Bereich der ‚Vermeidungsstrategien’ viel und schnell verändert. Euphemismen wie ‚TP’ nutzen sich ab und müssen durch neue Varianten ersetzt werden (z. B. ‚bathroom tissue’ – was vielleicht später einmal zu ‚BT’ abgekürzt werden wird).
Und immer wieder finden sich Personen in Situationen, in denen sie öffentlich über Tabuthemen sprechen müssen. So passiert in einer Gerichtsverhandlung in Kalifornien, der ich als Zuschauer beiwohnte. Der Richter wollte feststellen, ob der Kläger und die Beklagte zu einem gewissen Zeitpunkt noch intimen Kontakt hatten, konnte jedoch nicht gut fragen: „Did you still f*** each other at that time?“ Er nahm deshalb Zuflucht in einer ad-hoc-Bedeutungserweiterung des Verbs ‚to date’ (‚mit jemandem ausgehen’) und fragte: „Did you still ‘date’ each other at that time?“ – man konnte die ‚Anführungszeichen’ förmlich hören – worauf sich das entfremdete Paar anschaute, kurz überlegte und einstimmig antwortete: „No, we didn’t ‘date’ each other anymore at that time.“ Ein ‚date’ ist eben nicht immer nur ein ‚date’ und dieses Beispiel zeigt doch sehr schön, wie Sprecher immer wieder Möglichkeiten finden doch über Dinge zu sprechen, über die man eigentlich nicht sprechen darf.

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