Sprache ist nicht eindeutig. Was das bedeutet und warum Signifikant und Signifikat nicht das gleiche sind, erklärt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.
von Thomas Honegger
Das Paradoxon des Kreter Epimenides bringt es auf den Punkt: Sprache ist kein System, das zur philosophisch-logischen Wahrheitsfindung konzipiert ist, ja nicht mal mit absoluter Eindeutigkeit die Realität abbildet. Oftmals ist mit Sprache nur eine ungefähre Annäherung an faktische Tatsachen möglich. Dies ist nicht zuletzt der Natur des sprachlichen Zeichens zu verdanken, welches nach der berühmten Charakterisierung des Schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure (1857-1913) sowohl arbiträr (d.h. willkürlich) wie auch konventionell ist. Nach de Saussure besteht das sprachliche Zeichen aus zwei Elementen, die jedoch untrennbar miteinander verbunden sind: dem Signifikant (signifier/signifiant) und dem Signifikat (signified/signifié). Im untenstehenden Beispiel wäre das abstrakte Konzept ‚Baum‘ das Signifikat (Inhalt), während der Signifikant das gesprochene oder geschriebene Wort (Form) ist.
Jede Person, die eine fremde Sprache erlernt, wird feststellen, dass zwar die allermeisten Kulturen eine ähnliche Vorstellung vom Konzept ‚Baum‘ haben und die meisten Menschen ohne Probleme einen Baum erkennen, wenn sie einen solchen vor sich sehen. Die konkreten sprachlichen Bezeichnungen (also der jeweilige Signifikant) unterscheiden sich jedoch sehr. Latein hat arbor und daraus abgeleitet finden wir im Französischen l’arbre, im Italienischen l’albero und im Spanischen el árbol. In den germanischen Sprachen finden sich gänzlich andere Worte: Deutsch Baum, Niederländisch boom, Englisch tree oder Norwegisch tre. Ebenso in den nicht-indoeuropäischen Sprachen, wo wir puu (Finnisch), fa (Ungarisch) oder cây (Vietnamesisch) antreffen. Diese Vielfalt illustriert, dass es keinen objektiven Zusammenhang zwischen der Wahl eines Wortes beziehungsweise einer Laut- oder Buchstabenfolge und dem bezeichneten Inhalt gibt. Die Verknüpfung dieser beiden Elemente ist arbiträr. Ist diese initiale Zuordnung jedoch einmal vorgenommen, so spielt hier eine weitere Charakteristik eine wichtige Rolle: die Konventionalität. Die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft haben die Angewohnheit, die vorhandenen Begriffe einfach zu übernehmen und über Generationen weiter zu verwenden. Denn würden einzelne Personen beginnen die Dinge neu zu definieren, dann würden wir uns mit einer babylonischen Sprachverwirrung konfrontiert sehen und die (grundlegende) Verständigungsfunktion der Sprache wäre gefährdet – wie Peter Bichsels Kurzgeschichte ‚Ein Tisch ist ein Tisch‘ humorvoll-ironisch illustriert.
Aber natürlich wird diese arbiträre Verbindung zwischen Konzept und Wort von manchen Machthabern zur Manipulation der Öffentlichkeit ausgenutzt. George Orwell hat in seinem dystopischen Roman 1984 in erschreckend realistischer und überzeugender Weise vorgeführt, wie eine solche Manipulation durch sprachliche Mittel geschehen kann. Politische Propaganda und Fehlinformation setzt seit jeher auf die Vereinnahmung der Diskursherrschaft – ob im klassischen Sinne wie in der Propaganda des Dritten Reichs oder mittels der rezenten Kategorie der ‚alternative facts‘. Momentan müssen wir nur auf einen der staatlich kontrollierten russischen Sender gehen um weitere Beispiele zu finden. Putins wahrhaftig orwellsche Reinterpretation seines Angriffskriegs auf die Ukraine als ‚special military operation‘ ist nur ein Fall von vielen. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese Seite schlussendlich auch im sprachlichen Diskurs nicht die Oberhand erlangt, sonst werden wir in Zukunft Tolstois War and Peace nur noch als Special Military Operation and Peace kennen.
Über Signifikant, Signifikat und ihre politischen Überformungen schreibt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.
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