Kolumne: Literarische Namen

Gewöhnliche Namen – ein Gegensatz zur exotischen Sekundärwelt (Illustration: flickr-User stardust soul)

Über fantastische Namensfindung für Literaten und ihren Weg in unsere Klassenzimmer schreibt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.

Eltern kennen die Probleme mit der Namensfindung aus eigener Erfahrung. Allerdings müssen sie sich im deutschen Durchschnitt nur knapp zwei Mal damit auseinandersetzen. Autoren hingegen haben einen etwas größeren Bedarf und brauchen oftmals mehr als ein Dutzend Namen für alle ihre Protagonisten. Die Verfasser von Geschichten, die in der ihnen bekannten Primärwelt angesiedelt sind, können ihre Charaktere relativ einfach und unkompliziert mit realweltlichen Namen versehen. Dies erspart nicht nur viel Arbeit, sondern trägt auch zur Glaubwürdigkeit der Figuren bei. Anders ist es bei den Autoren der Fantasy: Ein Hannes Müller ist als Protagonist in einem zeitgenössischen realistischen Werk, das in Thüringen spielt, akzeptabel – als Held eines Fantasyepos jedoch kaum; die kulturelle und lautliche Vertrautheit des Namens macht ihn für die exotischeren Genres untauglich. Dem schafft eine Übersetzung ins Walisische Abhilfe und aus Hannes Müller wird der fantasytaugliche Siôn Melinydd.
Diese kleine Übung zeigt, dass Namen eben nicht nur dazu dienen, einen Menschen zu identifizieren – das tut auch unsere Steueridentifikationsnummer –, sondern dass sie gleichzeitig kulturelle und soziale Informationen (Meme) vermitteln. Ohne, dass wir uns dessen bewusst sind, wissen wir, dass eine Anna Maria Catarella wahrscheinlich aus einer italienischen katholischen Familie stammt und nicht die Tochter eines atheistischen Ehepaars aus Schweden ist. Schriftsteller arbeiten mit diesem kulturellen ‚Vorwissen’ (aka Memen) und können so relativ einfach und effizient eine literarische Sekundärwelt erschaffen. Fantasyautoren nun setzen gerne exotische Namen ein, um die Andersheit ihrer Sekundärwelt bzw. die Fremdheit ihrer Protagonisten zu verdeutlichen. Sie signalisieren auf diese Weise dem Leser, dass, wenn schon die Namen so fremd sind, andere Dinge wohl auch nicht ganz den primärweltlichen Normen entsprechen. Grundsätzlich gilt, je stärker die Namen von den Lautkombinationsregeln der betreffenden Sprache abweichen, desto fremdartiger die Wesen – wie zum Beispiel im Cthulhu-Mythos: Zu Lovecrafts ursprünglichen außerirdischen Wesen und Gottheiten mit nicht ganz einfachen Namen wie Cthulhu, Nyarlathotep und Shub-Niggurath haben spätere Autoren Zungenbrecher wie Mh‘ithrha oder Ycnàgnnisssz beigesteuert.
Namen werden in Werken der fantastischen Literatur jedoch nicht nur zur Entfremdung und Exotisierung eingesetzt. Oftmals nutzt der Autor die Freiheit von primärweltlichen Konventionen, um seinen Protagonisten ‚sprechende Namen’ zu geben. Joanne K. Rowling ist ein gutes Beispiel hierfür und steht in einer Tradition mit Charles Dickens. Draco Malfoy, Severus Snape, Sirius Black, Remus Lupin oder Bellatrix Lestrange geben dem interessierten Leser Hinweise auf den Charakter oder verborgene Eigenschaften dieser Figuren, die in gewissen Fällen jedoch erst im Laufe der Erzählung zum Vorschein kommen. Interessanterweise hat Rowling dem Hauptprotagonisten und seinen besten Freunden, die für die Leser die Hauptidentifikationsfiguren darstellen, ganz gewöhnliche Namen gegeben. Damit stehen Harry, Hermine und Ron auch namentlich in einem Gegensatz zur exotischen Sekundärwelt der Zauberer.
Gleichzeitig stellen wir jedoch fest, dass Namen aus fantastischen Sekundärwelten ihren Weg in die reale Welt finden und damit den Grad der Fremdheit dieser Namen für zukünftige Generationen von Autoren und Lesern verändern. Inwieweit sie von einer Kultur assimiliert werden, ist schwierig vorauszusagen. Nicht alle werden sich so erfolgreich eingliedern wie z.B. in England der weibliche Vorname Wendy, der 1904 durch J.M. Barries Stück Peter Pan erstmals ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gelangte. Das ist gut so und es ist zu hoffen, dass Namen wie Arwen, Eowyn oder Frodo, die seit einiger Zeit in den Namenslisten der Schulklassen auftauchen, ihre Exotik nicht völlig verlieren und auch in Zukunft nicht in einem Atemzug mit Hannes Müller genannt werden müssen – oder dann eben mit Siôn Melinydd.


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