Kolumne: Hapax legomena, Apfelschimmel und Orks

Einsamer "æppelfealu"? (Foto: flickr/ Jean)

Der Besonderheit alleinstehender Worte widmet sich Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.

Nein, ein Hapax legomenon ist nicht ansteckend – lediglich eine etwas technisch anmutende Bezeichnung für ein Wort, das nur ein einziges Mal belegt ist. Kommt es zweimal vor, ist es bereits ein Dis legomenon (griechisch für ‚zweimal Gesagtes’). Dass Wörter nur ein- oder zweimal belegt sind, kann gerade in den alten Sprachen vorkommen, deren Überlieferungslage nicht sehr reichhaltig ist. So auch im Altenglischen, der Großmutter unseres modernen Englisch. Die Angelsachsen, die es vor etwas mehr als tausend Jahren sprachen, schrieben zwar relativ vieles nieder (von Heilrezepten über Schenkungsurkunden bis hin zu epischen Gedichten), aber die meisten Texte haben die Unbill der nachfolgenden Jahrhunderte nicht überstanden. Und leider haben uns die Angelsachsen auch kein Wörterbuch des Altenglischen hinterlassen, so dass es für die Erschließung ihrer Literatur die oftmals detektivische Gelehrsamkeit der Philologen des 18. und 19. Jahrhunderts bedurfte. Viele der altenglischen Wörter leben zum Glück in nur leicht abgeänderter Form im modernen Englisch weiter. So hat sich gerade das alltägliche ‚Kernvokabular’ nicht groß verändert. Wir schlafen (slepan – sleep), essen (etan – eat) und arbeiten (weorcan – work), leben (libban – live) in einem Haus (hus – house) mit der Ehefrau (wif – wive) bzw. dem Ehemann (husbonda – husband) und den Kindern (cildru – children) immer noch auf gut Altenglisch.
Viele andere Wörter, die im heutigen Englisch keine Entsprechungen mehr haben, lassen sich auf Grund des Kontextes bestimmen. So ist z.B. hleahtorsmith eindeutig als ‚Unterhalter’ (wörtlich ‚Gelächterschmied’) zu übersetzen oder die beadogrima (‚Schlacht- oder Kampfmaske’) als angelsächsischer Helm mit Gesichtsschutz zu identifizieren. Probleme entstehen jedoch oft dort, wo Wörter nur einmal in einem Kontext belegt sind, der auf ihre Bedeutung keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen lässt. Zu dieser letzteren Gruppe gehören einige der Hapax legomena, die im altenglischen Epos Beowulf auftreten. Ein bekanntes Problemwort ist ealuscerwen (Beowulf Zeile 769), dessen erster Teil ealu- mit ‚Bier, Ale’ leicht zu übersetzen ist. Woher jedoch scerwen kommt ist unter den Gelehrten umstritten und wir finden so gegensätzliche Übersetzungen des Ausdrucks wie ‚Bierausschank’ oder ‚Bierentzug’. Probleme anderer Art bieten die Farbbezeichnungen der Pferdefelle. Der Dichter verwendet in Beowulf (Zeile 2165) das Farbadjektiv æppelfealu, was wohl mit ‚apfelbraun/-gelb/-grau’ übersetzt werden kann. Es verweist auf eine ausgebaute, allerdings nicht mehr klar fassbare Fachnomenklatur für die Farben und Muster der Pferdefelle – nicht unähnlich der Bezeichnungspalette im Deutschen, wo wir von Braunen, Falben, Füchsen, Rappen und Apfelschimmeln sprechen. Ob die Angelsachsen mit æppelfealu vielleicht den Apfelschimmel gemeint haben, werden wir wohl nie erfahren, denn leider hat kein mittelalterlicher Schreiber daran gedacht, den Text an dieser Stelle mit dem Bild eines æppelfealu Pferdes zu illustrieren. Und genau das ist das Problem mit vielen mittelalterlichen Wörtern, die Dinge oder Konzepte bezeichnen, für die wir nicht gleichzeitig eine klare Definition oder Illustration überliefert haben – wir haben keine Möglichkeit mehr, die Bedeutung eines Wortes festzustellen. Das ist einerseits frustrierend; andererseits eröffnet es aber auch die Möglichkeit, das fragliche Wort ‚kreativ’ zu erforschen. Diesen etwas unkonventionelleren Weg ging ein Oxforder Professor für altenglische Sprache und Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und erweckte in seinen literarischen Werken rätselhafte altenglische Wörter wie orc oder ent zu neuem und philologisch nicht ganz abwegigem Leben.


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