Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena, wirft diesmal einen Blick auf die Ortsschilder rund um Jena.
Wählt der Reisende bei den Fahrscheinautomaten der Madrider U-Bahn die englische Sprachvariante, so wird er von der Maschine freundlich aufgefordert: „Please select your destiny“ („Wählen Sie bitte Ihr Schicksal“). Ob man mit der Wahl seines Bestimmungsortes (englisch „destination“, spanisch „destino“) im Madrider U-Bahnsystem gleichzeitig sein Schicksal (englisch „destiny“, spanisch „destino“) wählt, sei dahingestellt. Auf jeden Fall illustriert diese kleine Anekdote, dass nicht alle Sprachen alle lebensweltlichen Bereiche gleich abdecken. Während das Englische (wie das Deutsche) einen Unterschied zwischen „Bestimmung/Schicksal“ und „Bestimmungsort“ macht, fallen diese beiden Begriffe im Spanischen zusammen. Die Spanier leben ganz gut mit dieser „semantischen Ungenauigkeit“, da der Kontext normalerweise klar macht, welche Bedeutung „destino“ denn nun hat.
Das Problem der semantischen Ausdifferenzierung ist im Englischen aufgrund der zahlreichen Einflüsse aus anderen Sprachen besonders ausgeprägt. So „steigen“ die Engländer (um ein deutsches Vergleichsbeispiel zu nehmen) semantisch differenziert nach oben. Es ist „to climb a ladder“ (auf eine Leiter steigen), „to mount a horse“ (auf ein Pferd steigen) und „to ascend the stairs“ (eine Treppe hoch steigen) – Begriffe, die ihren Ursprung im Altenglischen („climban“), Französischen („monter“) und Lateinischen („ascendere“) haben. Zwar kommt auch der Deutschsprachige mit seinem einfachen „steigen“ oben an, aber die Variationen verleihen dem Englischen einen Nuancenreichtum, der von vielen Schriftstellern und Lesern geschätzt wird. Und dennoch gibt es (wie in jeder Sprache) auch im Englischen zahlreiche „semantische Lücken“, d.h. es fehlen Begriffe für Dinge oder Erfahrungen, die man zwar umschreiben kann, für die aber das treffende Wort fehlt. Um diesem Umstand zumindest teilweise abzuhelfen, haben Douglas Adams und John Lloyd 1983 ein kleines Büchlein mit dem Titel The Meaning of Liff verfasst, in dem sie die „unnütz auf Ortsschildern und Wegweisern herumlungernden Namen“ in den Dienst der Allgemeinheit stellen und ihnen neue Bedeutungsfelder zuordnen. So bezeichnet „Burwash“ (ursprünglich ein Ort in East Sussex) nun das angenehme Schwappen von Pfützenwasser über die Gummistiefel, oder „Affpuddle“ (ursprünglich ein Ort in Dorset) eine unter einer lockeren Gehsteigplatte versteckte Pfütze, die den ahnungslosen Fußgänger mit Wasser bespritzt sobald er auf die Platte tritt. Der begriffsdefinierenden Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und das Prinzip lässt sich auch auf andere Sprachen übertragen, in denen noch viele kaum benutzte Ortsnamen einer neuen Aufgabe harren. So z.B. „ein Rodigast“ (ein Ort bei Bürgel im Saale-Holzland-Kreis), das als Bezeichnung eines drei Rostbratwürste verschlingenden Partygastes neu eingeführt werden könnte (wichtig zur Berechnung der Menge von Rostbratwürsten, die man einkaufen soll). Oder „Maua“ (ein Stadteil Jenas) als das Gefühl, das einem nach dem Verzehr von vier Rostbratwürsten überkommt. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass der begriffsdefinitorische Spielraum schier unerschöpflich ist – und ich freue mich auf die Bereicherung unserer Alltagssprache durch „ein Kahla“, „ein Schorba“ oder gar „ein Coppanz“.
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