Kolumne: Sprichwörtlich

Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena, nimmt diesmal die Parömien im deutschen und englischen Sprachraum unter die Lupe.

You can’t make an omelett without breaking eggs.

Ein Besucher der britischen Inseln wird diesen Satz öfters zu hören bekommen und selbst der ignoranteste Tourist wird schnell herausfinden, dass es sich hier nicht um die Explizierung eines kulinarischen Naturgesetzes handelt, sondern um ein weit verbreitetes Sprichwort. Sucht man auf translate.google.de eine Übersetzung bzw. das deutsche Äquivalent, dann bekommt man ‚Sie können gehobelt wird, fallen Späne’. Der automatisch generierte Satz macht zwar als solches keinen Sinn, weist aber den Leser in die richtige Richtung, so dass er die korrekte Form ‚Wo gehobelt wird, da fallen Späne’ leicht erraten kann.
Wie dieses einfache Beispiel zeigt, erfordert das ‚Übersetzen’ von Sprichwörtern eine gewisse interkulturelle Kompetenz. Sprichwörter sind ein integraler Teil einer jeden Kulturgemeinschaft, auch wenn sie nicht so sehr der Hoch- als vielmehr der weniger angesehenen ‚Volkskultur’ zugeordnet werden. Diese implizite Hierarchisierung ist dafür verantwortlich, dass die Sprichwörter (zusammen mit den Redewendungen) im Jauchschen Fragekatalog im unteren Bereich der ‚Hundert-Euro-Fragen’ angesiedelt sind. Auch finden sich Sprichwörter kaum im Lehrplan einer Sprache, sondern gehören zu den Elementen, die man sich – wie die Fluchwörter und ‚four letter words’ – ‚einfach so’ aneignet. Dies scheint nicht immer so gewesen zu sein und die Sprichwortsammlungen aus der Antike bzw. aus den frühen Hochkulturen wie auch aus dem Mittelalter lassen auf eine damals größere Wertschätzung dieser ‚Kürzesttextkategorie’ schließen. Linguistisch gesehen bilden Sprichwörter eine ‚offene Kategorie’, d.h. es findet ein stetiges Kommen und Gehen statt. Gewisse sterben aus oder fallen in einen langen Dornröschenschlaf, neue entstehen oder werden aus anderen Kulturkreisen übernommen – und ein beachtlicher Teil überdauert die Jahrhunderte. Viele der populären Sprichwörter drücken ‚core cliches’ (zentrale Klischees) einer Gesellschaft aus – und widerspiegeln dadurch sowohl die gesellschaftlichen Konstanten wie auch die Veränderungen. So finden wir Kontinuität in Form und Inhalt im Fortleben des mittelenglischen ‚Ffer from eye, fer from herte’ im modernen ‚Far from eye, far from heart’ (was dem deutschen ‚Aus den Augen, aus dem Sinn’ entspricht) und auch das altenglische ‚weorc sprecath swithor thonne tha nacodan word’ hat sich über knapp tausend Jahre nicht groß verändert: es gilt noch immer ‚Actions speak louder than (the naked) words’, oder auf deutsch: ‚Taten sagen mehr als (tausend) Worte’. Parallel dazu finden wir alte Ideen in neuem Gewand. Die Grundaussage des eher aristokratisch anmutenden ‚Ne sceall se for horse murnan se the wile heort ofaernan’ (in etwa: Wer den Hirsch erjagen will, der darf sein Pferd nicht schonen) findet sich in der Neuzeit in der prägnant-pragmatischen Formel ‚No pain, no gain’ bzw. dem nach protestantischem Arbeitsethos klingenden ‚Ohne Fleiß kein Preis’ wieder.
Im Bereich der Erziehungswissenschaften scheint sich ein Paradigmenwechsel vollzogen zu haben. Der biblische Ratschlag aus Sprüche/Proverbs 13:24 (‚Whoever spares the rod hates his son’ – ‚Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn’) erfreute sich als ‚Spare the rod and spoil the child’ bzw. ‚Wer mit der Rute spart, verzieht das Kind’ bis in die Neuzeit einer gewissen Beliebtheit, dürfte jedoch heutzutage eher selten als pädagogischer Leitfaden dienen. Und auch der heroisch-stoische Geist, wie er im berühmten Spruch Byrhtwolds zum Ausdruck kommt, scheint verloren. Dieser bejahrte Kämpe, als er sich in der Schlacht von Maldon 991 n. Chr. einer erdrückenden Übermacht der Wikinger gegenüber sah, nahm vom Leben mit folgenden Worten Abschied:

Hige sceal the heardra, heorte the cenre,    
mod sceal the mare, the ure mægen lytlath.
(Entschlossenheit muss umso stärker, Herz umso kühner,     
Mut umso größer sein, je mehr unsere Kraft schwindet.)

Damit hat er den Grundsatz, dass man, wenn es ungemütlich wird, nicht einfach das Handtuch werfen soll, in eine stabreimende, poetisch prägnante Form gebracht, die aber in unserem prosaischen Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß ist. Das moderne Gegenstück ist etwas weniger poetisch, drückt aber immer noch dieselbe Idee aus: ‚When the going gets tough, the tough get going.’ Im Deutschen scheint es dafür keine echte Entsprechung zu geben – und das unvergleichliche translate.google.de schlägt vor: ‚Wenn es hart auf hart kommt, bekommen den [sic] harten Einsatz.’ Dies klingt in meinen Ohren eher wie eine Fußballweisheit denn ein altehrwürdiges Sprichwort, ist aber für die EM durchaus passend. Hoffen wir also, dass Jogi Löw, wenn es hart auf hart kommt, die ‚Harten’ zum Einsatz bringt.

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